Der junge Schiller

Von Tilman Krause |
Alles Schwäbische sei ihm verhasst, und er wolle tun, was er könne, um sich für alle Zeit zu "entschwäben", schrieb Schiller. Hartnäckig hält sich deshalb das Gerücht: Schwaben sei Schiller eine einzige Last gewesen. Mit dieser Legende räumt der Berliner Publizist Friedrich Dieckmann in seinem Buch über den jungen Schiller auf.
Alles Schwäbische sei ihm verhasst, und er wolle tun, was er könne, um sich für alle Zeit zu "entschwäben": So schrieb Schiller in seinem Schicksalsjahr 1782 an einen Freund. Seit seiner Flucht aus Stuttgart im September desselben Jahres hält sich hartnäckig das Gerücht: Schwaben sei Schiller eine einzige Last gewesen. Zwar habe er sich auf seiner Reise in die Heimat von 1793/94 halbwegs mit Württemberg, seinem Herzog und der Stadt seiner größten Peinigungen, Stuttgart, ausgesöhnt, aber eben doch nur, weil er außerhalb des Herzogtums, in Weimar nämlich, etwas geworden und damit innerlich unabhängig von seiner Herkunftsprägung geworden sei.

Mit dieser Legende räumt jetzt so sachkundig wie einfühlsam der Berliner Publizist Friedrich Dieckmann auf. In seinem Buch über den jungen Schiller erfahren wir, was der Autor alles seiner Heimat verdankt. Vor allem eben die Ausbildung auf jener "Pflanzstätte" des "Pädagogarchen" Karl Eugen, wie Dieckmann beziehungsreich Schillers Landesvater nennt, die damals zu den modernsten Europas zählte und in der relativ kurzen Zeit ihres Bestehens alle diejenigen Männer geistig formte, die über zwei Generationen hinweg das kleine Herzogtum Württemberg, seit 1806 Monarchie von Napoleons Gnaden, in die Frühmoderne des beginnenden 19. Jahrhunderts führen sollten: die "Hohe Karlsschule", seit 1781 neben Tübingen Landesuniversität. Hier wurde Schiller von einer Vielzahl vorzüglicher Lehrer, allen voran von seinem Lieblingslehrer, dem Philosophen Abel, mit den wichtigsten geistigen Diskursen der Zeit bekannt gemacht. Abel, ein früher Anhänger der Genie-Ästhetik, ermunterte Schiller auch in seinen schriftstellerischen Ambitionen, mit denen der Sohn eines Militärarztes, der selber Arzt werden musste, sich so weit über die engen Grenzen seiner Herkunftswelt hinauskatapultieren sollte.

Friedrich Dieckmann zeichnet nicht nur minutiös die Stationen von Schillers intellektueller Sozialisation bis hin zur endgültigen Sesshaftwerdung in Weimar nach, er lässt auch vor allem für die Stuttgarter Jahre eine Fülle von Zeitzeugen und Freunden Schillers zu Wort kommen, so dass ein sehr lebendiges Bild jener Aufbruchsjahre entsteht, die nicht nur Schiller zu dem machten, was er schließlich wurde, sondern auch in Deutschland einer der geistig produktivsten Epochen seiner gesamten Geschichte einläuteten.

Friedrich Dieckmann: Diesen Kuss der ganzen Welt
Der junge Mann Schiller/ Insel Verlag