Der Humor der Düsseldorfer

Von Klaus Seifert · 11.11.2013
Der Humor kennt in Düsseldorf keine Saison, dafür aber Tradition. Heinrich Heine steht dafür, dessen feine Ironie beim satten Bürgertum gar nicht so gut ankam. Oder Volker Pispers, der beim Kom(m)ödchen lernte. Beim Karneval wird es allerdings ernst - weil scharf witzig.
Jedes Jahr, zuverlässig am 11. im 11., pünktlich um 11 Uhr elf, bricht im Rheinland der Frohsinn aus. (Tusch) Düsseldorfs Bolkerstraße mit ihren Hausbrauereien und Imbissläden mündet in den Rathausmarkt, wo heute nicht der in Bronze gegossene Kurfürst Jan Wellem hoch zu Ross das Sagen hat, sondern ein gewisser Hoppeditz. Den haben sie noch vor wenigen Monaten - am letzten Aschermittwoch - verbrannt, nun feiert er sein alljährliches Comeback mit einer Büttenrede. Vor Tausenden. Von Hans Peter Suchand, dem Sprecher des Commitees Düsseldorfer Carneval hätten wir gern erfahren, wer das ist – dieser rätselhafte Hoppeditz?

"Also, wo er herkommt, weiß man nicht genau. Es gibt da mehrere Deutungen. Er hat sich hier in Düsseldorf, warum weiß niemand, im 19. Jahrhundert etabliert . Es ist ihm auch auf dem Karlsplatz mal ein großes Denkmal gesetzt worden, das gibt es heute leider nicht mehr."

Ein Grufti unbekannter Herkunft also, der da mit einem einzigen Auftritt eine ‚fünfte Jahreszeit’ ausruft: Die Karnevalssession – im Rheinland ein mehrmonatiger Ausnahmezustand. Aber zum Glück ist alles geregelt.

"Wenn der Hoppeditz erwacht auf dem Rathausmarkt, dann beginnt der Karneval in Düsseldorf. Das ist der Kickoff für die Session."

Sehen und gesehen werden
Im Veranstaltungsmarathon haben die Sitzungen der Vorstadtvereine meist rustikalen Charme. Anders der vielkritisierte ‚Lackschuhkarneval’. In Sälen von Prestigehotels feiert eine selbstzufriedene Gesellschaft. – Sehen und gesehen werden scheint wichtiger zu sein als spontanes, von Herzen kommendes Lachen. Woher auch?

"Ich möchte die große Fernsehsitzung hier aus der Landeshauptstadt mit dem närrischen Schlachtruf der Landeshauptstadt eröffnen mit dreimal Düsseldorf –Helau – Committee Düsseldorfer Karneval – Helau – und ARD – Helau!"

So begann in der vergangenen Session die ‚Große Düsseldorfer ARD-Sitzung’. Ein Must für alle Promis von der Königsallee! Umrahmt von folkloristischen Tanzdarbietungen, ist der Auftritt des Prinzenpaares unverzichtbar. In Begleitung der ‚Prinzengarden’: Deren Auf- und Abmarsch droht schon mal das Fernsehformat zu sprengen. Die Stars des Abends aber sind oft hochbezahlte ‚Büttenredner’. Nicht wenige eingekauft aus Funk und Fernsehen, aber auch - meist betagte - Talente aus der Region. Eine Kostprobe:

"Ich bin ja nicht hierhin gekommen um rumzujammern. Zumindest als Lehrer bekomme ich auch mal was zu lachen, weil die Schüler einfach gut drauf sind.

Also, Allgemeinwissen heißt da wo ich unterrichte: Im Allgemeinen wissen wer nix. Einfachste Astronomie: Gibt es Leben auf dem Mond? – Kevin, wat meinste? – Klar, brennt doch jede Nacht Licht! – Meint ihr, die Menschheit könnte eines Tages auf dem Mond leben? – Niemals, Alter. – Richtig! Warum nicht? – Viel zu wenig Platz bei Halbmond!"

"Nich son Jemölch wie en Stück weiter südlich"
Keine Sitzung kommt ohne einen liebevollen Seitenhieb auf die Kölner Nachbarn aus. Ein unverwüstliches Thema: Das Düsseldorfer Nationalgetränk.

"Das ist unser Alt. Das trinkt man in Düsseldorf besonders gern kalt. Das ist goldbraun und deftig und nich son Jemölch wie en Stück weiter südlich. – Ja da nennt man das auch Bier. Das sieht aber aus wie Spülwasser und wenn Sie jetzt lachen, ich denk mir: Wer sowas trinkt, der macht auch andere Sachen. (Beifall und Tusch)"

So viel zum ‚Lackschuhkarneval’ in den Luxushotels. Aber wehe, wenn die Narren losgelassen. Beim Straßenkarneval, wenn der Zoch kütt, wird es ernst. Denn Düsseldorf zeigt die satirisch schärfsten Karnevalswagen im ganzen Land. Doch davon später.
Vom ‚Haus des Karnevals’ mit seinem kleinen Museum direkt neben dem Rathaus sind es nur ein paar Schritte durch die stets belebte Düsseldorfer Altstadt. Ziel ist das Haus, in dem 1797 ein humorvoller Dichter zur Welt kam: Heinrich Heine.

Wobei der Begriff Humor für Düsseldorfs prominentesten Sohn nicht ganz passend ist. Ironie und Satire treffen seine Texte besser. Heinrich Heine ist und blieb immer bekennender Düsseldorfer. Selbst im geliebten Pariser Exil hat er seine Heimatstadt nicht vergessen. Anders als die Stadt ihren Sohn. In den konservativen 60er-Jahren tat sie sich schwer, die neu gegründete Universität nach einem rebellischen Intellektuellen wie ihm zu nennen. Das ist inzwischen geschafft.

Mitten auf der Partymeile, die sich in bester Düsseldorfer Bescheidenheit die längste Theke der Welt nennt, steht Heinrich Heines Geburtshaus in der Bolkerstraße. Chefin ist hier Dr. Sieglinde Böhm.

"Heine ist hier geboren und das Haus wird seit 2006 in einer Public Private Partnership von der Landeshauptstadt Düsseldorf mit unserer Buchhandlung als Literaturhaus betrieben."

Ein Tempel des Heine-Kults?
"Ja, aber es ist nicht nur. Also genau so gut kommen junge Autoren wie jetzt letzte Woche Hanna Düpken, die gerade den Literaturförderpreis der Landeshauptstadt bekommen hat und hier sozusagen ihr Debut vorgestellt hat. – Also es geht mehr um Qualität und das kriegt man natürlich auf verschiedenen Ebenen."

Heine war nicht nur ein präziser Zeitzeuge, sondern auch ein Mann mit Visionen.

Nur einen Steinwurf entfernt von Heines Geburtshaus liegt die nächste Düsseldorfer Kultstätte: Das Kabarett mit dem schwer zu schreibenden Namen Kom(m)ödchen. Gegründet in der frühen Nachkriegszeit, 1947, haben Kay und die große Lore Lorentz von Düsseldorf aus Esprit ins Land versprüht. Der Anspruch war neu: literarisches Kabarett. Recht abenteuerlich angefangen hatte Alles: in einem Hinterzimmer.

"Das war eine ganz normale Kaschemme, eine Kneipe, vorne, wurde geführt von einem mittelalterlichen Ehepaar und dann ging man durch die ganze Kneipe durch, hinten öffnete sich eine Tür und man stand in einem Separé, würde man sagen. Ein Raum, in dem sich die Eltern damals mit Brettern eine Bühne gebaut haben und Vorhangstoff aufgehängt haben, Requisiten beschafft haben und ihr erstes Programm zur Premiere brachten am 29. März 1947","

erzählt Kay Sebastian Lorentz, Sohn der Komödchen Gründer.

Vor genau 20 Jahren hat er die Führung übernommen und gesteht, dass nicht Alles immer gut gelaufen ist. An die 70 Programme hat das Kom(m)ödchen bis heute auf die Bühne gebracht. Darunter ein Solo der Prinzipalin Lore Lorenz: vom August 1990. Im Programm ‚Denk ich an Deutschland …’ gestaltete Lore Lorentz einen ganzen Abend mit Texten von Heinrich Heine. Das fing leise an.

""Ich weiß nicht was soll es bedeuten, dass ich so traurig bin. Ein Märchen aus alten Zeiten, das geht mir nicht aus dem Sinn. Die Luft ist kühl (Publikum lacht), es dunkelt und ruhig fließt der Rhein. Der Gipfel des Berges funkelt im Abendsonnenschein. Die schönste Jungfrau sitzet dort oben wunderbar. Ihr goldnes Geschmeide blitzet, sie kämmt ihr goldenes Haar. Sie kämmt es mit goldenem Kamme und singt ein Lied dabei. Das hat eine wundersame, gewaltige Melodei. Den Schiffer in seinem Schiff ergreift es mit wilder Wehr. Er sieht nicht die Felsenriffe, er sieht nur hinauf in die Höh. Ich fürchte, die Wellen verschlingen am Ende noch Schiffer und Kahn. – Tja, das hat mit ihrem Singen die Loreley getan. – Lore: Womit wiederum bewiesen ist, dass man den Einfluss der Kunst nicht unterschätzen darf.""

Allerdigs war ja Heine eher ein Revolutionär als ein Romantiker - von der Trägheit seiner Landsleute eher enttäuscht.

""Es lässt sich nicht leugnen, dass auch die Deutschen die Freiheit lieben – aber anders wie andere Völker. Der Engländer liebt die Freiheit wie sein rechtmäßiges Weib. Er besitzt sie und auch wenn er sie nicht mit absonderlicher Zärtlichkeit behandelt, so weiß er sie doch im Notfall wie ein Mann zu verteidigen. Und wehe dem rotgeröckten Burschen der sich in ihr heiliges Schlafgemach drängt. Sei es als Galan oder als Scherge.

Der Franzose liebt die Freiheit wie seine erwählte Braut. Er glüht für sie, erflammte, er wirft sich zu ihren Füßen mit den überspanntesten Beteuerungen, er schlägt sich für sie auf Tod und Leben. Er begeht für sie tausenderlei Torheiten.

Der Deutsche liebt die Freiheit wie seine Großmutter."

Das Publikum von heute hat andere Ansprüche
Künstlerisch ist das Kom ödchen nicht stehen geblieben. Im eigenen Haus, einem kleinen Theater in der Düsseldorfer Kunsthalle, fühlt es sich inzwischen wohl. Kurz nach dem Einzug ätzte Lore Lorentz noch: Dieses Haus kann durch Beschuss nur gewinnen. Ihr Sohn Kay Sebastian würde dieses Fazit nicht mehr ziehen. Das Publikum von heute, glaubt Kay Sebastian Lorentz, hat andere Ansprüche.

"Ich würde sagen, wir gehen das Thema heute ein wenig unterhaltsamer an. Bei uns gibt es keinen erhobenen Zeigefinger mehr, kein gut und schlecht. Keine direkten Antworten auf gestellte Fragen und es gibt eigentlich auch keine Empfehlungen für Verhaltensweisen."

Wie geht das?

"Wir zeigen zum Beispiel, was Politik aus den Menschen macht. Und dadurch entsteht für den Zuschauer, glaube ich, eine Komik, die völlig frei ist von den Wertschätzungen der frühen Jahre. Früher, in den 60ern noch, da kam der Kabarettist auf die Bühne und hatte zwei Stunden lang recht…"

Im aktuellen Kom(m)ödchen Programm "Freaks" hören wir hinein in die Welt von Hubert und Uschi. Er ist Vorsitzender des Rotary Clubs Düsseldorf Meerbusch. Gemeinsam engagieren sie sich im Kampf gegen den Hunger in der Welt. Ihre Spende, 250 Euro, das Ergebnis einer Charity Sammlung auf dem Flohmarkt, wollen sie sogar persönlich nach Afrika bringen. Da kommt es auf 3000 Euro Flugkosten nicht an.

Freaks: "Also, ich bin der Hubert Köllekes von Cezanne of Meerbusch. Und dat is mein Frau, die wie heißt se noch? – Die Uschi, die Uschi! Ich vergess manchmal den Namen. Ha, kleiner Scherz –Spaß muss sein! Lachen is jesund – dafür sind wir ja Rheinländer! – Isch han et Häz op De Zung, wie man so schön sagt."

Hubert und Uschi engagieren sich auch sozial. Sie unterstützen auf Dauer ein Patenkind in Afrika.

Uschi und Hubert im Wechsel:
"Wir haben ja von Plan International ein Patenkind: Die kleine Meck Mock! - Kock Meck! – Mick Mock! – dat kleine schwarze Ding – ich vergesse dat jedet Mal, Hubert! – Der überweisen wer monatlich 30 Euro, dat die Kleine uns erzählt wie se so lebt in ihrem Afrika. Und da hat der Hubert erzählt wie er so lebt als Unternehmer. Und seitdem überweist dat Patenkind uns 30 Euro." (Gelächter, Applaus)

"Also ich meine weißt de wie die da unten leben – dat kannstde ja mit uns auch garnit vergleichen. Beide; Dat kannst de nich vergleichen! – weißt de die sehen ja auch schon ganz anders aus. Dat siehst de auf den ersten Blick, weißt de. Und wie die sich da unten organisieren, da mit den Nashörnern, ja! Ohne Staat, ohne Steuern – trotz Armut, junger Freund."

"Ja, die sind arm, aber die haben ja eine unglaubliche Würde im arm sein. Man braucht auch nit viel, um zufrieden zu sein."

"Brauchst Du wirklich nich! Und dat is jenau dat, wat ich immer sach: Dat wer in Deutschland auch mal anfangen müssen zu verzichten, ja. Kenn wer gar nit mehr: verzichten. Verzichten machen."

"Und ich ja auch. – Ja sicherlich. Manchmal da mach ich abends den Kühlschrank auf. Wat finde ich? Einen Broccoli, ein Möhrchen und eine Tomate. – Sach ich: holste bei Münstermann en Pfund Hummerkrabben dazu – mehr braucht der Mensch nich."

"Ach, da simmer janz Rheinländer: et kütt wie et kütt aber jeder muss gucken, wo er bleibt. - Richtig, hast de schön jesacht."

"So, und jetzt jehn mer." (Großer Applaus)"

"Nach Rosenmontag ist vor Rosenmontag"
Dass Humor und Satire selbst im Straßenkarneval ankommen, das beweist der Wagenbaukünstler Jacques Tilly. Ein geborener Düsseldorfer! In riesigen Hallen, früheren Straßenbahndepots, baut er mit seinem Team fast rund ums Jahr.

"Ja, nach Rosenmontag ist für uns vor Rosenmontag, wir haben einen oder zwei Monate nach Karneval Ruhe. Aber dann geht’s schon wieder los: Ab Mai rufen die ersten Vereine an und sagen: Ey, wo bleibt unser Entwurf? Und dann fängt unser Team schon an wieder zu bauen. Einige Wagen, die hierstehen sind schon ganz eingestaubt, weil sie schon seit einem halben Jahr fertiggestellt wurden."

Schade. Bunte Wagen aus Maschendraht und Pappmaschee, die einen Tag lang im Zug glänzen und gleich darauf geschreddert werden.

Was den Düsseldorfer Motivwagen die Würze gibt, ist der oftmals kühne Entwurf. So hatte Jaques Tilly schon 2012 eine Vision, die den Zustand der FDP nach der Wahl und das aktuelle Problem der Kanzlerin voraussah. Da es den Wagen nicht mehr gibt, schauen wir in Tillys Atelier auf den Entwurf. Harte Tatsachen in feiner Aquarelltechnik.

"Ein Motiv aus dem Jahr 2012 war das sogenannte Koalitionstandem. Vorne Angela Merkel strampelt sich ab, hinter ihr auf dem zweiten Sitz des Tandems die FDP in blau, aber als Skelett schon abgestorben, tritt natürlich nicht mit. Die ganze Arbeit wird von Merkel selbst gemacht. Die FDP damals schon auf dem absteigenden Ast und jetzt ist bei ihr endgültig das Licht ausgeknipst. Also insofern war dieser Wagen, er ist ja im Jahr 2012 gefahren, ein wenig prophetisch, visionär geradezu."

Hat der Kritiker einen öffentlichen Standpunkt?

"Mein Lieblingswagen, das ist, ja, der Adolf Hitler gewesen im Jahr 2007, der die NPD hinten ausscheidet, ganz mit heruntergelassener Hose unter dem Stichwort ‚Nachgeburt’, war auch ein sehr heikles Thema, weiß man ja wie scharf da Neonazis reagieren können. Wie gut, dass wir die Geheimhaltung haben. Wenn wir das vorher gezeigt hätten, (das wäre) aus Sicherheitsgründen hätte das nicht fahren dürfen."

Die Motivwagen werden seit 2000 strikt geheim gehalten. Das schützt die künstlerische Freiheit vor Prozesshanseln.

"Das besondere am Düsseldorfer Karneval ist, dass (uns Künstlern oder) mir die Karnevalsoberen echte Narrenfreiheit zugestehen. Das ist wirklich schon was besonderes. … Die Entwürfe, die ich mache, die werden nicht zensiert, die werden nicht gedeckelt, die werden nicht entschärft, sondern die sind manchmal zu wenig scharf. Es werden wirklich handfeste Gemeinheiten verlangt. Immer feste druff ist ja das Motto."

Aus schlechter Erfahrung zeigen Politiker heute immer weniger Kante. Hat Jacques Tilly Angst, dass ihm die Opfer ausgehen?

"Jahrelang war natürlich Präsident Bush hier unser liebster Punchingball. Auch Achmadinedschad, der iranische Präsident, auf den haben wir natürlich unheimlich gerne draufgehauen, Kardinal Meißner natürlich. Die haben sich jetzt alle fast verabschiedet bis auf Meißner – aber es werden bestimmt neue Idioten nachgeboren."