Der Islam gehört doch zu Deutschland

Von Eberhard Straub |
Im angeblich finsteren Mittelalter war man viel weiter als heutzutage. Denn im Gegensatz zu früher ist die Erinnerung verlorengegangen, dass Orient und Okzident zu einer gemeinsamen Welt mit einer gemeinsame Geschichte seit dreitausend Jahren gehören.
Wer dafür streitet, dass der Islam nicht zu Deutschland gehört, bestreitet Goethe das Recht, ein deutscher Dichter zu sein. Er lehnte den Verdacht gar nicht ab, selber ein Muselmann zu sein. Er verehrte den Koran als göttliches Gesetz. "Im Koran leben wir alle, unter welcher Form wir uns auch Mut machen".

Ihm behagte ein sich Wiegen zwischen zwei Welten, dem Westen und dem Osten, das heute ausgerechnet selbst ernannten Weltbürgern unter den Deutschen Angst und Schrecken einjagt. Diese fürchten sich vor dem Osten, vor Islamisierung. Goethe hingegen freute sich, wie herrlich übers Mittelmeer der Orient in den Okzident gedrungen; "nur wer Hafis liebt und kennt, weiß, was Calderon gesungen". Dieser klassische Dichter Spaniens, kommt aus dem Land, das am gründlichsten vom Islam und arabischen Sitten geprägt worden war.

Da Deutschland zu Europa gehört, waren Berührungen mit dem Islam, der arabischen und türkischen Kultur unvermeidlich. Auch Deutsche brauchten Weihrauch, Spezereien, Seidenstoffe und Süßigkeiten. Das Marzipan kam aus Andalusien an die Ostsee, der Kaffee über den türkischen Balkan nach Wien.

Der Stauferkaiser Friedrich II., um 1200 in Palermo aufgewachsen, sprach fließend arabisch und kannte sich auch theologisch sehr gut im Islam aus. Er brauchte keine Islamkonferenzen. König Alfons VII. von Kastilien ließ sich 1160 als der Kaiser der drei Religionen, der Christen, Muslime und Juden, feiern. Aus den Übersetzerschulen in Toledo kamen die Werke des Aristoteles zu den Deutschen, aber auch des Averroes, mit denen die Deutschen auf eine neue Art zu denken lernten.

Höhere Lebensart suchten Barbaren aus Bonn und Paris im islamisierten und arabisierten Palermo, Sevilla oder Cordoba. Der Orient war das Reich des Luxus und der Moden.

Dorthin lässt Wolfram von Eschenbach zu Beginn seines Ritterepos Parzivals Vater Gachmuret aufbrechen, der die muslimische Königin Belakane heiratet. Ihr Sohn Feirefiz, ein Muslim, bewährt sich als edler Ritter im christlichen Abendland. Anstand, Höflichkeit und elegante Geistesgegenwart hingen nicht von der Religion ab.

Im angeblich finsteren Mittelalter war man viel weiter als wir in unseren von vielen Lichtern erleuchteten Zeiten. Die gute Gesellschaft und deren Dichter und Denker – allesamt aufrechte Christen – kamen nie auf den Gedanken, Kultur und Religion heillos miteinander zu vermischen.

Wo die Religion trennte, half die Kultur, um das Zusammenleben zu erleichtern. Die Erinnerung ging nie verloren, dass Orient und Okzident zu einer gemeinsamen Welt mit einer gemeinsame Geschichte seit dreitausend Jahren gehören.

Die Grundlagen unserer Kultur sind älter als Christentum und Islam, von Ägyptern, Persern, Griechen, Arabern, Afrikanern oder Römern wechselnd gehegt und geprägt. Im kaiserlichen Rom mischten sich die Sprachen, die Religionen, die Völker.

Der Islam hat die Einheit in der Vielfalt rund um das Mittelmeer überhaupt nicht beseitigt. Die Muslime fanden sich mit dem Pluriversum ab, in dem sie sich eingemeindeten, wie zuvor die Christen. Diese Alte Welt von Gibraltar bis zum Hindukusch und über den Ural hinaus, lebte im dauernden Austausch und war aufeinander angewiesen.

Vieles, was heute Westeuropäern orientalisch vorkommt, war noch vor ein paar Jahrzehnten Recht und Brauch auch bei uns, weil wir Teil der Alten Welt waren, die von der Neuen Welt aus allerdings immer dramatischer in Frage gestellt wird.

Die USA begreifen sich als die biblische Stadt auf dem Berge, die mit ihrem Licht die noch im Dunkel Weilenden erhellt und zur Wahrheit führt. Sie sind seit ihrer Gründung ein aktiv missionierender Gottesstaat, um ihren politisch – theologischen american way of life in den fernsten Winkel der Erde zu tragen, wenn es sein muss mit Feuer und Schwert. Ihre Ideale brauchen die Einfalt, damit wir alle in ein und der gleichen Welt wie Amerikaner leben und denken können.

Die Europäer haben sich dieser Missionierung nicht verweigert. Sie sind selber als Mitglieder der NATO in diesem Sinne Missionare geworden. Ihrer historischen Herkunft entfremdet, ist ihnen die eigene Welt zur irritierenden Fremde geworden. Deutsche und andere Europäer bedürften deshalb dringend einiger Integrationskurse, um in der Alten Welt wieder heimisch werden zu können.


Eberhard Straub, Publizist und Buchautor, geboren 1940, studierte Geschichte, Kunstgeschichte und Archäologie. Der habilitierte Historiker war bis 1986 Feuilletonredakteur der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" und bis 1997 Pressereferent des Stifterverbandes für die Deutsche Wissenschaft. Heute lebt er als freier Journalist in Berlin. Buchveröffentlichungen unter anderem: "Die Wittelsbacher", "Drei letzte Kaiser" sowie "Das zerbrechliche Glück. Liebe und Ehe im Wandel der Zeit" und "Zur Tyrannei der Werte".
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