Der Hügel des Frühlings

Von Sigrid Brinkmann · 03.01.2009
1909 gründeten einige wenige Familien die Stadt Tel Aviv, zu deutsch: Hügel des Frühlings. Heute, zum hundertjährigen Bestehen, beeindruckt die israelische Stadt durch ihre ungeheure Dichte an Häusern, die vor allem Architekten der Bauhausschule entworfen haben. Seit 2003 steht Tel Aviv auf der Liste des UNESCO-Weltkulturerbes.
Der Denkmalschutz gehört zu den dringlichen Aufgaben in der schnelllebigen einzigen Metropole Israels. Ernst nimmt man ihn aber erst seit 15 Jahren. Das Abreißen war und ist noch immer eine Lust in dieser Stadt, die sich wohl fühlt in ihrer Geschichtsvergessenheit und nur vier Jahrzehnte nach ihrer Gründung einen hohen Geschäftsturm an die Stelle des ersten hebräischen Gymnasiums in der Herzl-Straße setzte. Ein symbolkräftiges Statement.

Die Architekturhistorikerin Sigal Barnir kehrt den dicht gedrängten schmalen Häusern in Tel Avivs teuerstem Viertel Newe Zedek den Rücken und blickt in Richtung Meer. Der Strand, meint sie, habe Tel Aviv seine Daseinsberechtigung gegeben.

"Das Word 'chol' bedeutet zweierlei: 'Sand' und 'nicht religiös'. Viele hebräische Wörter habe eine doppelte Bedeutung. Der Strand diente immer der Erholung. Zugleich war er die Verbindung zum Westen und erinnerte an unsere Herkunft. Ich glaube, dass der Strand das Unterbewusste der Stadt verkörpert. Wenn sich Tel Aviv von etwas abgekehrt hat, dann von Jaffa. Die Dünen sind sicheres Terrain. Die Häusersiedlungen dahinter schon nicht mehr. Nehmen Sie Machloul im Norden von Tel Aviv, auf der Höhe der Gordon Strasse. Dort standen arabische Häuser, aber wer denkt heute noch daran."

Die lichten Bilder des Malers Reuven Rubin atmen das orientalische Flair der Gründerzeit, und sie zeugen vom Wachsen der Stadt zwischen den Dünen. Das Rubin Museum liegt direkt neben dem gerade wieder eröffneten Haus des israelischen Nationaldichters Chaim Nachman Bialik.

Wer sich dorthin begibt, entdeckt den für Tel Aviv typischen Stilmix in seiner konzentriertesten Form. Zur Linken des Bialik-Hauses befindet sich in einem Halbrund das alte Rathaus mit seinen hochstrebenden Säulen. Gegenüber steht ein strahlend weißes, lang gestrecktes Gebäude aus der frühen Bauhaus-Periode; direkt daneben ein einstöckiger Flachbau, den eine auffällige Menora krönt.

Tel Aviv wollte in seinen Anfängen auch "Gartenstadt" sein. Die ursprünglich als Erholungsheim gegründete Einrichtung wurde von einem Rabbi gekauft und in eine Synagoge umgewandelt. Weiter längs der Straße sieht man Häuser, die im sogenannten eklektischen Stil gebaut wurden. Jugendstilelemente und romantische Details wie geschwungene Treppen, schmiedeeiserne Geländer und kleinen Türmchen verbinden sich mit der nüchternen, modernen Architektur. Ayelet Bitan Shlonsky leitet das Bialik-Haus.

"Als Bialik sich 1924 hier niederließ, wollte er den Orient ganz in sich aufnehmen. Er wollte ein Teil des Orients werden, ganz anders als jene Architekten, die in den dreißiger Jahren der Stadt ihren modernistischen Stempel aufprägten. Der Bauhaus-Stil verkörpert den internationalen Stil des Westens. Tel Aviv hat dem in den dreißiger Jahren klar den Vorzug gegeben, das war eine politische Entscheidung. Als Bialik hier aus der Ukraine ankam, war Tel Aviv noch stärker in die Region eingebettet."

Reuven Rubin war zu jener Zeit ein bereits anerkannter Maler. Seine Kunst repräsentiert den zionistischen Wunsch, sich im "Altneuland" zu verwurzeln. Rubins Schwiegertochter, die Kunsthistorikerin Carmela Rubin, leitet das ihm gewidmete Museum seit 25 Jahren. In Kürze eröffnet sie eine Ausstellung mit 38 Künstlern, die in ihren Arbeiten Van Goghsche Motive aufgegriffen haben. In den 30er und 40er Jahren, sagt Carmela Rubin, hingen in jedem Kibbuz Reproduktionen von Van Gogh-Bildern.

"1963 schickte die holländische Regierung über hundert Van Gogh-Originale nach Tel Aviv. Sie wurden im Helena Rubinstein Pavillon ausgestellt. Eine Leihgabe dieser Größenordnung ist heute unvorstellbar. Ich war damals Studentin, und diese Schau hat mir die Augen geöffnet. Es war viel mehr als nur ein Kunstereignis, es war ein Meilenstein. Die Ausstellung hier hat einen nostalgischen Touch, denn sie erinnert uns auch an die wundervolle Naivität der frühen Jahre in Israel und Van Goghs damalige Gegenwart in Tel Aviv."

Das Rubin-Museum liegt nur 200 Meter entfernt von der lärmigen Allenby-Straße, auf der Ludmila täglich bis in die Nachmittagsstunden Akkordeon spielt. Die Allenby stößt direkt auf den Rothschild-Boulevard, das Herzstück des frühen Tel Aviv, mit Häusern, die an Wien und Paris erinnern und etlichen Kiosken, die bis spät in die Nacht als Bar fungieren.

Der Rothschild- Boulevard endet am Habima-Theater, das gerade restauriert wird. Der für seine begehbaren Kunstwerke berühmte Bildhauer Dani Karavan gestaltet den Platz um das Nationaltheater und das nebenstehende Mann-Auditorium neu. Von Februar bis Ende 2009 werden auf über 1000 Stellwänden längs der großen Boulevards historische Aufnahmen präsentiert; in den Stadtparks stellen bildende Künstler aus.

Einzigartig bleibt Tel Aviv wegen der ungeheuren Dichte an Häusern, die Architekten der Bauhaus-Schule in den 30er und 40er Jahren gebaut haben. 2003 hat die UNESCO Tel Aviv deshalb in die Liste des Weltkulturerbes aufgenommen. Nitza Szmuk, Professorin am Technion in Haifa, überwacht die Restaurierungsarbeiten. Drei neue Bauhaus-Routen bieten architekturkundige Stadtführer im Jubiläumsjahr an. Nitza Szmuk:

"Worauf es heute ankommt, ist klar zu erkennen, welche Häuser zur ersten, zweiten und dritten Bauphase der Stadt gehören, welche zur Bauhaus-Periode zählen und welche den lokalen internationalen Stil verkörpern. Die modernen Bauten der 50er Jahre sind wunderbar. Heute sind zu viele Gebäude von grauem Einheits-Putz überdeckt. Sie sehen sich recht ähnlich, unterscheiden sich bei genauem Hinsehen jedoch deutlich. Ich liebe hier einfach alles!"
Ein Gebäude im Bauhaus-Stil in Tel Aviv
Ein Gebäude im Bauhaus-Stil in Tel Aviv© AP Archiv
Gebäude im Bauhaus-Stil in Tel Aviv
Gebäude im Bauhaus-Stil in Tel Aviv© AP Archiv