"Der Holocaust hat mein berufliches Leben begleitet"

Moderation: Holger Hettinger · 31.07.2007
Unter dem Titel "Heilen nach dem Holocaust – Erinnerungen eines Psychoanalytikers" sind die Memoiren des Amerikaners Henri Parens gerade auf Deutsch erschienen. Darin stellt er fest, dass der Schlüssel zu dem, womit er sich in seinem Leben beschäftigt hat, mit seiner eigenen Biografie zusammenhängt. Der Belgier war der Einzige seiner Familie, der den Holocaust überlebte.
11 Jahre ist Henri Parens alt, als er gemeinsam mit seiner Mutter aus Belgien vor den Nationalsozialisten flieht. Eine abenteuerliche Flucht über Marseille führt ihn 1942 nach Amerika. Dort wird er von einer amerikanischen Familie aufgenommen.

Parens, Jahrgang 1928, studiert Psychologie, wird ein weltweit anerkannter Kinderpsychiater und Psychoanalytiker. Sein Thema: Er erforscht Vorurteile und die Ursachen menschlicher Aggression. Ein Thema, das geprägt ist von seinen eigenen Erfahrungen – und das sich speist aus der Hoffnung, dass "die Zivilisation lernt", wie Henri Parens es formuliert.

Welche Erkenntnisse Henri Parens darüber gewonnen hat, wie man Kinder zur Friedfertigkeit erzieht, und wie ihm seine Arbeit als Psychoanalytiker geholfen hat, seine eigene Geschichte zu verstehen und zu verarbeiten, darüber sprach Deutschlandradio Kultur mit Henri Parens. Lesen Sie hier einen Auszug aus dem Gespräch:

Hettinger: Herr Parens, die Erfahrung des Holocaust ist leitend geworden für Ihre Tätigkeit als Psychotherapeut. In welche Bereiche hat sich Ihre Erfahrung ausgewirkt?

Parens: Ich muss sagen, dass sich diese Erfahrung auf alle Bereiche sehr ausgewirkt hat in meiner Arbeit. Das ist mir eigentlich erst richtig bewusst geworden, als ich angefangen habe, meine Memoiren zu schreiben. Ich habe damit im Alter von 72 Jahren angefangen. Ich habe damals damit begonnen, weil ich das Gefühl hatte, dass ich nicht mehr genau weiß, wie viel Zeit mir dafür bleibt. Also wollte ich dieses Buch schreiben. Dabei habe ich dann gelernt, wie sehr der Holocaust meine eigene Arbeit beeinflusst hat: zum Beispiel, dass ich überhaupt Psychiater geworden bin und Psychoanalytiker für Erwachsene und auch und insbesondere für Kinder. (…) Das erste Projekt, mit dem ich mich beschäftigt habe, war, inwieweit die Mutter-Kind-Beziehung eine Auswirkung auf die adaptiven Fähigkeiten des Kindes hat, also auf die Fähigkeiten des Kindes, sich den Gegebenheiten anzupassen. Im Laufe dieses Forschungsprojektes habe ich nach ungefähr sechs Monaten bei den Kindern ein Verhalten entdeckt, das mich sehr überrascht hat. Das Verhalten bestand darin, dass diese Kinder schon in einem sehr jungen Alter – mit fünf, sechs oder acht Monaten – anfangen, Aggressionen zu zeigen. (…) Ich habe erst später, als ich das Buch geschrieben habe, verstanden, warum das so war. Das ist ja letztlich keine Überraschung, dass jemand, der den Holocaust überlebt hat, sich die Frage stellt: Wie kann es sein, dass Menschen anderen Menschen gegenüber ein so destruktives Verhalten an den Tag legen. (…) Dazu kam dann aber auch noch, dass ich erkannt habe, dass exzessive Feindseligkeit mit Vorurteilen verbunden ist. Also habe ich angefangen, mich auch mit Vorurteilen auseinanderzusetzen. Das habe ich jetzt seit ungefähr sieben oder acht Jahren gemacht. Und nun ist es wichtig, sich mit der Prävention bösartiger Vorurteile zu beschäftigen. Sie sehen also, der Holocaust hat wirklich mein gesamtes berufliches Leben begleitet und beeinflusst und es war eine Offenbarung für mich, das zu erkennen, denn auf diese Weise habe ich gesehen, dass mein Leben einen Sinn bekommen hat.

Sie können das vollständige Gespräch bis zum 31.12.2007 in unserem Audio-on-Demand-Player nachhören.