"Der Herr der Regeln"
Im richtigen Leben sind sie Lehrer, Kaufmann, Schlosser, Schneider, Optiker, Arzt oder Betriebswirt, also "normale" Menschen, die einem Beruf nachgehen. Ein- oder mehrmals die Woche jedoch betreten diese unauffälligen Zeitgenossen die große Fußballbühne und stehen im Rampenlicht: Schiedsrichter. Eine Ausstellung in Leipzig widmet sich den Männern und Frauen in Schwarz und zeigt, wer die wirklich wichtigste Person auf dem Platz ist.
"Tor, Tor, Toor …" "Das ist doch 'ne Frechheit, was der hier pfeift! Nur für eine Richtung - gelbe Karten für uns, rote Karten für uns!" "Ich werde hier inzwischen mit Orangen, mit Steinen beworfen ... das wird natürlich der FIFA gemeldet."
Hexenkessel Fußballstadion. Die Emotionen schlagen hoch, die Nerven liegen blank. Nicht selten kocht die Stimmung über, wenn der Referee eine vermeintliche Fehlentscheidung trifft und so die Zuschauer gegen sich aufbringt. Wüste Beschimpfungen und Schuldzuweisungen sind die Folge. - Dabei geht es nicht ohne die Unparteiischen. Kein Anpfiff, kein Abstoß, kein Tor, kein Fußballspiel ohne die Schiedsrichter. Doch auch Volker Rodekamp, Direktor des Stadtgeschichtlichen Museums in Leipzig, kann sich noch gut an den Umgangston im Stadion erinnern.
"Ich bin selbst in meiner Jugendzeit Jugendspieler gewesen in Bielefeld. Und habe bei Arminia Bielefeld, zu der ich immer noch eine gewisse Neigung habe, auf der Tribüne gestanden. Und für uns waren immer dann die Schiedsrichter, ich sag mal: böse Leute, wenn sie nicht in unserem Sinne für die Heim-Mannschaft gepfiffen haben. Also ich sag mal der Begriff 'schwarze Sau' war eigentlich in aller Munde."
"Schwarze Sau" - so lautete denn auch der erste Arbeitstitel für die Schiedsrichter-Ausstellung in Leipzig. Doch so ganz glücklich war der Name nicht gewählt. Denn im Laufe der letzten Jahre ist auch der Referee immer mehr ins Rampenlicht gerückt. Seit Star-Schiedsrichter, wie etwa der Italiener Pierluigi Collina, die Zunft in ein schillerndes Licht getaucht haben, verändert sich das Bild der Unparteiischen, so Volker Rodekamp:
"Deswegen ist gewissermaßen der Schiedsrichter nicht mehr dieser randstehende schwarze Mann, den keiner kennt, sondern es sind Lichtgestalten, es sind Medien-Zampanos, die heute außerordentlich wichtig sind, die befragt werden, die kommentieren. Deren Entscheidungen von großer Tragweite ist. Eine Entscheidung eines Schiedsrichters heute, ein Elfmeter: ja oder nein, eine gepfiffene Schwalbe, ist heute zum Teil eine Millionenentscheidung. Und der Schiedsrichter, der 23. Mann, ist kein fünftes Rad am Wagen, sondern er ist die zentrale Figur des gegenwärtigen Fußballs."
Deshalb lautet der Titel nun auch "Der Herr der Regeln", in Anlehnung an Tolkien, was der veränderten Sichtweise auf die Referees gerecht wird. Zu Beginn der 600 Quadratmeter großen Schau mit über 900 Exponaten werden die Anfänge des Schiedsrichterwesens unter die Lupe genommen. Dazu Ausstellungskuratorin Gerlinde Rohr:
"Uns ging es darum, das wir zumindest in einem vorgesetzten Ausstellungsteil auf die Wurzeln des Schiedsrichterwesens mit verweisen. Das wir auch die Schiedsrichter von heute durchaus mal mit zum Nachdenken bringen: Wo kommt denn ihr Agieren, ihre Regeln, nach denen sie heutzutage auf dem Spielfeld handeln, wo kommt das Ganze her? Das ist also keine Erfindung des modernen Fußballs, sondern reicht weit zurück."
Bei den alten Griechen vor mehr als 2000 Jahren waren es die Hellanodiken, die im sportlichen Wettkampf auf die Einhaltung der Regeln achteten. Im Mittelalter dann gab es so genannte Grieswärtel, die auf Schützenfesten mit Schlagstöcken etwaige Regelverstöße ahndeten. Dabei ging es noch nicht um Fußball, doch auch damals schon waren Fouls und andere Unsportlichkeiten nicht gern gesehen. Heute bedient man sich freilich subtilerer Mittel, um die Spieler auf dem Rasen zur Räson zu bringen. Vor allem beliebt: die gelbe und die rote Karte. In Leipzig erfährt der Besucher, dass der bedruckte Karton erst 1970 zum Einsatz kam.
Gerlinde Rohr: "Ja, die Idee, die reicht vier Jahre zurück, … zur WM 1966 als es eben mal wieder ein WM-Spiel gab, bei dem Eskalationen im Spielverlauf aufgetreten sind. Ein Spieler, der herausgestellt werden sollte, wollte das einfach nicht verstanden haben, die Zuschauer wussten auch nicht, was auf dem Platz passiert. Und der Schiedsrichterbeobachter Ken Aston hat sich gedacht: Wir müssen eine eindeutige Zeichensprache für Schiedsrichter erfinden, dass die Spieler eindeutig begreifen, worum es geht, und auch die Zuschauer sehen, was der Schiedsrichter sagen will. Und so kam er halt bei der Fahrt durch London, als er mehrfach an von gelb auf rot schaltenden Ampeln warten musste, auf die rote und die gelbe Karte."
Die Ken Aston-Fahrt durch London - nur eines der vielen Details aus der Schiedsrichterzunft, die es in Leipzig zu entdecken gilt. Neben der ersten gelben und roten Karte, die je in einem Fußballspiel verwendet wurden, liegen Originalspielberichte, Schiedsrichterausstattungen und Schmähbriefe aus, welche die Unparteiischen von aufgebrachten Fans erreichten. Leider nur am Rande erwähnt wird der große Schiedsrichter-Skandal um Robert Hoyzer. Da ging der Lack doch gehörig ab. Etwas mehr Mut beim Thema Schiebereien hätte der ansonst überzeugenden Ausstellung sicher gut getan. Zu den unbestrittenen Highlights jedoch zählt jene Pfeife, die 1966 zum Schrecken aller hiesigen Fußballfans ertönte, als der deutschen Elf das berühmteste aller Tore - das Wembley-Tor - zum Verhängnis wurde.
Live-Kommentator von damals: "Und da kommt eine Flanke nach innen, die Engländer haben eine Schusschance ... und ... kein Tor, kein Tor! Der Linienrichter hat die Fahne nicht hoch. Der Ball prallt von der Querlatte ab, das war wieder Glück! Hurst hatte geschossen, und der Ball schien im Netz ... Nein! Der Linienrichter gibt Tor. Der Linienrichter gibt Tor. Er hat den Ball im Netz gesehen."
Der damalige Spielleiter, Gottfried Dienst aus der Schweiz, gehört dennoch zu den Auserwählten, die am Ende der Ausstellung in einer Art Hall of Fame gewürdigt werden. Mit dabei auch der einzige Deutsche, der bisher ein WM-Endspiel leiten durfte: Rudi Glöckner aus Leipzig. Ihm zu Ehren holt Gerlinde Rohr sogar noch einmal Glöckners alten Pfeifensatz aus der Ausstellungsvitrine.
"Die unscheinbaren sind meistens die viel wichtigeren. Der hat also wie die meisten Schiedsrichter für die Leitung des Endspiels eben die goldene Pfeife bekommen. Aber mit der unscheinbaren hat er das Endspiel geleitet."
Service:
Die Ausstellung "Herr der Regeln. Der Fußball-Referee" ist noch bis zum 30. Juli 2006 im Neubau des Stadtgeschichtlichen Museums Leipzig zu sehen.
Hexenkessel Fußballstadion. Die Emotionen schlagen hoch, die Nerven liegen blank. Nicht selten kocht die Stimmung über, wenn der Referee eine vermeintliche Fehlentscheidung trifft und so die Zuschauer gegen sich aufbringt. Wüste Beschimpfungen und Schuldzuweisungen sind die Folge. - Dabei geht es nicht ohne die Unparteiischen. Kein Anpfiff, kein Abstoß, kein Tor, kein Fußballspiel ohne die Schiedsrichter. Doch auch Volker Rodekamp, Direktor des Stadtgeschichtlichen Museums in Leipzig, kann sich noch gut an den Umgangston im Stadion erinnern.
"Ich bin selbst in meiner Jugendzeit Jugendspieler gewesen in Bielefeld. Und habe bei Arminia Bielefeld, zu der ich immer noch eine gewisse Neigung habe, auf der Tribüne gestanden. Und für uns waren immer dann die Schiedsrichter, ich sag mal: böse Leute, wenn sie nicht in unserem Sinne für die Heim-Mannschaft gepfiffen haben. Also ich sag mal der Begriff 'schwarze Sau' war eigentlich in aller Munde."
"Schwarze Sau" - so lautete denn auch der erste Arbeitstitel für die Schiedsrichter-Ausstellung in Leipzig. Doch so ganz glücklich war der Name nicht gewählt. Denn im Laufe der letzten Jahre ist auch der Referee immer mehr ins Rampenlicht gerückt. Seit Star-Schiedsrichter, wie etwa der Italiener Pierluigi Collina, die Zunft in ein schillerndes Licht getaucht haben, verändert sich das Bild der Unparteiischen, so Volker Rodekamp:
"Deswegen ist gewissermaßen der Schiedsrichter nicht mehr dieser randstehende schwarze Mann, den keiner kennt, sondern es sind Lichtgestalten, es sind Medien-Zampanos, die heute außerordentlich wichtig sind, die befragt werden, die kommentieren. Deren Entscheidungen von großer Tragweite ist. Eine Entscheidung eines Schiedsrichters heute, ein Elfmeter: ja oder nein, eine gepfiffene Schwalbe, ist heute zum Teil eine Millionenentscheidung. Und der Schiedsrichter, der 23. Mann, ist kein fünftes Rad am Wagen, sondern er ist die zentrale Figur des gegenwärtigen Fußballs."
Deshalb lautet der Titel nun auch "Der Herr der Regeln", in Anlehnung an Tolkien, was der veränderten Sichtweise auf die Referees gerecht wird. Zu Beginn der 600 Quadratmeter großen Schau mit über 900 Exponaten werden die Anfänge des Schiedsrichterwesens unter die Lupe genommen. Dazu Ausstellungskuratorin Gerlinde Rohr:
"Uns ging es darum, das wir zumindest in einem vorgesetzten Ausstellungsteil auf die Wurzeln des Schiedsrichterwesens mit verweisen. Das wir auch die Schiedsrichter von heute durchaus mal mit zum Nachdenken bringen: Wo kommt denn ihr Agieren, ihre Regeln, nach denen sie heutzutage auf dem Spielfeld handeln, wo kommt das Ganze her? Das ist also keine Erfindung des modernen Fußballs, sondern reicht weit zurück."
Bei den alten Griechen vor mehr als 2000 Jahren waren es die Hellanodiken, die im sportlichen Wettkampf auf die Einhaltung der Regeln achteten. Im Mittelalter dann gab es so genannte Grieswärtel, die auf Schützenfesten mit Schlagstöcken etwaige Regelverstöße ahndeten. Dabei ging es noch nicht um Fußball, doch auch damals schon waren Fouls und andere Unsportlichkeiten nicht gern gesehen. Heute bedient man sich freilich subtilerer Mittel, um die Spieler auf dem Rasen zur Räson zu bringen. Vor allem beliebt: die gelbe und die rote Karte. In Leipzig erfährt der Besucher, dass der bedruckte Karton erst 1970 zum Einsatz kam.
Gerlinde Rohr: "Ja, die Idee, die reicht vier Jahre zurück, … zur WM 1966 als es eben mal wieder ein WM-Spiel gab, bei dem Eskalationen im Spielverlauf aufgetreten sind. Ein Spieler, der herausgestellt werden sollte, wollte das einfach nicht verstanden haben, die Zuschauer wussten auch nicht, was auf dem Platz passiert. Und der Schiedsrichterbeobachter Ken Aston hat sich gedacht: Wir müssen eine eindeutige Zeichensprache für Schiedsrichter erfinden, dass die Spieler eindeutig begreifen, worum es geht, und auch die Zuschauer sehen, was der Schiedsrichter sagen will. Und so kam er halt bei der Fahrt durch London, als er mehrfach an von gelb auf rot schaltenden Ampeln warten musste, auf die rote und die gelbe Karte."
Die Ken Aston-Fahrt durch London - nur eines der vielen Details aus der Schiedsrichterzunft, die es in Leipzig zu entdecken gilt. Neben der ersten gelben und roten Karte, die je in einem Fußballspiel verwendet wurden, liegen Originalspielberichte, Schiedsrichterausstattungen und Schmähbriefe aus, welche die Unparteiischen von aufgebrachten Fans erreichten. Leider nur am Rande erwähnt wird der große Schiedsrichter-Skandal um Robert Hoyzer. Da ging der Lack doch gehörig ab. Etwas mehr Mut beim Thema Schiebereien hätte der ansonst überzeugenden Ausstellung sicher gut getan. Zu den unbestrittenen Highlights jedoch zählt jene Pfeife, die 1966 zum Schrecken aller hiesigen Fußballfans ertönte, als der deutschen Elf das berühmteste aller Tore - das Wembley-Tor - zum Verhängnis wurde.
Live-Kommentator von damals: "Und da kommt eine Flanke nach innen, die Engländer haben eine Schusschance ... und ... kein Tor, kein Tor! Der Linienrichter hat die Fahne nicht hoch. Der Ball prallt von der Querlatte ab, das war wieder Glück! Hurst hatte geschossen, und der Ball schien im Netz ... Nein! Der Linienrichter gibt Tor. Der Linienrichter gibt Tor. Er hat den Ball im Netz gesehen."
Der damalige Spielleiter, Gottfried Dienst aus der Schweiz, gehört dennoch zu den Auserwählten, die am Ende der Ausstellung in einer Art Hall of Fame gewürdigt werden. Mit dabei auch der einzige Deutsche, der bisher ein WM-Endspiel leiten durfte: Rudi Glöckner aus Leipzig. Ihm zu Ehren holt Gerlinde Rohr sogar noch einmal Glöckners alten Pfeifensatz aus der Ausstellungsvitrine.
"Die unscheinbaren sind meistens die viel wichtigeren. Der hat also wie die meisten Schiedsrichter für die Leitung des Endspiels eben die goldene Pfeife bekommen. Aber mit der unscheinbaren hat er das Endspiel geleitet."
Service:
Die Ausstellung "Herr der Regeln. Der Fußball-Referee" ist noch bis zum 30. Juli 2006 im Neubau des Stadtgeschichtlichen Museums Leipzig zu sehen.