Der Heilige und seine Reichtümer

Von Thomas Migge |
Seit dem Mittelalter war der Heilige San Gennaro weit über Neapel und Italien hinaus berühmt. Er wurde jahrhundertelang verehrt - und hat in dieser Zeit die weltweit reichste Schatzkammer angesammelt.
Gläubige singen und beten, Santa Maria Assunta, die Kathedrale von Neapel ist brechend voll. Dann wird applaudiert: Es erscheint Crescenzio Sepe, Erzbischof von Neapel, begleitet von den in Frack gekleideten Mitgliedern der aristokratischen Erzbruderschaft des Heiligen Gennaro, der Bürgermeisterin und anderen städtischen Honoratioren.

Während der Erzbischof die Ampulle mit dem pulverisierten, rund 1.700 Jahre alten Blut hochhält und immer wieder hin und her schwenkt, beten einige Frauen laut und rufen den Heiligen an.

Dann plötzlich wird es still, ganz still, denn Bischof Sepe hält bei seinen Hin- und Herbewegungen der Ampulle inne. Die Spannung in der Kathedrale ist groß. Was wird jetzt geschehen? Wird sich auch dieses Mal das vermeintliche Wunder wiederholen?

Schließlich schaut der Erzbischof in die Menge und verkündet, dass sich das Blut erneut verflüssigt habe. Der Jubel der anwesenden Menschen bricht hervor.

Drei Mal im Jahr vollzieht sich das Wunder des San Gennaro: Jeweils am Vorabend des ersten Maisonntags, an diesem Tag sollen die Reliquien des Heiligen beigesetzt worden sein, am 16. Dezember, an diesem Tag im Jahr 1631 brach der Vesuv aus, und am 19. September, dem Datum des Martyriums von San Gennaro. Anfang des 4. Jahrhunderts soll der Bischof Januarius, Gennaro, auf Geheiß von Kaiser Diokletian enthauptet worden sein – viel mehr ist nicht über ihn bekannt.

Doch San Gennaro wird seit vielen Jahrhunderten in Neapel hoch verehrt. Die wohl eindrucksvollsten Beweise dafür sind zum einen die rege Teilnahme der Neapolitaner an der traditionellen Feier der Blutverflüssigung und zum anderen sein Schatz - zusammengetragen in Jahrhunderten tiefster Verehrung. San Gennaro hat die – weltweit – reichste Schatzkammer überhaupt. Noch umfangreicher als die der österreichischen Habsburger, der Zaren und der Königin von England. Zusammengetragen wurden Tausende von Monstranzen, mit Gold und Silber durchwirkte Gewänder, Diamantenketten, zahllose Büsten mit Juwelen, Tiaren aus purem Gold und, und, und. Erstmals werden nun einige der schönsten Stücke dem Publikum gezeigt.

Der Kunsthistoriker Paolo Iorio vom neapolitanischen San-Gennaro-Museum:

"Dieses Projekt ging von unserem Museum aus. Wir haben lange über eine solche Ausstellung nachgedacht, diskutiert, geplant, aber es ist doch ein Wunder, dass es schließlich so weit kommen konnte."

Die offizielle Geburtsstunde dieses als unschätzbar deklarierten Kirchenschatzes schlug 1527. In Neapel wütete die Pest und französische sowie spanische Heere bedrohten die Stadt. Man rief San Gennaro an und bat um seine Hilfe. Versprochen wurde eine eigene Votivkapelle mit Kirchenschatz. Und siehe da: Die Pest klang ab, die feindlichen Heere verschwanden und schnell flossen enorme Spenden für den versprochenen Kirchenschatz.

Seit dem Mittelalter war der Heilige weit über Neapel und Italien hinaus berühmt. Könige und Kaiser, Fürsten und Päpste beschenkten ihn. Zum Beispiel mit einer aus Gold und Edelsteinen komplett verzierten Büste aus dem Jahr 1305. Ein Geschenk von Karl von Anjou. Die französischen Bourbonen schickten 1697 eine protzige Kette aus Gold mit Hunderten von Diamanten. Papst Pius IX. beschenkte den Heiligen 1849 mit einem fast 50 Zentimeter hohen Goldkelch des Künstlers Giuseppe Valadier – verbunden mit der Bitte, sich gegen die auch in Italien wütenden bürgerlichen und antikirchlichen Revolutionäre stark zu machen. Sogar Napoleon Bonaparte, dessen Verhältnis zur Kirche durchaus zwiespältig war, schickte ein Geschenk.

Dazu die neapolitanische Kunsthistorikerin Carla Morelli:

"Eine Monstranz in Silber und mit großen Rubinen besetzt, ein Werk, das verschiedene Darstellungsebenen bietet, vom Fuß bis zum eigentlichen Hostienbehälter, der Engel auf Wolken sitzend zeigt. Der von Napoleon in Neapel eingesetzte König Gioacchino Murat übergab sie dem Kirchenschatz, auf Anweisung von Napoleon höchstpersönlich."

Das Verhalten des französischen Kaisers ausgerechnet diesem Kirchenschatz gegenüber ist interessant. Carla Morelli:

"Der gleiche Napoleon Bonaparte, der überall in Italien Kunstwerke stehlen ließ, um sie nach Paris zu bringen, rührte in Neapel nichts an, sondern ließ durch seinen Neffen Murat sogar noch eine wunderschöne Monstranz überbringen."

Der Schatz des Heiligen wird heute in der Kathedrale und in den einbruchssicheren Kellern einer Bank aufbewahrt – und ist fast komplett unzugänglich. Verwaltet wird er seit Jahrhunderten von einer katholischen Erzbruderschaft, die sich aus Angehörigen des neapolitanischen Adels zusammensetzt. Prinz Fabio Albertini di Cimiti gehört zu dieser Bruderschaft:

"Das ist jetzt das erste Mal, dass diese Gegenstände, die wichtigsten dieses Schatzes, zusammen gezeigt werden. Ich denke mir, das ist genau das, was sich die Bevölkerung von Neapel schon seit Langem wünscht, diese Kostbarkeiten endlich zu sehen. Vielleicht könnte man diese Ausstellung auch ins Ausland schicken."

Die Erzbruderschaft erfüllt eine wichtige Aufgabe. Ihre Mitglieder präsentieren sich nicht nur bei festlichen Gottesdiensten in der Kathedrale - gekleidet in schwarze Mäntel mit aufgestickten Kreuzen. Prinz Albertini di Cimiti:

"Wir existieren ja seit 1527 und unsere Aufgabe besteht darin, diesen Schatz, so wie er ist und komplett zu erhalten und den Glauben an den Heiligen zu verbreiten."

Die Erzbruderschaft erfüllt ihre "Wächtertätigkeit" mit großem Erfolg. Der Schatz des San Gennaro wurde nie bestohlen oder geplündert. So sorgen die Erzbrüder jetzt auch dafür, dass die fünf Ausstellungsorte strengstens bewacht werden - denn man weiß, dass die lokale Mafia, die Camorra, seit Jahren einen Gutteil ihrer Einnahmen mit dem Verkauf gestohlener Kunstwerke macht. Von dieser für die Bosse lukrativen Tätigkeit zeugen übrigens viele Gotteshäuser in Neapel: Verschwunden ist alles, was nicht niet- und nagelfest ist.