Der Hund und wir

Eine tierisch große Liebe

29:10 Minuten
Ein Hund auf dem Arm seiner Besitzerin in einem aufeinander abgestimmten, rosa Kostüm.
Hund und Besitzer im Pärchen-Look: Längst ist der Hund zum Gefährten avanciert. © Getty Images / Eduardo Munoz Alvarez
Von Frank Kaspar · 14.11.2019
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Hunde sind die besseren Menschen – behaupten jedenfalls so einige Tierliebhaber. Das mag übertrieben sein. Aber Hunde sind ziemlich gute Beziehungsberater. Denn in Sachen Kommunikation und Zusammenleben können wir noch einiges von ihnen lernen.
Mehr als neun Millionen Hunde leben in Deutschland. Ihre wichtigste Aufgabe besteht darin, Menschen Gesellschaft zu leisten und ihnen ein gutes Gefühl zu geben: als verwandte Seele, Ansprechpartner und Begleiter für alle Lebenslagen.
"In meiner sehnsuchtsvollen Vorstellung hatte ich mich stets an der Seite eines großen, stolzen, hochbeinigen Hundes mit schwarz oder braun glänzendem Fell und unbeugsamem Charakter gesehen, der mühelos über Gatterzäune springen und jeden Einbrecher in die Flucht schlagen könnte."
Die Kolumnistin Ildikó von Kürthy. Sie ist nicht allein mit ihrem Wunsch nach einem vierbeinigen Gefährten. Ihr Bestseller "Hilde. Mein neues Leben als Frauchen" versammelt Glücksmomente und Missgeschicke aus dem Alltag mit Hund.
"Die Terrassenbeleuchtung erhellt die Szenerie dürftig, aber ausreichend: Frau in Schlafanzug (Flanell, rosa) und Pantoffeln (Plüsch, gemustert), mit gezücktem Gassibeutel (schwarz, biologisch abbaubar) redet beschwörend auf kleinen Hund (karamel-beige) ein. Ich überlege mir, wie ich Hilde auf möglichst peinlichkeitsfreie Weise deutlich machen kann, dass hier und jetzt der geeignete Ort wäre, zumindest ihr kleines Geschäft zu verrichten."

Zahlreiche Beziehungsratgeber für Mensch und Tier

Der Partner "Hund" krempelt das Leben um. Er verlangt Zeit, Aufmerksamkeit und ein eigenes Budget. Die Ausgaben für Futter liegen bei 30 bis 100 Euro im Monat. Für den laufenden Betrieb mit Steuern, Tierarzt, Versicherung und Ausrüstung sollte man mit weiteren 100 Euro rechnen. Drei lange Spaziergänge am Tag sind Pflicht. Der Hund braucht Erziehung, er knüpft ständig Kontakte zu anderen Hunden und ihren Menschen. Das muss man wollen – und aushalten. Längst bilden Beziehungsratgeber für Mensch und Tier ein eigenes Genre. Sie widmen sich allen Altersstufen und Temperamenten:
"Entspannt durch die Flegelzeit. Wenn Hunde erwachsen werden"
"Der aufgeregte Hund. Gemeinsam zu mehr Ruhe und Gelassenheit"
"Die Weisheit alter Hunde. Gelassen sein, erkennen, was wirklich zählt – Was wir von grauen Schnauzen über das Leben lernen können"
Der Umgang mit Hunden ist persönlicher und emotionaler geworden, meint die britische Publizistin Jackey Collis Harvey. Die Grenze zwischen Mensch und Haustier verschwimmt dabei zusehends.
"Wir füttern unsere Haustiere in der Küche, in der wir auch selbst essen. Wir lassen sie in unserem Bett schlafen und gewähren ihnen damit ein Privileg, das die Mehrheit der Menschen nur ausgewählten Artgenossen einräumt. Wir streicheln sie spontan. Wir reden mit ihnen in jener Sprache, in der Mütter mit ihren Kindern reden. Und wenn sie sterben, trauern wir und erinnern uns an sie, wie wir es bei Familienmitgliedern tun." Jackey Collis Harvey: "Ziemlich beste Gefährten"

Vom Hüte- und Wachhund zum Gefährten

Von der Hundetagesstätte, über den Dogwalker-Service bis hin zum Tierbestatter reichen die Dienstleistungen, die den Hund vom einfachen Haustier in den Stand eines Gefährten erheben. Sport-, Erlebnis- und Ernährungsprogramme werden auf seine Bedürfnisse abgestimmt. Als Familienmitglied lebt er heute meist selbstverständlich in gemeinsamen Wohnräumen mit seinen Menschen. Noch vor ein, zwei Generationen war der Platz vieler Hunde draußen im Zwinger, in der Hütte oder im Stall.
"Heutzutage ist die soziale Bindung von Hundebesitzer zu seinem Vierbeiner sicher intensiver als vor einigen Jahrzehnten. Da war der Hund Gebrauchsgegenstand für die Jagd, um den Hof zu beschützen, um das Dorf zu beschützen."

Der Biologe und Wissenschaftsjournalist Jochen Stadler lebt in der Nähe von Wien. In seinem Buch "Guter Hund, böser Hund" beschreibt er ausführlich, wie sich das Zusammenleben von Mensch und Hund verändert hat.
"Natürlich gibt es weiterhin ‚Gebrauchshunde‘, die bei der Polizei, beim Militär, bei Rettungseinsätzen, für Jäger und als Therapiehunde arbeiten. Das ist für manche Hunde wirklich ein Beruf, für manche ein Hobby, die sind Familienhunde und werden mit solchen Aufgaben ehrenamtlich, sage ich mal, betraut."
Ein Hund mit einem Fasan in der Schnauze
Früher Jagd- und Wachhund - heute vor allem Gefährte.© imago images / Panthermedia / Brigandt

Der Hund als verlässlicher Sozialpartner

Jochen Stadler selbst engagiert sich in seiner Freizeit bei der Österreichischen Hundewasserrettung und bildet seine Hündin Kleo dafür aus, Menschen in Not zu Hilfe zu kommen. Er ist damit nicht allein. Beim Militär etwa werden Hunde darauf trainiert, Sprengstoff oder Rauschgift aufzuspüren. Sie unterstützen Soldaten bei Kampfeinsätzen. Die Bundeswehr züchtet sogar den Nachwuchs für ihre über 280 Diensthunde selbst, darunter auch Belgische Schäferhunde wie die US-Armee-Hündin "Conan", die Schlagzeilen machte, weil Präsident Donald Trump persönlich sie für ihren Einsatz lobte.
"Aber definitiv ist es so, dass die Mehrzahl der Hunde in Deutschland, Österreich Familienhunde sind, deren wichtigste Aufgabe für den Menschen ist, ein verlässlicher Sozialpartner zu sein."
Hunde, die als Familienmitglied gelten, werden heute auch ganz anders medizinisch behandelt, wenn es ihnen schlecht geht. Alice Kortekamp macht als Physiotherapeutin für Hunde Hausbesuche in der Eifel. Einmal in der Woche fährt sie zu ihrem Patienten Hubert. Der italienische Jagdhund leidet seit Langem unter Rückenproblemen.
"Er hat eine schlechte Hüfte, der hat Arthrose, Verdacht auf Bandscheibenvorfälle. Da geht es darum, ihm etwas Erleichterung, zu bringen, Schmerzlinderung. Das Ziel ist, dass er weniger Schmerzmittel nehmen muss, dass er im Alltag zurechtkommt. Zum Beispiel die Treppe kommt er nicht mehr gut hoch, da versuchen wir, daran zu arbeiten."

Kaum hört Hubert die Entspannungsmusik, legt er sich schon auf seine Matte. Alice Kortekamp tastet seinen Rücken ab, behutsam. Dann setzt sie die Akupunktur-Nadeln an.
"Jetzt fangen wir mal an. Es gibt hier ein paar schöne Punkte im Nackenbereich, auch gleichzeitig Meisterpunkte für die Knochen. Da er auch viele Knochenprobleme hat, das ist das schöne bei der Akupunktur, da kann man gleich mehrere Fliegen mit einer Klappe schlagen."
Akupunkturbehandlung bei einem Hund
Nicht nur für den Menschen: Akupunktur soll dem Haustier Linderung verschaffen.© imago images / Xinhua
Zusätzlich massiert sie Huberts Rücken mit einem speziellen Schallwellengerät. Sind Hunde heute verspannter als früher?
"Kann ich nicht sagen. Ich denke, früher war das dann halt so. Der Einzige, der wusste, dass er verspannt war, war der Hund. Heute haben die Leute ein bisschen mehr Sensibilität, denke ich, dass sie merken: Der Hund kann sich nicht gut bewegen."

Akupunktur und Goldimplantate für den Hund

Eine Behandlungseinheit Physiotherapie mit Akupunktur für Hunde kostet je nach Anbieter rund 30 bis 70 Euro, plus Anfahrt. Das ist nicht unüblich. Gerade wer einen älteren Hund hat, muss sich auf Extra-Ausgaben für Tierarztbesuche und medizinische Behandlungen einstellen, sagt Huberts Besitzer Bernhard. Aber die wohltuende Wirkung für seinen Hund ist es ihm wert.
"Unsere Erfahrungen sind gut. Beim Hubert sehen wir das eigentlich, dass er danach immer ein bisschen fideler ist und gelassener und fröhlicher. Also, man kann das wirklich merken, dass ihm das gut tut. Das kann man sehen und dann geht es einem selber auch gleich besser – es geht einem gut, weil es dem Hund gut geht."

Auf den ersten Blick sind Mensch und Hund ein ziemlich seltsames Gespann. Ein hoch entwickelter Primat und ein wilder Fleischfresser, zoologisch betrachtet passt da zunächst nicht viel zusammen. Das meint auch der britische Genetiker Bryan Sykes. In einer fiktiven Buch-Szene malt er sich aus, wie es sich zugetragen haben könnte, als Menschen und Wölfe begannen, gemeinsam auf die Jagd zu gehen. Eine Wölfin namens "Lupa" spielt in seiner Schilderung die Schlüsselrolle.
"Lupa, die ein Gespür für schwache Tiere hatte, suchte aus, welches Herdenmitglied gejagt werden sollte. Das Rudel hetzte es, und die Menschen folgten ihm, so gut es ging. Wenn das von der Herde getrennte Tier müde wurde, kesselten die Wölfe es ein, bis die Menschen eintrafen und es mit ihren Speeren töteten." – Bryan Sykes: "Darwins Hund"
Der Brite sieht im gemeinsamen Jagderfolg unserer Vorfahren mit dem Wolf eine entscheidende Weichenstellung für die Entwicklung des Menschen. Aus seiner Sicht hat Homo sapiens sich den Wolf nicht Untertan gemacht: Bryan Sykes spricht von einer "Koevolution", von der beide Arten profitierten.
"Diese Koevolution trug sogar entscheidend dazu bei, dass Homo sapiens im Wettbewerb mit anderen Hominiden wie dem Neandertaler die Oberhand gewann, aus seiner kleinen Nische heraus eine überwältigende zahlenmäßige Überlegenheit erreichte und den Einfluss erlangte, den wir heute genießen."
Grabstein auf Tierfriedhof in Berlin
Deutlich mehr als 100 Tierfriedhöfe gibt es mittlerweile in Deutschland.© imago images / Schöning

Wolf und Mensch – ein tödliches Gespann

Bryan Sykes geht nicht so weit zu behaupten, dass die gesamte menschliche Zivilisation auf vier Pfoten ruht. Aber er hält die Allianz von Mensch und Hund für ebenso entscheidend wie die Kontrolle des Feuers, die Entwicklung der Sprache und die Erfindung der Landwirtschaft. Auf 15.000 bis 40.000 Jahre vor unserer Zeit datieren Forscher die Phase, in der Wölfe sich Menschen angeschlossen haben – allem Anschein nach in der Eiszeit-Savanne, einem Lebensraum, den unsere Vorfahren sich erst erobern mussten.
"Das heißt also, der Mensch ist in eine Nische vorgestoßen, die bereits vergeben war, nämlich an den Wolf. Ist das nicht interessant? – Der Mensch ist in diese Nische vorgestoßen und hat sich dann mit dem Wolf befreundet. Er hat den Wolf, das weiß man aus prähistorischen Forschungen, verehrt als Totemtier, als mystischen Ahnen, und hat gleichzeitig sich mit dem Wolf befreundet. Und dann haben beide ihre Fähigkeiten zusammengelegt, und der Mensch als Jäger, der eigentlich gar nicht in diese Nische so richtig gehörte, biologisch, hat auch die falschen Zähne, kann aber sehr gut laufen, der Mensch als Jäger hat den Wolf als Jäger dazubekommen – und beide zusammen sind eine ziemlich tödliche Mischung."

Hunde haben Führungsqualitäten

Ein Spaziergang mit dem Biologen und Philosophen Andreas Weber auf den Spuren von Wolf, Hund und Mensch. Worauf beruht ihre Erfolgsgeschichte? Na gut, zunächst mal hat der Wolf die größeren Zähne.
"Ich glaube nicht, dass der Vorteil des Wolfs die großen Zähne waren. Sondern der Vorteil des Wolfes war, dass er extrem gut kooperiert, dass er miteinander gut kooperiert, dass er aber auch mit den Menschen gut kooperierte."
Durch Beobachtungen im Freiland haben Biologen entdeckt, dass Wolfsrudel keine so strikte Rangordnung haben, wie das lange Zeit behauptet wurde.
"Es gibt auch nicht den Leitwolf, sondern es gibt ein Elternpaar mit Kindern aus verschiedenen Jahren, die dann nach und nach abwandern. Und anders als es der Mythos will, ist die Leitung der Wolfsfamilie nicht das Dekret eines absolutistischen Herrschers oder Warlords, sondern ist familiäre Kooperation. Das heißt, da wird nicht befohlen, sondern es wird sozusagen ausgehandelt oder abgecheckt oder in Gegenseitigkeit situativ entschieden, ja, was jetzt gerade am besten passt: Okay, jetzt machst du das, du läufst jetzt da hinten rum, du bist jetzt näher dran. Wölfe sind extrem flexibel, Wölfe können auch Führung abgeben, also das Alpha-Tier, das es ja so gar nicht gibt, sagen wir, der Familienvater gibt die Führung auch ab an Jüngere – und sind also vergleichsweise un-hierarchisch strukturiert."

Die Wolfsforscher Günther Bloch und Elli Radinger halten es deshalb sogar für möglich, dass Menschen ihre "kooperative Gruppenkultur" von Wölfen übernommen haben. In ihrem Buch "Affe trifft Wolf" heißt es:
"Die Urmenschen hatten reichlich Gelegenheit, genau hinzuschauen, was wir heute bei unseren Wolfsstudien oft sehen: Wölfe, die Empathie ausdrücken, indem sie kranke und verletzte Gruppenmitglieder unterstützen, uneigennützig mit Futter versorgen, bis zur Selbstaufopferung alle zusammen Welpen aufziehen und sich in schlechten Zeiten kollektiv aus Nahrungsbunkern ernähren. Wir sehen ständig, dass Hundeartige auf hohem ‚ethisch-moralischem Niveau‘ interagieren und spielen, indem sie soziale Rollen einüben, Rollen tauschen und ‚Fair Play‘ praktizieren."
Der Biologe, Philosoph und Schriftsteller Andreas Weber mit seiner Hündin Erbse im Studio von Deutschlandradio Kultur.
Der Biologe, Philosoph und Schriftsteller Andreas Weber mit seiner Hündin Erbse im Studio von Deutschlandradio Kultur.© Deutschlandradio/ Sandra Ketterer

Rangfolge ist nicht alles

Auch Andreas Weber kann sich vorstellen, dass unsere Vorfahren sich nach dem Vorbild der Hundeartigen oder "Caniden" gewissermaßen selbst "gezähmt" haben. "Es ist ja ein Thema des Menschen als Primaten, wie er mit seiner Aggressivität umgeht und diese Aggressivität in Kooperativität verwandelt."
Denn unsere nächsten Verwandten unter den Primaten leben in Gruppen, die von Hierarchie und Dominanz geprägt sind. Andreas Weber: "Das Primatenerbe, aus dem wir kommen, da gibt es immer ein Alpha-Männchen, das einen Harem hat. Die anderen Männchen kommen nicht zum Zuge, und die Weibchen werden dominiert. Da ist ein total anders Erbe. Diese Primatenwelt ist viel brutaler als die Wolfswelt, weil es ständig darum geht, die Stellung in der Rangfolge zu bewahren. Das heißt, der Wolf, der sich an den Menschen anschloss, brachte diesem Menschen eine Form von Zahmheit, die der Mensch so vielleicht gar nicht kannte oder die er vielleicht gerade dabei war zu erfinden. Und das ist die Form von Zahmheit, die wir bei den Caniden finden."

Tausende Euro für die ärztliche Behandlung

Zurück in der Eifel: Alice Kortekamp trifft bei ihrem nächsten Patienten ein. Theo ist vier Jahre alt, ein stattlicher Rüde mit 86 Zentimetern Schulterhöhe. Aber drei Jahre lang plagten ihn starke Schmerzen, er konnte sich nicht mehr setzen und nicht mehr ins Auto steigen. Seine Besitzerin Anita entschied sich schließlich für eine Behandlung, bei der Goldstückchen in Theos erkrankte Gelenke implantiert wurden, um die Schmerzen zu lindern. Keine leichte Entscheidung, denn allein die Kosten für die Goldimplantation beliefen sich auf rund 3000 Euro.
"Ja, das war nur das. Vorher waren ja schon die Röntgenaufnahmen, die regelmäßigen Arztbesuche, das MRT gab es auch nicht umsonst. Das sind schon enorme Kosten. Ich denke, das muss man sich auch bewusst machen, wenn man ein Tier anschafft, dass das auf einen zukommen kann. Und für mich wäre es ganz schlimm, sagen zu können: Ich kann irgendwas, was er braucht für sein Wohlbefinden, aus Kostengründen nicht machen. Also das wäre ganz schlimm für mich."

Bevor seine Krankheit Theo so stark einschränkte, hatte Anita ihn zum Schulhund ausgebildet und an eine Grundschule mitgenommen, wo sie als Förderlehrerin unterrichtet.
"So ein Hund, der hinterfragt ja nicht und guckt sich den an: Mag ich den oder nicht? Er ist erst mal offen. Und wenn die freundlich auf ihn zugehen, dann zeigt er denen auch Zuneigung. Den interessiert nicht, ob das jetzt der Anführer in der Klasse ist, ob das ein guter Schüler ist oder ein schlechter."
Wenn Anita mit Theo in die Klasse kam, haben die Kinder ihm vorgelesen. "Und gerade die, die nicht so gut lesen können und Hemmungen haben, vor der Klasse zu lesen, die hatten keine Hemmungen, vor Theo zu lesen: Der ist nicht kritisch. Der hat einfach da gelegen und er hat es genossen, weil er Zuneigung bekommen hat durch die Kinder. Und die Kinder hatten das Gefühl, er hört ihnen zu."
Hund bei der Physiotherapie
Physiotherapie für den Hund: Auch junge Hunde brauchen bereits Hilfe.© imago images / Panthermedia / ms-grafi

Ein Hund, der gut zuhören kann

Mit Theo lernten die Schülerinnen und Schüler auch Grundzüge von Führung und Respekt im Umgang mit dem Hund. Eine klassische Aufgabe für Therapiehunde, die heute schon in zahlreichen Bereichen erfolgreich eingesetzt werden. Im Deutschen Assistenzhundezentrum in Berlin etwa werden Hunde professionell dazu ausgebildet, Menschen mit körperlicher oder psychischer Behinderung im Alltag zu unterstützen, bei Diabetes etwa oder bei Epilepsie. Studien konnten zudem zeigen, dass eine Therapie mit Hunden Blutdruck senkend wirkt und sich allgemein die psychische Befindlichkeit von Patienten stark bessert.
"So einem Hund als Zweitklässler zu sagen: Mach sitz! Dreh dich! Oder was auch immer, und der führt das aus. Das ist natürlich für das Selbstwertgefühl ganz toll: Der hört auf mich, der macht, was ich sage. Wenn ich es freundlich rüber bringe. Das war mir auch ganz wichtig, das haben wir in den ersten Stunden auch sehr intensiv besprochen: Wie gehe ich auf einen Hund zu? Was mag der nicht? Und dass die Kinder auch lernen, sich dann zurückzunehmen, auch wenn sie jetzt mal gerne zum Beispiel über die Rute fahren, weil die so imposant ist. Er mag es nicht, und dann muss ich das lassen. Weil ich möchte ja, dass er sich wohlfühlt. Und es war den Kindern wichtig, dass er sich wohlfühlt."
Auf dem Weg zum nächsten Physiotherapie-Termin kommt Alice Kortekamp noch einmal darauf zu sprechen, wie sich das Verhältnis vieler Halter zu ihren Hunden verändert hat, und was sie bereit sind, für ihre Behandlung zu investieren.
"Es ist halt schon eine Geldfrage, und es gibt auch immer wieder die Sprüche, die auch Tierärzte zu hören bekommen: Ja, lohnt sich das denn noch bei so einem alten Hund? Und das ist natürlich schwierig."
Und ein alter Hund ist es ja in aller Regel, nicht? "Nein, ich habe viele noch nicht mal ein Jahr alte Hunde, die schon operiert werden müssen – weil das Kreuzband gerissen ist, der Meniskus beschädigt ist, der Hund komplett lahmt am Hinterbein. Ich kenne Leute, die haben schon einen Kleinwagen in ihren Hund gesteckt, weil immer wieder eine Operation sich nach der anderen zog. Und die Leute sind auch bereit, das zu zahlen."

Mehr loben als schimpfen

Zu Besuch in einer Hundeschule in Berlin Neukölln-Britz: Auf dem weitläufigen Freigelände bietet Trainerin Jennifer Bozzo Übungen für Gruppen und Einzeltraining an. Denn der angemessene und artgerechte Umgang mit einem Hund verstehe sich nicht von selbst, sagt Jennifer Bozzo. Es beginne oft schon im Welpenalter, dass Besitzer einfach nicht bemerken, welche Beziehungsangebote ihr Hund ihnen macht.
"So ein Welpe schaut sehr oft zu seinem Besitzer hoch. Das wird meistens aber leider ignoriert. Und der Besitzer bemerkt immer erst dann, dass irgendwas ist, wenn der Hund sozusagen Blödsinn macht, was für einen Welpen auch ganz normal ist: dass er sehr viel von der Straße aufnimmt. Wie schmeckt so ein Blatt? Was ist Sand? Was sind Steine? Und da wird dann viel mehr eingegriffen: Oh Gott, oh Gott, er darf auf gar keinen Fall was in die Schnauze nehmen und das auch nicht runter schlucken. Und dann wird ganz viel geschimpft, und dann hat der Welpe natürlich noch weniger Lust, mit mir Gassi zu gehen. Und ich sage immer: Wer mehr mit seinem Hund schimpft als ihn zu loben, der hat ein Problem."

Auf der anderen Seite beobachtet Jennifer Bozzo bei immer mehr Leuten eine generelle Scheu, ihrem Hund Grenzen zu setzen.
"Der Hund läuft los, die Leine ist dann durchgezogen, und die Leute laufen lieber hinter ihrem Hund hinterher, als stehen zu bleiben, weil sie Angst davor haben, dass der Hund einen Ruck am Halsband erleben könnte, den er ja selber verursacht, aber das möchten die Besitzer nicht. Da wird dann vielmehr auf den Hund geachtet, auf seine Bedürfnisse als auf die eigenen. Und das geht dann zu weit. Dann bringe ich dem Hund lieber, vor allem wenn ich ihn im Welpenalter zu mir hole, gleich bei, dass er nicht mit mir Gassi geht, sondern ich mit ihm. Und das brauche ich auch nicht so zu machen, dass ich den absoluten Alpha raushängen lasse, sondern in dem ich ihm zeige, dass es sich lohnt, mit mir mit zu laufen."
Ein Hund blickt aufmerksam
Beobachtet genau, was Herrchen oder Frauchen sagen: Interaktion mit dem Hund ist wichtig.© imago images / Photocase / Photovogel

Gemeinsam etwas erleben

Denn die Erfahrung zeigt: Gemeinsame Erlebnisse motivieren einen Hund im Zweifel mehr als jedes Leckerli.
"Da ist zum Beispiel ein Baumstamm, da kann ich den Hund drüber balancieren lassen. Und wir beide freuen uns darüber, dass man was geschafft hat und zusammen was gemacht hat."
Auch Jochen Stadler plädiert für einen Führungsstil, der die Bedürfnisse des Hundes mit im Blick hat.
"Natürlich muss ein Hund lernen, wie man in der modernen menschlichen Welt zurechtkommt. Das kann er nicht wissen."
Aber von einem Hundeführer alter Schule grenzt er sich deutlich ab
"So jemand versucht, in jeder Situation dem Hund zu zeigen, dass er der Chef ist. Der Hund darf nicht auf die Couch, der Hund darf nicht als erster durch die Tür. Wenn der Hund sich nicht dementsprechend verhält, dann wird er oft mit Gewalt und Zwang zurechtgewiesen: Schmeiß den Hund um, fixiere den auf dem Boden, und wenn er dann ein winselndes Häuflein Elend ist, dann hat man halt gewonnen und ist der Dominante."

Aber was wäre dann ein guter Rudelführer? "Der Rudelführer im positiven Sinn ist jetzt kein dominanter Despot, sondern ein freundlicher Anführer, der zeigt, wie man in der Welt zurechtkommt, der mit gutem Beispiel vorangeht, der natürlich Grenzen setzt, wenn es für den Hund gefährlich wird, wenn es für andere Menschen unangenehm sind, aber das eben auf freundliche Art und mit positiver Bestätigung rüberbringt."
Deutscher Schäferhund schaut auf Hand des Besitzers
Nicht meckern, sondern loben: Das ist die Devise auf dem Hundeplatz.© imago images / chromorange

Mehr Achtsamkeit – dank Hunde-Spaziergang

Hausbesuch in der Eifel bei Claudia und Alexander. Ihr Labrador-Rüde Tasco ist gerade mal zwei Jahre alt, ein ungestümer junger Hund. Aber eine Gelenkserkrankung bremste ihn Monatelang aus, immer häufiger humpelte er ohne äußeren Anlass, schließlich schaffte er nicht mal mehr die Treppe hinauf in den ersten Stock.

Auch Tascos Besitzer haben sich für die Goldimplantation entschieden. Jetzt unterstützt Alice Kortekamp den Hund mit Massagen und gezielten Übungen bei der Rehabilitation. In der Zeit von Tascos Genesung ist Claudia besonders aufgefallen, wie das Zusammenleben mit Hund ihre eigene Wahrnehmung verändert. Die Aufmerksamkeit für ihn wirkt auf sie selbst zurück.
"Was mir bewusster geworden ist, wenn ich gestresst bin, dass das sich total auf ihn überträgt und ich dann erst mal für mich einen Punkt suchen muss, dass ich selber runterkomme und dann erst mit ihm gehe. Wenn ich dann mit ihm spazieren gehe, ist der auch ganz anders drauf. Also, sowas, bewusster halt, achtsamer sein mit vielen Dingen. Ich gehe halt morgens spazieren, nicht: Was muss ich heute noch alles machen? – Sondern ich genieße einfach, dass die Sonne aufgeht morgens, wenn ich um zehn vor sieben losgehe, das kann ich genießen. Das konnte ich vor drei Jahren nicht. Das wäre ein Ding der Unmöglichkeit gewesen. Und sowas wird mir bewusster. Also, ich würde sagen, vielleicht die Achtsamkeit, dass ich das von ihm gelernt habe."
Eine Frau beim Spaziergang mit ihrem Hund
Die Natur genießen und mal nicht auf das Smartphone schauen.© imago images / Design Pics / Diana Duzbayeva

Der Hund als Beziehungsberater

Andreas Weber: "Hunde schauen uns an, gucken uns an und sagen: Okay, wie bist du denn so drauf? Jetzt gucken wir mal. Also, das wissen sie, dass wir das so kommunizieren. Und sie brauchen auch diese Form von Kommunikation. Das heißt, der Hund hat auch noch was anderes gelernt, er hat ein Bedürfnis entwickelt, eingebunden zu sein in die menschliche Struktur. "
Im Lauf von mehreren zehntausend Jahren an der Seite des Menschen sind Hunde zu Experten in Beziehungsfragen geworden, glaubt Andreas Weber.
"Wir können zwei Dinge über eine gute Beziehung vom Hund lernen, und ich würde sagen, beides sind die fundamentalen Säulen einer guten Beziehung. Das Eine ist, dass zu einer guten Beziehung unbedingte Echtheit gehört, also Authentizität: Ich zeige dir meine Gefühle und bin so, wie du mich siehst, ich spiele dir nichts vor, bewusst oder unbewusst. Und das Zweite ist: Ich bin wirklich an Gegenseitigkeit interessiert. Das heißt, ich möchte dir wirklich etwas geben und ich vertraue darauf, dass du mir wirklich etwas geben wirst."

Lars Svendsen schreibt dazu in seinem Buch "Tiere verstehen": "Man kann behaupten, dass alle Tierarten in gewissem Sinne in ihrer ‚eigenen‘ Welt leben. Aus einer solchen Betrachtung heraus würden wir niemals ein Tier einer anderen Art verstehen. Das Tier würde in seiner Welt leben und wir in unserer. Allerdings sind die Grenzen zwischen diesen Welten porös."
Verständnis zwischen Mensch und Tier ist also bis zu einem gewissen Grad möglich, Vorausgesetzt: Beide habe ein Interesse an Verständigung.
"Im Zusammenleben mit einem Tier und dem Entwickeln einer Kommunikation – wobei das Tier lernt, Sie zu verstehen, und Sie das Tier – wird eine gemeinsame Welt aufgebaut. Es wird immer große Teile Ihrer Welt geben, an der das Tier nicht teilhaben kann, und umgekehrt. Durch das Zusammenleben wird die Welt, die man teilt, jedoch größer."

"Insofern: Ein Glück, dass wir die Hunde haben, um zu lernen, in Beziehung zu sein", ergänzt Andreas Weber.
"Das wäre in meinen Augen die Übersetzung von dem resignierten Satz des Menschen, den ich ja auch schon oft getroffen habe, der sagt: Hunde sind die besseren Menschen. Dann sagt der eigentlich: Hunde schaffen es, ohne Toxizität in Beziehung zu sein. Aber das schaffen wir auch, wenn wir das versuchen, und wenn wir das ihnen ein bisschen abschauen, glaube ich. Deswegen lebe ich mit meinem Pudel zusammen. Ist eine reinigende Beziehung."
Farmer streichelt seinen kleinen Hund, der auf seinem Schoß sitzt.
Die ganz große Liebe: Oft können wir vom Hund noch einiges über das Thema Beziehungen lernen.© imago images / Cavan Images
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