Der Jugendknast als Drehort

Von Margit Ehrlich |
Der italienische Regisseur Enrico Pau verfilmte auf Sardinien den Roman "Jimmy della Collina" von Massimo Carlotto. Die Geschichte spielt in dem Jugendgefängnis Quartuggiu nahe der sardischen Hauptstadt Cagliari. Einige der jungen Gefängnisinsassen spielen mit. Auf diese Weise ist nicht nur ein Film entstanden, der in die fast unbekannte Welt eines Jugendgefängnisses eindringt, sondern auch eine ungewöhnliche Arbeit mit jugendlichen Straftätern.
Enrico Pau: "Ich glaube, dass es die Aufgabe des Künstlers ist, vor allem in Kontakt mit anderen Menschen zu treten, ihre Sprache zu lernen."

Der Mann, der diese Worte sagt, ist kein Träumer. Das sieht man auf den ersten Blick. Enrico Pau meint, was er sagt. Fast streng blicken die dunklen Augen. Ernsthaft in jedem Fall. Er ist in Jeans und akkurat gebügeltem Hemd gekommen, einzig die Sonnenbrille sitzt nach Italienerart lässig hochgeschoben auf der Stirn, kurz über den Augenbrauen. Seine 49 Jahre sieht man dem Regisseur nicht an. Treffpunkt ist das Jugendgefängnis von Quartuggiu bei Cagliari, der Hauptstadt von Sardinien.

Das Gefängnis ist ein wuchtiger, sandfarbener Kasten hinter dreifachen dunkelgrünen Gitterreihen. Es liegt einsam und weithin sichtbar in der Ebene hinter Cagliari. Hier, zwischen Gefängnisgittern, hat Enrico Pau sein letztes Jahr verbracht. Zumindest die Arbeitstage. Er hat einen Roman des italienischen Schriftstellers Massimo Carlotto verfilmt, der eben in diesem Gefängnis spielt: "Jimmy della Collina", übersetzt: Jimmy vom Hügel.

"Das war eher ein Zufall, dass ich diesen kleinen Roman in die Hände bekam. Er ist sehr kurz, nur etwa hundert Seiten. Und ich habe ihn wirklich in einem Zug durchgelesen. Es war etwas, was oft passiert, dass man sofort in die Geschichte hineinkommt, sofort Bilder vor sich sieht, wie in einem Film und tatsächlich habe ich in diesem Moment schon begonnen, an dem Projekt, an dieser Idee zu arbeiten."

In der Geschichte geht es um einen 15-jährigen Jungen, der sich bewusst für das Verbrechen entscheidet, um reich zu werden. Er wird bei einem Banküberfall gefasst und kommt ins Gefängnis. Schließlich muss er sich seiner Vergangenheit stellen. Enrico Pau hat die Gefängnisinsassen von Quartuggiu gecasted und viele der Filmszenen mit ihnen zusammen erarbeitet. Darüber sind sie fast so etwas wie Freunde geworden, wie man an der fröhlichen Begrüßung sieht.

Enrico Pau: "Ich denke, es ist nutzlos, so zu tun, als könnte man Beziehungen aufbauen oder nicht. Das ist nicht real. Ich hatte vielleicht einfach ein Gefühl für die Jungs und normalerweise bin ich auch ein netter Mensch, also war ich natürlich zu den Jungs auch nett und vielleicht fühlen sie das einfach. Und ich wollte wirklich verstehen, was ihnen passiert war, verstehen, wie es dazu kam, dass sie nun im Gefängnis sind."

Doch der gute Draht, den Enrico zu Jugendlichen hat, ist kein Zufall. Er ist Berufsschullehrer. Renitente Halbwüchsige sind sein Täglich Brot. Im Gegensatz zu vielen anderen ist er darüber nicht frustriert. Erwachsene können Grenzen aufzeigen, Moral vorleben, den Jugendlichen helfen, in den Spiegel zu sehen, sich zu erkennen, glaubt er. Darin sieht er eine Aufgabe.

"Manche von uns kennen sich nicht. Also leben sie oft als eine Art Mr. Hyde. Sie verlieren sich. Verstehen nicht, wo ihre Grenzen liegen, die sie nicht überschreiten dürfen."

"Jimmy" ist sein zweiter Kinofilm. Auch bei seinem ersten Film ist er tief in eine andere, wenig bekannte Welt eingedrungen. Auch der erste Film spielt in Cagliari. "Pesi Leggeri", übersetzt "Leichtgewichte", erzählt von dem verzweifelten Überlebenskampf und den gnadenlosen Rivalitäten junger Amateurboxer. Wenn Enrico Pau dreht, nimmt er unbezahlten Urlaub vom Schuldienst. Er geht in eine Art Klausur:

"Für mich ist das Kino wirklich eine Gelegenheit, persönlich zu wachsen. Denn wenn ich nicht einen Film mache, der auch mich selbst verändert, dann habe ich nichts geschaffen."

Enrico ist über das Theater zum Film gekommen. Nach seinem Italienisch- und Geschichtsstudium hat er neben seiner Arbeit als Lehrer immer wieder als Theaterschauspieler gearbeitet, später als Theaterregisseur. So hat er auch seine Frau Julie kennen gelernt, vor zehn Jahren beim Theaterfestival von Cagliari. Mittlerweile haben sie zwei Kinder im Alter von acht und drei Jahren. Ein Mädchen und einen Jungen.

Die Familie fängt ihn auf, erdet ihn. So bleibt er auch mit seinen Wünschen und Träumen am Boden. Dass "Jimmy" ein Erfolg wird, das hofft er schon. Immerhin haben bereits mehrere Filmfestivals Interesse angemeldet. Doch um Hollywood-Träume geht es ihm nicht.

"Es geht mir nicht um Ruhm oder so etwas Banales, Dummes. Es geht mir nur darum, diese Arbeit, die ich mag, weitermachen zu können. Es ist ja leider eine sehr teure Arbeit. Man denke nur an die ganze Technik. Also hoffe ich, wie jeder andere Regisseur auch, dass alles gut läuft, einfach um weiterhin Filme drehen zu können."