Der Hunger kehrt zurück
An den internationalen Märkten für Weizen, Mais und Reis ist der Teufel los. So stieg der Weltmarktpreis für Reis in den letzten acht Wochen um über 75 Prozent. Die dramatischen Folgen einer solchen Preisexplosion für die 800 Millionen Menschen, die weltweit bereits heute Hunger leiden, kann man gar nicht beschreiben.
Und das Bizarre daran ist, die Welt reibt sich überrascht die Augen. Denn bis gestern galt doch, dass es in der Tat weltweite Verteilungsprobleme bei Nahrungsmitteln gäbe, aber grundsätzlich und theoretisch unsere Welt doch in der Lage sei, sich zu ernähren, wenn nicht Misswirtschaft, Korruption und andere politische Katastrophen die notwendige Versorgung aller mit ausreichender Nahrung gefährdeten. Und diese Mängel gilt es abzustellen – und würde man dies auch bis zum Jahre 2015 hinbekommen. So jedenfalls beschloss es die Welternährungskonferenz in Rom im Jahre 2002. Indes, die Verhältnisse, sie sind nicht so, ist man geneigt, mit Bertold Brecht zu formulieren.
Plötzlich wird klar, dass der in der industrialisierten Welt so hoch gepriesene Umstieg von fossilen Brennstoffen auf die vorher so hoch gepriesenen nachwachsenden Biokraftstoffe bittere Konsequenzen hat. Und zwar für die Ärmsten der Armen. Denen geht schlicht das Brot aus. Schon warnt die EU-Kommission vor ihrer eigenen Energiepolitik. Der Brüssler Umweltkommissar Stavros Dimas erklärt: "Wenn wir bis 2020 als oberste Priorität das Ziel ausgeben, zehn Prozent der benötigten Kraftstoffe aus Pflanzen herzustellen, werden Menschen und Natur den Preis dafür bezahlen müssen."
Wie das, fragt sich der fortschrittsgläubige Zentraleuropäer. Waren wir nicht alle davon überzeugt, dass es genügend Nahrung gäbe, und dass man die Landwirte im Gegenteil daran hindern müsse, zu viel zu produzieren. In Europa sind die Bilder von Butterbergen, Milchseen und überfüllten Getreidesilos noch nicht vergessen. Die musste man abbauen, sprich vernichten, um die Preise zu stabilisieren. Gleichzeitig wurden die amerikanischen Farmer Millionen Tonnen von Überschussgetreide nicht los. Und wechselnde amerikanische Regierungen kauften den Bauern und Wählern das Getreide ab und verteilten es dann in Notgebieten der Dritten Welt. Und das wiederum löste die Kritik der Entwicklungspolitiker aus. Diese argumentierten nicht zu Unrecht, mit solcher Art von staatlicher Nahrungsmittelzuteilung zerstöre man die Entwicklung der jeweiligen autochthonen Landwirtschaften in den Entwicklungsländern. Soweit - so schlecht – ein tödlicher Kreislauf.
Und nun sind wir in einem neuen Abwärtstrend angelangt. Die Umsteuerung der Nahrungsproduktion zur Energiegewinnung ist nicht der einzige Grund für die Verknappung von Lebensmitteln auf den Weltmärkten. Hinzugekommen ist ein entschieden höherer Verbrauch von veredelten Lebensmitteln in Schwellenländern. Und damit bleiben noch weniger Rohstoffe für die Länder der Dritten Welt. Weil aber die Nachfrage auf den Weltmärkten und damit die Preise steigen, verhindern Länder, in denen Getreide, Mais und Reis angebaut wird durch höhere Ausfuhrzölle den Export, um vorrangig die eigene Bevölkerung zu ernähren und die heimische Inflation niedrig zu halten. Diese Version der "beggar-my-neighbour-Politik" hat wiederum fatale Auswirkungen für die Welternährung. Warum erkennen wir dies erst heute? Hatten wir doch geglaubt, zumindest seit der grünen Revolution vor mehr als 20 Jahren, alles dies könnte nicht mehr geschehen.
Es hat ein Paradigmenwechsel stattgefunden, der langfristige Folgen haben kann, die sogar die Auswirkungen von Kriegen übersteigen. Keine Prognose all jener klugen und weltweit operierenden und analysierenden Organisationen wie UN, OECD oder Welternährungsbehörde hat dies vorhergesehen. Wozu gibt es denn diese Institutionen eigentlich? Und ganz nebenbei unterhält nicht die europäische Mittelmacht Bundesrepublik Deutschland in fast jedem Land der Erde diplomatische Vertretungen mit klugen Diplomaten und Experten? Also gibt es vor Ort zumindest ausreichend Personal, um als Frühwarnsystem solche Entwicklungen zu beobachten und davon nach Hause zu berichten. Und an den relevanten Brennpunkten der Welt gibt es sogar Landwirtschaftsattachés – und nicht nur deutsche – was tun die eigentlich?
Fakt ist, dass die Politik relativ uninformiert geblieben ist. Jetzt wird hektisch an Lösungen zumindest für den Übergang gebastelt. Aber Übergang zu was? Dass die Weltbevölkerung abnimmt, darauf braucht nicht gehofft zu werden. Mag sein, dass Europa schrumpft, aber die Bevölkerungen in anderen Teilen der Welt, insbesondere in Afrika und Südamerika, wachsen ungebremst weiter. Man muss kein Prophet sein, um zu ahnen, dass in Kürze eine erneute Diskussion über genbehandelte Lebensmittel losbrechen wird. Denn, dieser als zweite grüne Revolution beschriebene Reformschub, kann Erstaunliches bewirken. Zum einen die Erträge noch einmal steigern. Aber nicht nur das. Sondern auch neue Sorten von Lebensmitteln züchten, die resistent gegen Dürre, salzige Böden oder Überschwemmungen sind. Die sind die Herausforderungen, die nach Überzeugung von Klimaforschern demnächst drohen.
Noch wehren sich die Experten in den Industriestaaten gegen die Gentechnik in der Nahrungsmittelwelt. Aber dafür müssen sie sich bald von Politikern aus den Ländern, in denen gehungert wird, anhören: "Eure Probleme können wir uns nicht leisten." Weltweite Verknappung von Getreide, Mais und Reis kann wieder Kriege auslösen. Da werden Bedenken gegen genbehandelte Nahrungsmittel wohl noch gehört, aber dann ziemlich schnell verworfen werden.
Dr. Friedrich Thelen, Jahrgang 1941, studierte Rechtswissenschaft, Geschichte und Philosophie. Er ist jetzt als Publizist tätig und war bis vor kurzem Büroleiter Berlin der "Wirtschaftswoche". Er hat langjährige berufliche Erfahrungen im angelsächsischen Raum.
Plötzlich wird klar, dass der in der industrialisierten Welt so hoch gepriesene Umstieg von fossilen Brennstoffen auf die vorher so hoch gepriesenen nachwachsenden Biokraftstoffe bittere Konsequenzen hat. Und zwar für die Ärmsten der Armen. Denen geht schlicht das Brot aus. Schon warnt die EU-Kommission vor ihrer eigenen Energiepolitik. Der Brüssler Umweltkommissar Stavros Dimas erklärt: "Wenn wir bis 2020 als oberste Priorität das Ziel ausgeben, zehn Prozent der benötigten Kraftstoffe aus Pflanzen herzustellen, werden Menschen und Natur den Preis dafür bezahlen müssen."
Wie das, fragt sich der fortschrittsgläubige Zentraleuropäer. Waren wir nicht alle davon überzeugt, dass es genügend Nahrung gäbe, und dass man die Landwirte im Gegenteil daran hindern müsse, zu viel zu produzieren. In Europa sind die Bilder von Butterbergen, Milchseen und überfüllten Getreidesilos noch nicht vergessen. Die musste man abbauen, sprich vernichten, um die Preise zu stabilisieren. Gleichzeitig wurden die amerikanischen Farmer Millionen Tonnen von Überschussgetreide nicht los. Und wechselnde amerikanische Regierungen kauften den Bauern und Wählern das Getreide ab und verteilten es dann in Notgebieten der Dritten Welt. Und das wiederum löste die Kritik der Entwicklungspolitiker aus. Diese argumentierten nicht zu Unrecht, mit solcher Art von staatlicher Nahrungsmittelzuteilung zerstöre man die Entwicklung der jeweiligen autochthonen Landwirtschaften in den Entwicklungsländern. Soweit - so schlecht – ein tödlicher Kreislauf.
Und nun sind wir in einem neuen Abwärtstrend angelangt. Die Umsteuerung der Nahrungsproduktion zur Energiegewinnung ist nicht der einzige Grund für die Verknappung von Lebensmitteln auf den Weltmärkten. Hinzugekommen ist ein entschieden höherer Verbrauch von veredelten Lebensmitteln in Schwellenländern. Und damit bleiben noch weniger Rohstoffe für die Länder der Dritten Welt. Weil aber die Nachfrage auf den Weltmärkten und damit die Preise steigen, verhindern Länder, in denen Getreide, Mais und Reis angebaut wird durch höhere Ausfuhrzölle den Export, um vorrangig die eigene Bevölkerung zu ernähren und die heimische Inflation niedrig zu halten. Diese Version der "beggar-my-neighbour-Politik" hat wiederum fatale Auswirkungen für die Welternährung. Warum erkennen wir dies erst heute? Hatten wir doch geglaubt, zumindest seit der grünen Revolution vor mehr als 20 Jahren, alles dies könnte nicht mehr geschehen.
Es hat ein Paradigmenwechsel stattgefunden, der langfristige Folgen haben kann, die sogar die Auswirkungen von Kriegen übersteigen. Keine Prognose all jener klugen und weltweit operierenden und analysierenden Organisationen wie UN, OECD oder Welternährungsbehörde hat dies vorhergesehen. Wozu gibt es denn diese Institutionen eigentlich? Und ganz nebenbei unterhält nicht die europäische Mittelmacht Bundesrepublik Deutschland in fast jedem Land der Erde diplomatische Vertretungen mit klugen Diplomaten und Experten? Also gibt es vor Ort zumindest ausreichend Personal, um als Frühwarnsystem solche Entwicklungen zu beobachten und davon nach Hause zu berichten. Und an den relevanten Brennpunkten der Welt gibt es sogar Landwirtschaftsattachés – und nicht nur deutsche – was tun die eigentlich?
Fakt ist, dass die Politik relativ uninformiert geblieben ist. Jetzt wird hektisch an Lösungen zumindest für den Übergang gebastelt. Aber Übergang zu was? Dass die Weltbevölkerung abnimmt, darauf braucht nicht gehofft zu werden. Mag sein, dass Europa schrumpft, aber die Bevölkerungen in anderen Teilen der Welt, insbesondere in Afrika und Südamerika, wachsen ungebremst weiter. Man muss kein Prophet sein, um zu ahnen, dass in Kürze eine erneute Diskussion über genbehandelte Lebensmittel losbrechen wird. Denn, dieser als zweite grüne Revolution beschriebene Reformschub, kann Erstaunliches bewirken. Zum einen die Erträge noch einmal steigern. Aber nicht nur das. Sondern auch neue Sorten von Lebensmitteln züchten, die resistent gegen Dürre, salzige Böden oder Überschwemmungen sind. Die sind die Herausforderungen, die nach Überzeugung von Klimaforschern demnächst drohen.
Noch wehren sich die Experten in den Industriestaaten gegen die Gentechnik in der Nahrungsmittelwelt. Aber dafür müssen sie sich bald von Politikern aus den Ländern, in denen gehungert wird, anhören: "Eure Probleme können wir uns nicht leisten." Weltweite Verknappung von Getreide, Mais und Reis kann wieder Kriege auslösen. Da werden Bedenken gegen genbehandelte Nahrungsmittel wohl noch gehört, aber dann ziemlich schnell verworfen werden.
Dr. Friedrich Thelen, Jahrgang 1941, studierte Rechtswissenschaft, Geschichte und Philosophie. Er ist jetzt als Publizist tätig und war bis vor kurzem Büroleiter Berlin der "Wirtschaftswoche". Er hat langjährige berufliche Erfahrungen im angelsächsischen Raum.