Der Indiana Jones der jüdischen Buchgeschichte
Eine prächtige jüdische Schriftrolle aus dem Jahr 1746 wird jetzt im Taschen-Verlag nachgedruckt. Die Entstehung des kostbaren Werks hat der Historiker Falk Wiesemann erforscht. Der Begleitband dokumentiert eine faszinierende Such- und Ausgräbergeschichte.
Die jetzt nachgedruckte Estherrolle aus dem 18. Jahrhundert ist im Besitz der Gottfried Wilhelm Leibnitz Bibliothek in Hannover. Üppig bebildert enthält sie einen christlichen Bibeltext in deutscher Sprache. Und das ist der erste Knüller, meint Falk Wiesemann, Herausgeber des Nachdrucks:
"Das ist in gewisser Weise auch sensationell. Wir kennen natürlich Esther-Rollen aus dem Judentum, was aber das Erstaunliche ist an dieser Rolle, ist, dass sie einen deutschen Bibeltext enthält. Zunächst war es für mich natürlich spannend herauszufinden, woher stammt dieser deutsche Text? Er stammt aus einer Bibelausgabe aus dem Jahr 1722, also etwas mehr als 20 Jahre vor dem Entstehen unserer Rolle."
Wie ein Indiana Jones der jüdischen Buchgeschichte präsentiert der Düsseldorfer Professor für Neuere Geschichte Falk Wiesemann den Nachdruck der über 250 Jahre alten prachtvoll illuminierten Esther-Rolle aus der Leibnitz-Bibliothek in Hannover im Taschen-Verlag.
"Sie ist für den Ritus im jüdischen Gebet in der Synagoge oder privat nicht zu verwenden. Dazu bedarf es eines hebräischen Textes. Das heißt, es muss eine besondere Bewandtnis mit dieser Rolle gehabt haben."
Und nun beginnt eine faszinierende Such- und Ausgräbergeschichte, die der Begleitband dokumentiert. Wer war der Künstler, was war der Zweck dieses kunstvoll geschriebenen und illuminierten Werkes? Die Rolle ist in Text-und Bildpartien aufgeteilt, die sich in regelmäßigem Rhythmus abwechseln. Oben und unten laufen Bildstreifen mit Ranken- und Blütenmustern und quer in den Text gesetzt sind große Einzelbilder, 110 an der Zahl, dazu kommen 109 Tiere. Das ist ein leuchtend kolorierter gesellschaftlicher Zoo, der da aufgeblättert wird. Glückliche Errettung aus Feindeshand und blutige - heute kontrovers diskutierte - Rache an den Verfolgern. Dabei sind die Figuren alles andere als blutrünstig und schwerblütig. Bei den Tierabbildungen wird gehoppelt, getrampelt, gelaufen und gekämpft, und auch die Menschen sind auf den ovalen und runden Bildern immer in Bewegung, immer scheinen sie auf irgendetwas zu zeigen.
"Das ist in gewisser Weise auch sensationell. Wir kennen natürlich Esther-Rollen aus dem Judentum, was aber das Erstaunliche ist an dieser Rolle, ist, dass sie einen deutschen Bibeltext enthält. Zunächst war es für mich natürlich spannend herauszufinden, woher stammt dieser deutsche Text? Er stammt aus einer Bibelausgabe aus dem Jahr 1722, also etwas mehr als 20 Jahre vor dem Entstehen unserer Rolle."
Wie ein Indiana Jones der jüdischen Buchgeschichte präsentiert der Düsseldorfer Professor für Neuere Geschichte Falk Wiesemann den Nachdruck der über 250 Jahre alten prachtvoll illuminierten Esther-Rolle aus der Leibnitz-Bibliothek in Hannover im Taschen-Verlag.
"Sie ist für den Ritus im jüdischen Gebet in der Synagoge oder privat nicht zu verwenden. Dazu bedarf es eines hebräischen Textes. Das heißt, es muss eine besondere Bewandtnis mit dieser Rolle gehabt haben."
Und nun beginnt eine faszinierende Such- und Ausgräbergeschichte, die der Begleitband dokumentiert. Wer war der Künstler, was war der Zweck dieses kunstvoll geschriebenen und illuminierten Werkes? Die Rolle ist in Text-und Bildpartien aufgeteilt, die sich in regelmäßigem Rhythmus abwechseln. Oben und unten laufen Bildstreifen mit Ranken- und Blütenmustern und quer in den Text gesetzt sind große Einzelbilder, 110 an der Zahl, dazu kommen 109 Tiere. Das ist ein leuchtend kolorierter gesellschaftlicher Zoo, der da aufgeblättert wird. Glückliche Errettung aus Feindeshand und blutige - heute kontrovers diskutierte - Rache an den Verfolgern. Dabei sind die Figuren alles andere als blutrünstig und schwerblütig. Bei den Tierabbildungen wird gehoppelt, getrampelt, gelaufen und gekämpft, und auch die Menschen sind auf den ovalen und runden Bildern immer in Bewegung, immer scheinen sie auf irgendetwas zu zeigen.
Die Spur führt ins Reich der Habsburger
Wiesemann kommt auf die Spur mit Hilfe eines Kollegen aus Amsterdam, der meint, er habe Ähnliches schon in Handschriften des 18. Jahrhunderts gesehen. In einer Handschrift in Cincinnati ist der Name des Schreibers und Handschriftenkünstlers genannt. Er nennt sich dort Wolf Leib Katz Poppers aus Hildesheim. Glücklicherweise hat Wiesemann auf der Hannoveraner Rolle einen abgekürzten Vermerk. Aber das Kürzel "W.C.j a Hildesheim" muss erst einmal entschlüsselt werden:
"Das konnten wir auflösen mithilfe eines Eintrags in einem Bibliotheksverzeichnis aus dem Jahre 1860. Wolf Cohen aus Hildesheim. Cohen ist sozusagen wortgleich mit verschiedenen Bezeichnungen derer, die aus dem Priesterstamm sich herleiten, also Namen wie Cohen, Cohn, Kahn oder Cohen Zadik, eben der gerechte der ehrenwerte Cohen, der aus dem Priesterstand kommt. Also Katz und Cohen sind identisch. Da haben wir schon mal W.C., also Wolf Katz, der sich eben Wolf Leib Katz Poppers aus Hildesheim nennt."
Wiesemann findet von Wolf Poppers, Jude aus Hildesheim, ein Oeuvre von insgesamt zehn Werken. Die Spuren führen nach Wien. Wien war ein Anziehungspunkt für Handschriftenkünstler. Auch die Aktualisierungen bei Kleidung, Mimik und Gestik deuten auf den österreichischen Hof unter Maria Theresia. Und in diesem Kontext gewinnt der christliche deutsche Text eine besondere Bedeutung. Herausgeber Falk Wiesemann:
"Zum einen denke ich, dass diese Rolle nicht für einen internen jüdischen Gebrauch bestimmt war. Aber warum dann ein christlicher Text? Also ich denke, dass Poppers mit dieser Rolle über eine kulturelle Brücke gegangen ist, also vom Judentum in die nichtjüdische Welt hinein, so wie die umgebenden Hofjuden in Wien oder das Großbürgertum oder die finanziell potenten Juden an den Höfen sich sozusagen an den Standards, an den kulturellen ästhetischen Standards orientierten der Welt, für die sie arbeiteten."
Die Welt des Habsburgerreichs war von Antijudaismus geprägt. Wenige Jahre vorher waren durch Maria Theresia die Juden aus Prag vertrieben worden.
"Und es könnte schon sein, dass durch ein solches Geschenk diese Herrscher günstig gestimmt werden sollten und dass demonstriert werden sollte, dass Juden und Nichtjuden gar nicht so weit auseinander liegen, was eben die höfische Repräsentation anbelangt. Es ist vielleicht auch ein Versuch, sich einen Platz innerhalb dieser höfischen Gesellschaft zu sichern."
Die handgeschriebene und -gemalte Rolle sollte also in Wien als Geschenk überreicht werden, um die antijudaistischen Adeligen positiv zu stimmen. Für die buchtechnische Neuauflage der Rolle hält der Herausgeber noch eine verblüffende Erkenntnis bereit:
"Es ist zum ersten Mal, dass der Taschen-Verlag eine Rolle reproduziert hat. Das ist ja ein buchhändlerisches Wagnis, aber zugleich auch eine buchtechnische Herausforderung. Die Rollen sind ja im 5., 6. Jahrhundert abgelöst worden durch den Codex, das gebundene Buch, in dem gefaltete Seiten oder Bögen zu Lagen gefaltet zusammengeheftet werden. Also das war eine Revolution, wie es vielleicht der PC gewesen ist. 1500 Jahre zuvor. Und nur im Judentum hat sich die Rolle als Thora-Rolle oder in bestimmten biblischen Büchern gehalten, u.a. dem Buch Esther und da war es eben eine Herausforderung für den Verlag, das technisch so zu gestalten, dass es auch benutzbar wird. Also ich finde, das ist eine Antwort, nicht die, aber eine Antwort auf das e-book."
Die Esther-Rolle. Herausgegeben von Falk Wiesemann
Handschriftrolle im Holzschuber mit Begleitband
642,0 x 33,5 cm
Taschen-Verlag 2013
194 Seiten, 500 Euro
"Das konnten wir auflösen mithilfe eines Eintrags in einem Bibliotheksverzeichnis aus dem Jahre 1860. Wolf Cohen aus Hildesheim. Cohen ist sozusagen wortgleich mit verschiedenen Bezeichnungen derer, die aus dem Priesterstamm sich herleiten, also Namen wie Cohen, Cohn, Kahn oder Cohen Zadik, eben der gerechte der ehrenwerte Cohen, der aus dem Priesterstand kommt. Also Katz und Cohen sind identisch. Da haben wir schon mal W.C., also Wolf Katz, der sich eben Wolf Leib Katz Poppers aus Hildesheim nennt."
Wiesemann findet von Wolf Poppers, Jude aus Hildesheim, ein Oeuvre von insgesamt zehn Werken. Die Spuren führen nach Wien. Wien war ein Anziehungspunkt für Handschriftenkünstler. Auch die Aktualisierungen bei Kleidung, Mimik und Gestik deuten auf den österreichischen Hof unter Maria Theresia. Und in diesem Kontext gewinnt der christliche deutsche Text eine besondere Bedeutung. Herausgeber Falk Wiesemann:
"Zum einen denke ich, dass diese Rolle nicht für einen internen jüdischen Gebrauch bestimmt war. Aber warum dann ein christlicher Text? Also ich denke, dass Poppers mit dieser Rolle über eine kulturelle Brücke gegangen ist, also vom Judentum in die nichtjüdische Welt hinein, so wie die umgebenden Hofjuden in Wien oder das Großbürgertum oder die finanziell potenten Juden an den Höfen sich sozusagen an den Standards, an den kulturellen ästhetischen Standards orientierten der Welt, für die sie arbeiteten."
Die Welt des Habsburgerreichs war von Antijudaismus geprägt. Wenige Jahre vorher waren durch Maria Theresia die Juden aus Prag vertrieben worden.
"Und es könnte schon sein, dass durch ein solches Geschenk diese Herrscher günstig gestimmt werden sollten und dass demonstriert werden sollte, dass Juden und Nichtjuden gar nicht so weit auseinander liegen, was eben die höfische Repräsentation anbelangt. Es ist vielleicht auch ein Versuch, sich einen Platz innerhalb dieser höfischen Gesellschaft zu sichern."
Die handgeschriebene und -gemalte Rolle sollte also in Wien als Geschenk überreicht werden, um die antijudaistischen Adeligen positiv zu stimmen. Für die buchtechnische Neuauflage der Rolle hält der Herausgeber noch eine verblüffende Erkenntnis bereit:
"Es ist zum ersten Mal, dass der Taschen-Verlag eine Rolle reproduziert hat. Das ist ja ein buchhändlerisches Wagnis, aber zugleich auch eine buchtechnische Herausforderung. Die Rollen sind ja im 5., 6. Jahrhundert abgelöst worden durch den Codex, das gebundene Buch, in dem gefaltete Seiten oder Bögen zu Lagen gefaltet zusammengeheftet werden. Also das war eine Revolution, wie es vielleicht der PC gewesen ist. 1500 Jahre zuvor. Und nur im Judentum hat sich die Rolle als Thora-Rolle oder in bestimmten biblischen Büchern gehalten, u.a. dem Buch Esther und da war es eben eine Herausforderung für den Verlag, das technisch so zu gestalten, dass es auch benutzbar wird. Also ich finde, das ist eine Antwort, nicht die, aber eine Antwort auf das e-book."
Die Esther-Rolle. Herausgegeben von Falk Wiesemann
Handschriftrolle im Holzschuber mit Begleitband
642,0 x 33,5 cm
Taschen-Verlag 2013
194 Seiten, 500 Euro