Der Herrscher auf dem Nachttopf

Von Volkhard App · 08.12.2006
Als Napoleon sich anschickte, seinen Machtbereich auf halb Europa auszudehnen, geriet er auch ins Blickfeld der Karikaturisten. Zunächst nur in England, da auf dem Kontinent die Zensurgesetze die satirische Beschäftigung mit dem Herrscher verboten. Wie eine Ausstellung in Hannover zeigt, setzte mit Napoleons Niedergang auch hier eine intensive Karikaturenproduktion ein.
Karikaturisten können erbarmungslos sein - scharfrichterähnlich greifen sie anatomische Besonderheiten auf, um die Großen der Geschichte auf den Boden der Tatsachen zu holen. Bei James Gillray, dem garstigen Briten, und seinen angriffslustigen Kollegen wird Napoleon immer wieder zum Bonsai-Imperator mit Zweispitz, ja zum rasenden Giftzwerg - "Little Boney” genannt, "Kleiner Knochen”. Mit einem riesigen Messer bittet er andere Herrscher zur Rasur, versinkt beim desaströsen Russlandfeldzug aber bis zur Kinnlade im Schnee.

Vom Ort der Völkerschlacht flieht er 1813 versteckt unter dem Rock einer erschrockenen Lady. Bald spielen der österreichische und preußische Feldmarschall mit dem Winzling Federball. Oder er ist zum Kreisel gestutzt, angetrieben von den Peitschen der siegreichen Gegner.

Für viele Zeichner war Napoleon eine sichere Bank, zumal die britischen Künstler nicht immer bloß das eigene Königshaus attackieren wollten. Gisela Vetter-Liebenow vom Wilhelm-Busch-Museum über die Schaulust des englischen Publikums:

"In England haben sich die Karikaturen seit Mitte des 18. Jahrhunderts dadurch ein breites Publikum erobert, dass sie einerseits in den Auslagen der Grafikhandlungen zu besichtigen waren, andererseits durch fliegende Händler auch auf das Land gekommen sind. Vor diesen Auslagen der Grafikhändler in London zum Beispiel haben sich Menschen aus ganz unterschiedlichen Schichten getroffen, da gibt es den Offizier, der neben dem Straßenjungen steht. Wir wissen aber auch, dass der englische König mit seiner Familie an diesen Auslagen vorbeimarschierte, um sich zu informieren: Welche Themen werden da behandelt, wer ist dran, 'bin ich vielleicht karikiert?'. Und die Menschen haben sich darüber unterhalten und gleichzeitig eine Meinung gebildet."

Um zu zeigen, wes Geistes Kind der große kleine Korse ursprünglich war, stellten Karikaturisten dem Emporkömmling immer mal Schreckgespenster mit Jakobinermützen zur Seite. Die Kaiserkrönung 1804 war für die Spötter ebenfalls ein gefundenes Fressen. Neben Gillray profilierten sich George Cruikshank und Thomas Rowlandson mit dem recht kurz geratenen Feldherrn. In Deutschland herrschte Vorzensur:

"In Deutschland hat die Zensur bis 1813, bis zu Napoleons Niederlage in der Völkerschlacht bei Leipzig, das Erscheinen von Karikaturen verhindert. Es gab sie nicht, weil die Aufsicht sehr wirkungsvoll war und es grundsätzlich nicht erlaubt war, dass das Volk einen Souverän - und sei es auch einen feindlichen - karikierte, sich also anmaßte, einen Herrscher zu beurteilen."

Doch selbst, als während der Befreiungskriege die Spielräume in Deutschland größer wurden, wirkten manche Bilder bieder und viele Künstler zogen es vor, anonym zu bleiben. "Warum schwebt ... hie und da über Schreibtischen und Buchläden noch immer eine ängstliche Wachsamkeit?”, glaubte 1814 August von Kotzebue fragen zu müssen.

In Frankreich wurden Zeichner und Kritiker erst durch Napoleons Niedergang ermutigt. Überhaupt setzte der visuelle Erfindungsreichtum in Europa mit dem Abstieg des französischen "Universalmonarchen" ein: zu groß war die Fallhöhe, als dass sie nicht die Spottlust kräftig belebt hätte. Als Münchhausen wird er uns vorgestellt mit endlosen Textblasen, und er steckt tief in der Tinte - nämlich bis zu den Hüften in einem Tintenglas. Am Ende fallen Kartenhäuser in sich zusammen und Seifenblasen platzen.

Auf Elba thront Napoleon auf einem überdimensionierten Nachttopf, und auf St. Helena sitzt er nicht mehr hoch zu Ross, sondern reitet auf einer fetten Ratte. Das Höllenfeuer wartet ohnehin auf ihn, das ist sein wahres Waterloo: Der Teufel wiegt ihn als Baby in den Armen wie einst Maria das Jesuskind.

Karikierte Politiker aus unseren Tagen erbitten sich von den Zeichnern schon mal das Original für die Bürowand. Damals aber konnten Herrscher noch richtig übel nehmen, erst recht im Völlegefühl ihrer Macht:

"Napoleon hat im 'Frieden von Amiens', den er 1802 mit England schloss, eigentlich die Absicht gehabt, einen Passus aufzunehmen, der englische Karikaturisten wie Mörder oder Räuber behandeln sollte. Zugleich forderte er seine Landsleute auf, Karikaturen gegen die Engländer zu zeichnen, verbot aber im eigenen Land alle kritischen Stimmen, die gegen ihn selbst gerichtet waren."

Eine berühmte und vielfach imitierte Radierung stammt aus Deutschland, entworfen 1813 von den Gebrüdern Henschel. Napoleons sorgsam gezeichneter Kopf setzt sich aus Leichen zusammen, der Kragen ist ein Blutstrom, der Orden ein Spinnengewebe. Auch andere Cartoonisten wiesen auf die Opfer des entfesselten Feldherrn hin, auf die in Russland zurückgelassenen Soldaten oder die Leichen bei Leipzig, an denen Raben herumpicken, die sich bei Napoleon denn auch für die herzhafte Mahlzeit bedanken.

Größer könnte der Kontrast gar nicht sein als zu den heroisierenden Gemälden, Stichen und Büsten, mit denen das Wilhelm Busch Museum die kritischen Blätter zusätzlich konfrontiert: Napoleon erscheint hier als genialer, tatkräftiger Herrscher, den Blick hat er ins Weite gerichtet, wie er solchen Leuten ja zueigen ist. Mancher Werbedesigner von heute, der Politiker dem Wahlvolk mit vielen optischen Tricks anpreist, wird angesichts dieses Glanzes vor Neid erblassen.

Die historische Wahrheit über Napoleon dürfte hingegen bei den streitlustigen Zeichnern liegen. Über 2000 Karikaturen erschienen zwischen 1797 und 1815. Aus einer großen Sammlung wird in Hannover eine beeindruckende Auswahl präsentiert, Zeugnisse sind es aus dem "Goldenen Zeitalter” der Karikaturen:

"Also für die englischen Karikaturen ist es wirklich das Goldene Zeitalter. Es ist die Epoche von James Gillray, George Cruikshank und Thomas Rowlandson, die die politische Karikatur als Instrument erfinden und gleichzeitig ihre Themen in einer unglaublichen künstlerischen Qualität umsetzen. Diese Blätter sind also einerseits ein Genuss für die Augen und andererseits ein aufschlussreiches und sehr interessantes Meinungsbild."

Die kolorierte Radierung als populäres subversives Medium. Wohl dem, der damals einen solchen Druck in Händen hielt und sich über die Mächtigen dieser Erde amüsieren konnte.