Der Kantor mit der goldenen Kehle

Von Jonathan Scheiner · 21.12.2012
Vor einem Vierteljahr kam er von der anderen Seite der Erde nach Deutschland. Jetzt arbeitet der Australier Shimon Walles als Kantor in der Chabad-Synagoge in Berlin. Sein neuestes Werk: Eine CD mit synagogalen Liedern.
Mit seinen Liedern im Gepäck ist Shimon Walles vor einem Vierteljahr nach Berlin gezogen. Walles kommt von der anderen Seite der Erde, aus Australien. Auch dort hat er schon als Kantor gearbeitet oder hat in Bands wie den "Upbeats" auf Hochzeiten oder "Barmizwas" gesungen. Doch dann wurde er an die Chabad-Synagoge in der Münsterschen Straße in Berlin-Wilmersdorf berufen. Ein Glücksfall für Berlin, denn dieser Mann hat, wie man so schön sagt, eine goldene Kehle. Davon kann man sich nicht nur am Schabbat überzeugen, wenn Shimon Walles synagogale Lieder singt. Unüberhörbar ist das auch auf seiner Debüt-CD.

Die CD heißt "Hashem Malach" und wurde in Jerusalem produziert. Benannt ist das Album nach dem gleichnamigen Lied von Jossele Rosenblatt. Der 1933 gestorbene Komponist aus der Ukraine, der den Beinamen "König der Chasanim" trägt, ist eines der großen Vorbilder von Shimon Walles. Doch auf seiner CD sind noch weitere Komponisten vertreten, die die Musik in der Synagoge geprägt haben:

"Jossele Rosenblatt and Mosche Koussevitzky, Gershon Zirota, Moishe Gentschoff - das sind nur einige der großen Namen kantoraler Musik, die meine Inspirationsquellen sind. Für mich war Jossele Rosenblatt ein Genie und eine Art Mozart kantoraler Musik. Er hat fast 400 Kompositionen geschrieben. Und das in Verbindung mit der Tatsache, dass er eine wunderschöne Stimme besaß und der Art und Weise, wie er die Melodien ausführte - zu ihm habe ich mich immer als meinem Lieblings-Kantor hingezogen gefühlt. Als ich aufwuchs habe ich viel von Mordechai Ben David und Avraham Fried gehört und schon als Kind Schlomo Carlebach. Aber diese Komponisten haben einen eher chassidischen Stil."

Die Liebe zur Musik entstand schon in Shimon Walles' Elternhaus. Die Familie mütterlicherseits stammt aus Polen, die Mutter wurde in einem Flüchtlingscamp in Cinecittá bei Rom geboren. Die Familie des Vaters lebte hingegen schon seit sieben Generationen in Jerusalem, bevor die Familie dann nach Australien ging. Schon Walles' Vater war Kantor in zweiter Generation. Ein paar Cousinen und Cousins aus Israel üben diesen Beruf ebenfalls aus - auch jener Cousin, der für zwei Jahre an der Synagoge in der Berliner Joachimsthalerstraße gearbeitet hat. Shimon Walles wusste also, was ihn in der deutschen Hauptstadt erwartet:

"Was Deutschland betrifft, so habe ich immer eine Art Verbindung gefühlt. Ich könnte das mit dem Holocaust begründen, aber es geht tiefer. Einer der großen Rabbiner hat einmal gesagt: So wie aus Deutschland viel Dunkelheit kam, so kam auch viel Licht von dort. Die jüdische Geschichte ist von deutscher Geschichte gleichsam vollgesogen, und auch die deutsche Geschichte hat die jüdische gewissermaßen aufgesaugt. So war es eine Art zwiespältiges Verhältnis, als ich herkam. Es ist paradox, hier zu sein und als orthodoxer Jude zu arbeiten, wenn du diese Assoziationen im Kopf hast, egal wohin du gerade gehst."

Im Moment lebt sich Shimon Walles noch in der deutschen Hauptstadt ein. Abgeschnitten von der Zivilisation, wie er sich zuweilen in Australien fühlte, ist er hierzulande jedenfalls nicht. Und sollte sein Aufenthalt in Berlin nach einem Jahr wieder zu Ende sein, so scheint das kein Beinbruch für Walles zu sein. Er sei ja noch ganz jung. Mal sehen, sagt er, wohin das Leben mich führt, und was Gott in seinem Bauchladen für mich bereit hält.