Der japanische Komponist Yūji Takahashi

Nichts ist absolut

58:06 Minuten
Traditionelles Gemälde eines Zweiges mit Kirschblüten
Auch das Schöne verschwindet: Traditionelles Gemälde eines Kirschblütenzweiges © Imago / Panthermedia / Elwynn
Von Emmanuelle Loubet · 22.08.2019
Musik, heißt es, muss Melodie und Rhythmus haben, aber ist das wirklich notwendig? Der Japaner Yūji Takahashi träumt eher davon, das Utopische in der Musik noch nicht zu kennen, als das bereits Erreichte zu festigen.
Der 1938 in Tokyo geborene Komponist Yūji Takahashi verkörpert den Outside-Denker innerhalb des japanischen Musikbetriebs. Er ist der "Pianist mit dem roten Hemd", der sich in den 70er Jahren in der Studentenbewegung engagierte und sich, was seine kompositorische Arbeit betrifft, immer am Rande des offiziellen Musikbetriebs gehalten hat.
Takahashis Kompositionen sind stilistisch nicht festgelegt und reichen von Konzeptstücken der 1960er Jahre über Arbeiten in verschiedenen experimentellen Gruppen bis hin zu artifiziellen Klangkompositionen. Auch war er eine der ersten Komponisten, die sich spielerisch mit dem Computer befasst haben.
Musik, so Yūji Takahashi, ist ein Prozess, eine Aktivität, die nichts mit einer letztinstanzlichen Methode gemein hat, sondern als Technik des Körpers entsteht.
Sie ist nicht konstruiert, sondern sie blüht wie eine Blume.

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Japan ist ein Land, so die Autorin Immanuelle Loubet, "das im 20. Jahrhundert die Brücke zur eigenen Kultur zerrissen hat, das für Jahrzehnte alles Mögliche von Amerika eingesaugt hat, dabei trotzdem der Welt eine ausgefallene eigene Identität beweisen wollte. Leider weigert es sich zugleich den Bezug zu den Nachbarkulturen Asiens anzuerkennen.
Mit der spektakulären Ohrfeige, die die Realität des aktuellen ökonomischen Abrutschens dem Stolz dieses Landes auferlegt hat, ist es leicht einzusehen, dass Japan nun ein Land ist, das sich unwohl fühlt, mit Komponisten und Denkern, die sich unwohl fühlen.
Die Suche schaffender Leute nach positiven Auswegen und wahrer Identität ist verwickelt und geht mühsam voran. Zwar besitzt Japan eine reiche Kultur, jedoch wird sie im eigenen Land zu wenig geschätzt und die meiste Zeit ausschließlich von ausländischen Forschern aufgehoben. Zu Hause wird die eigene Kultur zu oft zu nationalistischen Zwecken eingesetzt und darum ist es leicht zu verstehen, warum junge Leute sie fliehen.

Impulse für ein neues ästhetisches Bewusstsein

Doch hinter dieser Wand an ungelösten Problemen und sozialpolitischen Verwicklungen findet man manchmal Leute, die wie Yūji Takahashi selbstbewusst und hartnäckig nach etwas Wahrem suchen, etwas, dessen Wert sicherlich nicht gleich am Ende dieses 20. Jahrhunderts Anerkennung finden wird, sondern Samen für eine revitalisierte Kultur Japans ins 21. Jahrhundert einpflanzt.
Wie diese Kultur aussehen wird, welche ihre dynamischen Zentren sein werden, ob sie überhaupt in Japan oder woanders stattfinden wird, sind Fragezeichen, die für uns heute die Vorstellung des kommenden Jahrhunderts spannend machen".

Auch das Schöne verschwindet

Die Schönberg-Schule ist jetzt angekommen, aber wer weiß, fragt Yūji Takahashi, was in 500 Jahren sein wird?
Dass die Avantgarde zunächst abgelehnt wird, und die Nachwelt sie besser verstehen würde, ist nur ein weiterer Mythos in der Vorstellung vom unendlichen Fortschritt, wie auch des unendlichen Wirtschaftswachstums der kapitalistischen Gesellschaft.
Nichts ist absolut, so Takahashi. Alle Regeln sind da, um gebrochen zu werden. Musik kann schön sein, sie kann wunderbar sein. Aber sie dauert nicht an. Sie verschwindet. Eines Tages wird sie vergessen sein. Wenn Musik zart und fragil ist, wird sie sehr behütet. Doch dann denken wir wieder, dass Menschen ohne Musik leben können.

Vor 20 Jahren
Der japanische Komponist Yūji Takahashi
Von Emmanuelle Loubet

Produktion: Deutschlandradio Berlin 1999

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