Der Hofprediger des Weißen Hauses
In den USA gehörte der Baptistenpastor Billy Graham über Jahrzehnte zu den einflussreichsten Männern des Landes. Mit seinen Predigten füllte Graham ganze Stadien. Für viele Europäer hingegen war das "Maschinengewehr Gottes" als wichtiger Repräsentant der evangelikalen Welt mit besten Beziehungen zum Weißen Haus verdächtig.
"Ich möchte die Bibel für Euch öffnen. Sie besteht aus 66 Büchern …"
März 1954, Olympiastadion Berlin. Die Mauer gibt es noch nicht und zigtausende Ost- und Westberliner staunen, dass einer mit so viel Pathos so schlichte Tatsachen sagen kann.
William Franklin Graham, geboren am 7. November 1918 als Farmersohn in North Carolina, war von seinen Mitstudenten am erzkonservativen freikirchlichen Wheaton College bereits als "Billy, die predigende Windmühle" verspottet worden. Weil er wild gestikulierte, zu schnell und zu laut sprach und immer nur eine Botschaft hatte: "Also hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen eingeborenen Sohn gab, damit alle, die an ihn glauben, nicht verloren gehen, sondern ewiges Leben haben." Johannes-Evangelium Kapitel 3, 16.
Wer dem zustimmte, sollte aufstehen, vor Grahams Rednerpult kommen und dort "sein Leben Jesus übergeben". 1949 hatte Billy Graham das 56 Abende hintereinander in Los Angeles gepredigt und 1957 im Madison Square Garden New York 16 Wochen lang. Ohne auch nur einen Tag Pause und vor allabendlich überfüllten Rängen.
"Wir leben in der kritischen Stunde der Menschheitsgeschichte ..."
Auch 1962, kurz nach der Kubakrise am Rande eines Atomkriegs zwischen Russland und den USA, lag für den Vater von fünf Kindern die Lösung aller Probleme in der Bekehrung des Einzelnen zu Jesus. Der Baptistenpastor aus den Südstaaten mit der eigenen Zeitschrift und dem eigenen Radiosender sprach am 3. Juni 1973 vor 1,12 Millionen Menschen in Seoul/Südkorea. Angeblich die größte gottesdienstliche Versammlung der Kirchengeschichte. Erst seine zwanzig Jahre andauernde, allzu enge Freundschaft mit Präsident Richard Nixon, der im Watergate-Skandal abstürzte, brachte Billy Grahams Reputation ins Trudeln. Knapp 30 Jahre später, 2002, wurden Tonbänder veröffentlicht, die den frommen Massenevangelisten schwer belasteten. Billy Graham predigte 1978 in Krakau, am Tag als Karol Wojtyla zum Papst gewählt wurde und 1982 in Moskau, als verfolgte sibirische Christen in die amerikanische Botschaft geflohen waren. Manche gutgläubige Missionsreise geriet zum diplomatischen Fettnapf-Parcours, auch 1982 in der DDR und 1988 in China, weil Billy Graham einerseits eine moralische Instanz, andrerseits aber kein offizieller Gesandter des Weißen Hauses und kein "Kirchenführer" im repräsentativen Sinne war. Auch nicht für den Weltbund der baptistischen Freikirchen.
Auf der Synode der evangelischen Kirche Deutschlands im November 1992 sprach der altersmilde gewordene Grandseigneur der Volksmission über die Notwendigkeit seriöser Verkündigung im Fernsehen. Die deutschen Bischöfe im Plenum wussten, dass in den USA eine Heerschar radikal-konservativer und pfingstkirchlicher Fernsehprediger in Sex- und Korruptionsskandalen untergegangen war und er, Billy Graham, der letzte aufrechte Unbescholtene seiner Zunft ist.
Als er im März 1993 von der Essener Gruga-Halle aus die europaweit übertragene Evangelisation "Pro Christ" anstieß, gab er den deutschen Evangelikalen damit ihr bis heute öffentlichkeitswirksamstes Instrument in die Hand.
Wer ihm noch das vergilbte Etikett "Billy Graham, das Maschinengewehr Gottes" verpassen wollte, outete sich als ewiggestriger Altlinker. Der Rest der Welt hatte zur Kenntnis genommen, dass Prominente von Michael Gorbatschow bis Johnny Cash ihn als ihren Seelsorger bezeichneten und Billy Graham 45 Mal in Folge unter die "zehn einflussreichsten Amerikaner des Jahres" gewählt worden war.
Auf der interreligiösen Gedenkfeier in der National Cathedral von Washington, drei Tage nach dem 11. September 2001, durfte er ebenso wenig fehlen wie beim privaten Festbankett zur zweiten Amtszeit von George W. Bush. Seine holzschnittartige Theologie und Moral einerseits, aber deren Popularität und Wirkung andrerseits; seine unkritische Nähe zu allen US-Präsidenten seit Harry S. Truman einerseits, sein besonnener und mäßigende Einfluss auf sie andrerseits haben Billy Graham zu einer umstrittenen, aber unbestritten historischen Persönlichkeit der Religion im 20. Jahrhundert gemacht.
März 1954, Olympiastadion Berlin. Die Mauer gibt es noch nicht und zigtausende Ost- und Westberliner staunen, dass einer mit so viel Pathos so schlichte Tatsachen sagen kann.
William Franklin Graham, geboren am 7. November 1918 als Farmersohn in North Carolina, war von seinen Mitstudenten am erzkonservativen freikirchlichen Wheaton College bereits als "Billy, die predigende Windmühle" verspottet worden. Weil er wild gestikulierte, zu schnell und zu laut sprach und immer nur eine Botschaft hatte: "Also hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen eingeborenen Sohn gab, damit alle, die an ihn glauben, nicht verloren gehen, sondern ewiges Leben haben." Johannes-Evangelium Kapitel 3, 16.
Wer dem zustimmte, sollte aufstehen, vor Grahams Rednerpult kommen und dort "sein Leben Jesus übergeben". 1949 hatte Billy Graham das 56 Abende hintereinander in Los Angeles gepredigt und 1957 im Madison Square Garden New York 16 Wochen lang. Ohne auch nur einen Tag Pause und vor allabendlich überfüllten Rängen.
"Wir leben in der kritischen Stunde der Menschheitsgeschichte ..."
Auch 1962, kurz nach der Kubakrise am Rande eines Atomkriegs zwischen Russland und den USA, lag für den Vater von fünf Kindern die Lösung aller Probleme in der Bekehrung des Einzelnen zu Jesus. Der Baptistenpastor aus den Südstaaten mit der eigenen Zeitschrift und dem eigenen Radiosender sprach am 3. Juni 1973 vor 1,12 Millionen Menschen in Seoul/Südkorea. Angeblich die größte gottesdienstliche Versammlung der Kirchengeschichte. Erst seine zwanzig Jahre andauernde, allzu enge Freundschaft mit Präsident Richard Nixon, der im Watergate-Skandal abstürzte, brachte Billy Grahams Reputation ins Trudeln. Knapp 30 Jahre später, 2002, wurden Tonbänder veröffentlicht, die den frommen Massenevangelisten schwer belasteten. Billy Graham predigte 1978 in Krakau, am Tag als Karol Wojtyla zum Papst gewählt wurde und 1982 in Moskau, als verfolgte sibirische Christen in die amerikanische Botschaft geflohen waren. Manche gutgläubige Missionsreise geriet zum diplomatischen Fettnapf-Parcours, auch 1982 in der DDR und 1988 in China, weil Billy Graham einerseits eine moralische Instanz, andrerseits aber kein offizieller Gesandter des Weißen Hauses und kein "Kirchenführer" im repräsentativen Sinne war. Auch nicht für den Weltbund der baptistischen Freikirchen.
Auf der Synode der evangelischen Kirche Deutschlands im November 1992 sprach der altersmilde gewordene Grandseigneur der Volksmission über die Notwendigkeit seriöser Verkündigung im Fernsehen. Die deutschen Bischöfe im Plenum wussten, dass in den USA eine Heerschar radikal-konservativer und pfingstkirchlicher Fernsehprediger in Sex- und Korruptionsskandalen untergegangen war und er, Billy Graham, der letzte aufrechte Unbescholtene seiner Zunft ist.
Als er im März 1993 von der Essener Gruga-Halle aus die europaweit übertragene Evangelisation "Pro Christ" anstieß, gab er den deutschen Evangelikalen damit ihr bis heute öffentlichkeitswirksamstes Instrument in die Hand.
Wer ihm noch das vergilbte Etikett "Billy Graham, das Maschinengewehr Gottes" verpassen wollte, outete sich als ewiggestriger Altlinker. Der Rest der Welt hatte zur Kenntnis genommen, dass Prominente von Michael Gorbatschow bis Johnny Cash ihn als ihren Seelsorger bezeichneten und Billy Graham 45 Mal in Folge unter die "zehn einflussreichsten Amerikaner des Jahres" gewählt worden war.
Auf der interreligiösen Gedenkfeier in der National Cathedral von Washington, drei Tage nach dem 11. September 2001, durfte er ebenso wenig fehlen wie beim privaten Festbankett zur zweiten Amtszeit von George W. Bush. Seine holzschnittartige Theologie und Moral einerseits, aber deren Popularität und Wirkung andrerseits; seine unkritische Nähe zu allen US-Präsidenten seit Harry S. Truman einerseits, sein besonnener und mäßigende Einfluss auf sie andrerseits haben Billy Graham zu einer umstrittenen, aber unbestritten historischen Persönlichkeit der Religion im 20. Jahrhundert gemacht.