Der Kampf um ein Stück vom Kuchen

Von Stefanie Otto · 25.01.2012
Die ehemals deutsche und dann französische Kolonie Togo liegt wirtschaftlich am Boden. Ein Drittel der rund 6,4 Millionen Einwohner des tropischen Agrarlandes muss mit weniger als 70 Euro-Cent am Tag auskommen. Auch die Ergebnisse bei den wichtigen Exportgütern Kaffee und Kakao gehen stark zurück.
Freitagnachmittag in Bassar. Bei 33 Grad im Schatten wird im Stadion gerade ein Fußballspiel angepfiffen. Auf der schattigen Tribüne und am Spielfeldrand tummeln sich die Zuschauer. Die Blaskapelle der Kirche legt sich ins Zeug, um die Spieler anzufeuern. Mit 25.000 Einwohnern ist Bassar eine mittelgroße Stadt im Norden Togos, etwa 400 Kilometer nördlich der Hauptstadt Lomé. Auch Afirwa Touré ist heute zum Fußballspiel eingeladen worden. Jeder kennt die Frau mit den geflochtenen Haaren als Madame Touré. Die Mittfünfzigerin besitzt ein kleines Lebensmittelgeschäft am Markt und ist stellvertretende Vorsitzende im Verein der Marktfrauen. Ihr Mann ist schon in Rente. Von ihren sechs Kindern lebt die Hälfte in der Hauptstadt, wo sie arbeiten oder weiterführende Schulen besuchen. Als eine der wenigen Frauen im Stadion sitzt Madame Touré heute auf der Ehrentribüne - als Würdigung ihrer besonderen Rolle in Bassar. Doch nach der ersten Halbzeit muss sie gehen, denn auf dem Markt wird sie schon zur wöchentlichen Versammlung erwartet.

Nach fünf Minuten erreicht sie den staubigen Marktplatz, der von großen Bäumen umsäumt im Halbschatten liegt. Zwischen den notdürftig zusammengezimmerten Ständen sitzen schon ihre Kolleginnen zusammen und tauschen sich über Neuigkeiten aus der Stadt aus.

"Hier auf unserem Markt gibt es verschiedene Gruppen, die sich organisieren. Zum Beispiel unsere Gruppe der ständigen Verkäuferinnen. Jeden Freitag treffen wir uns und besprechen die Probleme. Und am Ende zahlt jede einen kleinen Betrag von 100 Franc in unsere Kasse ein. Wenn jemand stirbt geben wir 100 Franc und bei einer Hochzeit auch 100 Franc. Wenn eins unserer Mitglieder krank wird, gehen wir es besuchen und geben jede 50 Franc."

Für ihre Marktstände zahlen die Frauen pro Woche abhängig von ihrer Ware bis zu 500 westafrikanische Franc, also etwa 76 Cent an die Stadtverwaltung. 100 Franc, also 15 Cent, geben sie zusätzlich in ihre Gemeinschaftskasse. So viel kostet in Bassar eine Fahrt mit dem Motorrad-Taxi oder eine Hand voll kleine Tomaten. Doch bei circa 150 Mitgliedern kommt einiges zusammen. Heute sind nur 20 von ihnen gekommen. In ihren traditionellen bunten Wickelröcken sitzen sie im Kreis auf dem Markt, verlesen Getreide und Bohnen und tauschen sich aus. In der nächsten Woche steht wieder ein großes Begräbnis an, zu dem auch sie etwas beisteuern wollen. Die Vereinigung der Marktfrauen ist Gewerkschaft und Sozialversicherung in einem. Ihr großes Ziel ist es, die Arbeitsbedingungen zu verbessern.

"Wir haben uns zusammengeschlossen, um eine Vereinigung zu gründen. Wir haben auch ein Gemeinschaftskonto. Wenn wir Partner fänden, die uns finanziell helfen könnten... Wir treffen uns regelmäßig hier, aber wir haben kein Versammlungshaus. Außerdem bräuchten wir ein Lagerhaus, besonders für die alten Frauen. Sie können ihre Waren nicht mehr jeden Tag hierher und abends wieder nach Hause tragen."

In dieser ländlichen Region zwischen Tropen und Savanne lebt der Großteil der Bevölkerung von Landwirtschaft für den Eigenbedarf. Angebaut werden hauptsächlich Hirse, Mais und nährstoffreiche Wurzelknollen wie Maniok und Yams. Viehzucht, Holzverwertung und Handel sind weitere Einnahmequellen. Mangelnde Infrastruktur und überteuerte Importprodukte machen das Leben auf dem Land jedoch sehr beschwerlich. Mit dem Verkauf von kleinen Mengen Gemüse, Getreide oder Konserven ist es auch für die Marktfrauen hier schwer Gewinn zu erwirtschaften.

Das Geschäft laufe nicht so gut, berichtet Madame Touré und rückt ihr weißes Kopftuch zurecht. Vom Verkauf eines großen Korbs Tomaten zum Beispiel bleiben ihr gerade mal 1,50 Euro Gewinn. Erst vor kurzem gab es zwar Förderungsangebote von der Regierung. Doch hatten die Markthändler keinen Interessenvertreter, an den sich die Geldgeber hätten wenden konnten. Mittlerweile haben sich in Togo einige Organisationen auf die Vergabe von Mikrokrediten spezialisiert. Auch über diese Form der Finanzierung haben die Frauen schon nachgedacht, erzählt Madame Touré und schüttelt resigniert mit dem Kopf.

"Wir wollten einen Mikrokredit beantragen, aber bei den hohen Zinsen, kommt das nicht in Frage. Sie verlangen 40 Prozent. Oder 30? Ich weiß nicht genau wie viel, aber es ist zu teuer. Das hat schon viele unserer Kollegen in den Ruin getrieben. Sie haben Kredite bekommen und konnten dann nicht pünktlich zahlen. So haben sie alles verloren. Deshalb misstrauen die Marktfrauen hier diesen Kreditanstalten. Viele wissen auch nicht, wie sie mit ihrem Geld haushalten sollen. Wenn wir auch Fortbildungskurse im Wirtschaften hätten, würde das vieles verbessern."

Die Präfektur Bassar organisiert manchmal Kurse, zu denen Madame Touré schon eingeladen wurde. Sogar in Lomé war sie schon einmal zu einem Kurs über die Lagerung und Verarbeitung von Getreide. Aber auch über Kinderhandel, AIDS und andere Krankheiten wird jetzt öfter aufgeklärt. Solche Fortbildungen wünsche sie sich für alle Frauen in Bassar, sagt Madame Touré, während ihr Blick nachdenklich über den Markt schweift. Viele von ihnen hätten nur die Grundschule besucht und könnten kaum Französisch. Seit 2010 ist der Besuch der Grundschule in Togo nun kostenlos, womit das Land zumindest eines der Millennium-Entwicklungsziele der Vereinten Nationen erreichen könnte. Doch für die ältere Generation bleibt die fehlende Bildung ein großes Problem.

"Wir bräuchten auch ein Bildungszentrum. Denn was unsere Ehemänner sich erlauben, liegt auch an unserer Unwissenheit. Die Männer arbeiten zwar auf dem Feld, aber alles andere lastet auf den Schultern der Frauen. Wenn dein Kind etwas braucht, musst du dich kümmern. Die Seife für die Wäsche am Sonntag müssen wir zahlen. Und auch die Ausbildung unserer Kinder bezahlen wir, die Mütter. Wir müssten Argumente haben, um unseren Männern zu sagen, dass es auch ihre Rolle ist. Aber es war schon immer so. So ist die Tradition, aber es ist auch einfach Unwissenheit."

Schon vor Sonnenaufgang macht sich Issaka Tchontchoko auf den Weg zum Feld. Die gebogene Hacke über die Schulter gehängt, fährt der junge Togolese jeden Morgen ein paar Kilometer raus aus der Stadt und kommt meist erst am Nachmittag zurück nach Bassar. Was er erntet, transportiert er auf dem Gepäckträger seines Fahrrads. Im Gegensatz zu den Bauern auf dem Markt produziert Issaka nur für den Eigenbedarf. Jetzt am Anfang der Trockenzeit erntet er täglich Yams.

"Diese Yamsknolle habe ich letztes Jahr als Steckling gepflanzt. Diese kleine hier nährt praktisch die junge Knolle, die direkt daneben wächst. Und nun kann man eine viel größere Yamswurzel davon ernten. Die alte ist fast verrottet und müffelt ein bisschen."
Während der letzten Trockenzeit hat Issaka auf etwa einem Hektar Stecklinge gepflanzt. In kleinen, extra dafür angehäuften Hügeln gedeiht der Yams als Wurzel einer kletternden Pflanze. Mit Hilfe von Hacke und Schaufel gräbt er nun die länglichen Knollen vorsichtig eine nach der anderen aus. An seinen großen Händen zeugen Hornhaut und Schwielen von der täglichen Schufterei. Außer seinem kindlichen Gesicht lässt nichts an ihm erahnen, dass er erst 29 ist. Am Ende des Vormittags hat er etwa 50 Knollen ausgegraben. Am Feldrand schichtet er sie sorgfältig übereinander und bedeckt sie mit Reisig, um die Ernte vor dem Austrocknen zu schützen. Manche Sorten kann er so monatelang lagern. Für 100 Yamsknollen der besten Sorte würde er auf dem Markt etwa 40 bis 60 Euro bekommen. Die Region um Bassar ist bekannt für den Yamsanbau. Sogar aus der Hauptstadt kommen die Händler, um hier den angeblich besten Yams Togos aufzukaufen. Mittlerweile steht die Sonne hoch am Himmel. Im nahegelegen Dorf macht Issaka Pause, um sich während der großen Hitze unter einem großen Mangobaum auszuruhen.

"Mein Vater war auch Bauer, doch als er älter wurde, hat er nur noch wenig auf den Feldern gearbeitet. Ich war noch zu klein und konnte ihm nicht helfen. Er starb 1992 als ich gerade 9 Jahre alt war. Später habe ich die Schule abgebrochen, weil meine Mutter so viel schuften musste. Sie schleppte Holz zum Markt, um es zu verkaufen, so dass sie kaum noch Haare auf dem Kopf hatte. Sie hat so sehr gelitten, dass ich gesagt habe, ich verlasse die Schule und werde auf dem Feld arbeiten."

Wie man Yams anbaut, hat Issaka bei seinem Onkel gelernt. Später pachtete er ein Stück Land und baut jetzt auf mehreren Feldern auch Mais, Hirse, Zuckerrohr und Maniok an. Erst seit dem letzten Jahr kann der junge Bauer genug ernten, um davon seine Familie zu ernähren. Außerdem verdient er als Hauswart etwas Geld dazu. Damit kann er sein Handy aufladen, Medikamente kaufen oder Reparaturen bezahlen. Seine Kleidung bestehe größtenteils aus Spenden, erzählt der junge Mann und deutet auf seine verblichenen Arbeitsklamotten. Morgens, mittags und abends isst er Yams in verschiedenen Variationen. Mal geräuchert oder frittiert, doch am liebsten gekocht und gestampft als Brei. Das sogenannte "Fufu" ähnelt einem kompakten Kartoffelbrei und wird meist mit einer würzigen Tomatensauce gegessen. Einen Teil der Ernte muss Issaka jedoch aufsparen - als Pacht für seine Felder.

" Jeden September zahle ich Yams und Hühner an den Besitzer des Landes. Es gehört mir nicht. Ich habe es gepachtet und folge der Landnutzungsordnung. Wenn ich dann noch Geld habe, kann ich ab und an sogar Leute bezahlen, um mir beim Anhäufen der Erdhügel zu helfen. In der nächsten Regenzeit wird wieder ein Freund mitarbeiten."

Eine halbe Fahrradstunde entfernt im Garten der Kirche von Bassar ist jetzt am Nachmittag viel los. Die meisten Gläubigen kommen nicht nur zur Sonntagsmesse, sondern sind auch Mitglied in einem Bibelkreis oder singen im Chor. Etwa ein Drittel der Bevölkerung Togos gehört einer christlichen Kirche an. Im Norden des Landes kommt ein etwa gleich großer Anteil an Muslimen dazu, wobei jedoch auch der traditionelle Glaube an Fetische und Voodoo weitverbreitet ist. In der katholischen Gemeinde von Bassar gibt es seit dem letzten Jahr eine Schüler-Theatergruppe, zu der auch die 16-jährige Florence Batola gehört.

"Ich hatte gehört, dass in der Kirche ein Theaterstück aufgeführt wurde. Das fand ich interessant, deshalb wollte ich da auch mitmachen. Es ist wirklich bemerkenswert zu sehen, wie wir spielen, denn das Stück ist ja ein Roman und es liegt an uns allein den Text zu interpretieren."

Die Idee eine Theatergruppe zu gründen, stammt von Padre Kisito. Seit 2007 ist der Enddreißiger mit dem kurz rasierten Haar Kaplan der Gemeinde Saint Martin von Bassar. Mit klugem Blick durch die Brille im 60er-Jahre-Stil verfolgt er den Text und gibt den Schülern hin und wieder helfende Stichworte. Neben der Theatergruppe kümmert er sich auch um drei Chorgruppen, den Kommunionsunterricht, den neuen Computerraum und die wöchentlichen Filmabende. Mit den Freizeitangeboten will Padre Kisito vor allem das Selbstbewusstsein und das Engagement der Jugendlichen stärken. Die Schüler der Schauspieltruppe kannten sich schon aus der Kirchengemeinde. Kaum einer von ihnen hat bisher eine Theatervorstellung besucht.

"Ihr Genie liegt gerade darin, dass keiner von ihnen bisher Erfahrungen im Theaterspiel hat. Aber schon bei unserem ersten Stück haben sie uns überrascht. Ich glaube, man muss ihnen zu verstehen geben, dass sie das Talent in sich haben. Denn manche wissen das nicht. Den Zuschauern hat unsere Aufführung jedenfalls sehr gut gefallen. Und selbst der Präfekt war überrascht, was die Gruppe da in drei Wochen auf die Beine gestellt hat."

Der Kaplan wirkt müde, doch hat er mit den Schülern noch einiges vor. In den nächsten Tagen will er das Theaterstück verfilmen und die Aufnahmen dem nationalen Fernsehen zukommen lassen. Er hofft auch, dass seine Arbeit positiv auf die ganze Gemeinde abfärben wird. In Bassar und Umgebung gibt es nicht viele Ausbildungsstätten und kaum Beschäftigungsmöglichkeiten. Viele Jugendliche verlassen Bassar schon, um eine weiterführende Schule zu besuchen. Immerhin scheint es, dass zumindest am Gymnasium bald etwas in Bewegung kommt, freut sich Padre Kisito mit sichtlicher Genugtuung. Dort hat man von seinem Engagement gehört und will jetzt auch eine Theatergruppe ins Leben rufen.

"Wir haben die Jugendlichen zusammengebracht, um ihnen zu vermitteln: Ja, wir sind in der Kirche, aber wir sind immer auch Teil der Gesellschaft. Und über das Theaterspiel können wir auch eine Botschaft vermitteln. Und anstatt in Langeweile zu vergehen oder uns gegenseitig anzuschreien, sollten wir lieber sehen, ob wir nicht auch gemeinsam etwas kreieren können. Denn wenn Menschen zusammenkommen, um etwas zu erschaffen, ist das wunderschön."
Ein Innenhof, Togo, Region Kara
Die Menschen in der Region Kara leben in so einfachen Hütten.© Philipp Lemmerich
In den Erdhügeln wächst die Yamsknolle, das extrem nährreiche Grundnahrungsmittel im Nordtogo.
In den Erdhügeln wächst die Yamsknolle, das extrem nährreiche Grundnahrungsmittel im Nordtogo.© Philipp Lemmerich
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