Der Islam und die Aufklärung

Von Abdul-Ahmad Rashid |
Braucht der Islam eine Aufklärung? Und stellt der Islam selber ein Hindernis für die Entwicklung dar? Um neue Aufschlüsse zu diesem Thema zu bekommen, hat das Bonner Annemarie Schimmel-Forum dieses Wochenende ein international besetztes Symposium zu dem Thema "Islamisches Denken im Wandel und die Europäische Aufklärung" veranstaltet.
Braucht der Islam eine Aufklärung? Und stellt der Islam selber ein Hindernis für die Entwicklung dar? Dieser Frage wollten die Veranstalter des hochkarätig besetzten internationalen Symposiums im Bonner "Haus der evangelischen Kirche" nachgehen. Dem Erbe der berühmten, vor wenigen Jahren verstorbenen deutschen Islamwissenschaftlerin Annemarie Schimmel fühlten sich die Veranstalter, das Bonner Annemarie Schimmel-Forum, verpflichtet, und hatten deshalb prominente Wissenschaftler aus der islamischen Welt eingeladen.

Die öffentliche Resonanz war groß, fast 500 Zuhörer füllten das Auditorium. Doch die Veranstaltung blieb hinter den Erwartungen zurück. Die meisten Beiträge waren zwar von hohem intellektuellem Niveau, doch neue Ansätze mochten sie kaum zu vermitteln. Einzig der Schweizer Islamwissenschaftler Tariq Ramadan setzte Akzente. Der besonders in Frankreich sehr populäre, aber auch nicht unumstrittene ägyptischstämmige Professor aus Genf versuchte in seinem sehr temperamentvoll vorgetragenen Beitrag eine Möglichkeit aufzuzeigen, die Prinzipien der Aufklärung in der islamischen Welt zu verwirklichen. Doch zunächst konstatierte er eine tiefe Krise:

"Die Mehrheit der muslimischen Gesellschaften sieht sich großen Problemen bezüglich der Entwicklung und des Fortschritts ausgesetzt. Doch die Schlussfolgerung, dass dies am Islam liegen könnte, ist falsch. Denn die Geschichte hat gezeigt, dass man auf dem Islam aufbauen und gleichzeitig fortschrittlich sein kann. Der Islam ist grundsätzlich mit Wissenschaft und Technik vereinbar und als Muslim kann man gleichzeitig gläubig und fortschrittlich sein."

Denn der Islam habe in seiner Geschichte durchaus bewiesen, dass er in der Lage sei, Fortschritt und Moderne mit dem Glauben zu vereinigen. Doch dieser nostalgische Blick in die Vergangenheit alleine würde nicht ausreichen, so Ramadan.

"Wir müssen damit aufhören, sowohl in den islamischen Ländern als auch innerhalb den muslimischen Gemeinden im Westen, dass wir die Vergangenheit idealisieren und von der Zukunft träumen."

Viel mehr müsse man der Frage nachgehen, warum das freie Denken zugunsten einer engstirnigen Auslegung der religiösen Quellen aufgehört habe. Eine Antwort auf diese Frage gab der Wissenschaftler zwar nicht, dafür ging Ramadan direkt dazu über, Lösungen dazu anzubieten. So bestehe seiner Meinung nach eine Möglichkeit für die Muslime darin, die Dominanz des Westens anzuerkennen:

"Was wir tun können, ist, uns an diese Realität zu gewöhnen. Wir erkennen die Überlegenheit der westlichen Gesellschaften an und passen uns ihr an. Dies wäre eine Möglichkeit der Reform."

Den Islam den neuen Herausforderungen anpassen, dies ist eine Forderung von Tariq Ramadan. Doch der Islam-Gelehrte geht noch weiter und bietet eine radikalere Lösung an:

"Meine Vorstellung einer Reform ist eine andere: Wir brauchen eine Reform, die die Wirkung einer gesellschaftlichen Umgestaltung hat. Es besteht ein großer Unterschied darin, ob man sich reformiert, indem man sich den bestehenden Verhältnissen nur anpasst oder indem man die Gesellschaft, in der man lebt, verändert. Die Quellen des Glaubens werden dabei nicht angetastet, doch der Zusammenhang mit dem gesellschaftlichen Kontext wird somit verändert. Nur so kann es gelingen, die Welt, in der man lebt, zum Besseren zu verändern."

Ein solcher Prozess würde es den Muslimen ermöglichen, so Ramadan, sich selber aus der momentanen Krise zu befreien. Und er plädiert dafür, den muslimischen Geist mit einer spirituell geprägten Intellektualität zu versöhnen:

"Es darf nicht heißen: Glaube gegen die Vernunft, oder Glaube ohne Vernunft, sondern Vernunft im Namen des Glaubens. Wenn man in unserer heutigen Welt der islamischen Lehre getreu leben möchte, dann geht dies nur, wenn man die Vernunft gewissenhaft und kritisch benutzt. Dies wurde schon von den ersten Muslimen, die sich um den Propheten herum befanden, so getan. Dies macht mich etwas vorsichtig gegenüber der Forderung mancher Gelehrter, den Glauben durch die Vernunft zu ersetzen. Beides muss zusammengehen."

Und mit diesem neuen Konzept könnten die Muslime auch an den Westen herantreten und die Sinnfrage stellen:

"Warum tut ihr das, was ihr tut? Ist es nur im Namen des Fortschritts oder nur im Namen des Geldes oder nur im Namen der Produktivität? Wir fordern eine neue Ethik, denn dies ist etwas, das sehr tief mit den geistigen islamischen Grundlagen verbunden ist."

Tarif Ramadan sieht durch diese Rundumerneuerung des islamischen Glaubens auch das muslimische Selbstbewusstsein gestärkt. Sein Ziel ist es, die Muslime aus ihrer Abwehrhaltung gegenüber dem Westen zu befreien, in der sie seit einigen Jahren gefangen und paralysiert steckten:

"Der Fehler, den wir machen, ist, dass wir die Werte, die in unserer Religion stecken, nicht als universell ansehen und sie mit anderen als allgemeine Werte teilen. Wir sehen uns in der Defensive und reden daher nur von 'unseren Werten', oder von 'uns' als eine Minderheit im Westen. Diese Manie offenbart eindeutig den Mangel an Selbstvertrauen."

Doch die Vorschläge von Tariq Ramadan durchweht bei allen Modernisierungsversuchen weiterhin ein islamischer Geist. So zum Beispiel, wenn der Gelehrte in einer zukünftigen islamischen Gesellschaft die Einführung einer Wirtschaftsordnung fordert, die ganz den islamischen Prinzipien wie dem Zinsverbot untergeordnet ist. Wünschenswert wäre hier, dass Experten wie Tariq Ramadan eine konsequente Trennung von Religion und Staat vertreten würden, ganz im Sinne der Aufklärung. Somit stellt der Ansatz des Genfer Islamwissenschaftlers eine Möglichkeit dar, wie Muslime sich mit ihrer Religion in Zukunft selbstbewusst auseinandersetzen können. Als eine Vision für die Umsetzung aufklärerischer Prinzipien kann er aber nicht gelten.