Der Kampf um die wahre Bestimmung der Musik

Zu Gast: Jürgen Kesting |
Sie ist eine der berühmtesten Frauen der Antike: Iphigenie, älteste Tochter von Agamemnon, des Königs von Mykene. Ihr Schicksal wurde zu etwa gleicher Zeit, im Jahr 1779, von Goethe in Weimar und von Christoph Willibald Gluck in Paris auf die Bühne gebracht.
Gluck hat sich dem von Euripides überlieferten, bis in unsere Tage vielfach variierten und adaptierten Stoff gleich zweimal zugewandt: zunächst in der „Iphigenie in Aulis“, dann in der „Iphigénie en Tauride“, so der Titel der französischen Urfassung des Werks.

Die taurische Iphigenie ist Glucks vorletzte Oper und gilt als seine kühnste Partitur – und dies trotz zahlreicher Selbstentlehnungen. Vor allem sind in ihr die Maximen der Opernreform verwirklicht, die sich mit dem Namen Glucks verbindet. „Ich trachte“, schrieb Gluck in einem seiner vielen Traktate und Manifeste, „die Musik auf ihre wahre Aufgabe zu beschränken, der Dichtung zu dienen für den Ausdruck und für die Situationen der Handlung, ohne die Aktionen zu unterbrechen oder durch unnötige und überflüssige Zierraten zu hemmen.“

In „Iphigénie en Tauride“ wird dieser Ansatz, im Unterschied zu manch anderem Reformwerk, kompromisslos verfolgt. Von daher wirkte gerade dieses Werk befruchtend auf die weitere Geschichte der Oper, auf Werke Mozarts ebenso wie auf die von Wagner und Berlioz. Umso erstaunlicher ist die rezetionsgeschichtliche „Flaute“, in die Glucks Oper im 20. Jahrhundert geriet. Den verdienstvollen Bemühungen von Sängerinnen und Sängern, von Dirigenten und Regisseuren, dem – mit beachtlichen Resultaten – entgegen zu wirken, widmen sich unsere „Interpretationen“ mit dem Opern- und Gesangexperten Jürgen Kesting als Studiogast.

Moderation: Michael Dasche