Der Hauswächter

Von Stephanie Rohde |
Wohnen wird immer teurer. Vor allem Geringverdiener können sich häufig selbst ein WG-Zimmer in stadtnahen Vierteln kaum leisten. Wer kein Problem damit hat, in einem ehemaligen Krankenzimmer zu schlafen, kann sich als Hauswächter bewerben. Eine Entdeckungstour.
"Zombies hab ich hier nicht erwartet, stattdessen aber so einen Nazidoktor, der hier seine Experimente gemacht hat. Das waren so meine ersten Gedanken, die ich hatte, als ich hier her gekommen bin."

Tür auf. Kein Nazidoktor. Stattdessen ein altes Krankenhauszimmer, es riecht nach staubigen Vorhängen. Jakub Krajniks neues Zuhause.

Dreckgrüne Schränke stehen neben der Türe, auf die Beschriftungen wie "Spritzen", "Kanülen" oder "Tupfer" geklebt wurden. Auch die Schubladen sind stilecht und naturbelassen: dunkelrote, eingetrocknete Flecken grüßen, wenn man sie öffnet. Daneben hat Jakub sein Bett gestellt, die Umzugskartons muss er erst noch auspacken.

"Es sind keine Operationssäle oder sonstiges gewesen, darauf habe ich schon geachtet, als ich mir die Zimmer angeguckt habe, also ich hätte nicht gerne in einem Operationssaal gewohnt, wo Menschen gestorben sind, weil sie operiert wurden oder sonst irgendwas."

Es ist sein erster Tag im ehemaligen amerikanischen Krankenhaus als Hauswächter. Gemeinsam mit anderen Hauswächtern soll Jakub dafür sorgen, dass das Gelände bewohnt aussieht, auch um Einbrecher abzuschrecken. Jakubs erste Nacht war hart, dunkle Ringe umranden seine strahlenden hellblauen Augen. Er sei selbst schuld, gibt er zu. Vor dem Einzug hat er sich einen Horrorfilm reingezogen.

"Und das hat in einem Irrenkrankenhaus gespielt, und als ich hier nachts die Räume geputzt habe, hier ist in jedem Raum ein Spiegel, und dann habe ich den Spiegel angeguckt in den Flur rein und habe bestimmt sechs Mal gedacht, dass da jetzt irgendwas war. Man ist hier schon komplett verlassen, man sieht hier niemanden, die Türen sind abgeschlossen, also es ist schon ein bisschen gruselig."

Jedes Mal, wenn Jakub aus seiner Küche ins Schlafzimmer oder den kleinen Aufenthaltsraum will, muss er raus auf den Krankenhausflur und eine der drei gelb umrandeten Türen aufschließen. Im Erdgeschoss musste er gestern Abend zwangsläufig schon herumlaufen, um auf die Toilette zu kommen, die gut 30 Meter entfernt von seinen Zimmern ist.

Jakob kennt sich noch gar nicht hier aus, er will das Gelände erkunden, bevor es wieder dunkel wird - um ganz sicher auszuschließen, dass ihm keine irren Nazidoktoren aus einem Horrorfilm im OP Saal auflauern. Jakub läuft quer durch die spärlich beleuchtete Empfangshalle mit den niedrigen drückenden Decken; links vorbei an zwei großen Empfangshäuschen, auf denen "Anmeldung der Poliklinik für Dermatologie" steht. An einem großen Pfeiler in der Mitte der riesigen Halle hat die Hauswächterfirma Camelot ein Plakat mit den Verhaltensregeln für Jakub und die anderen sechs Hauswächter aufgehängt. "Haustiere, Partys, Feiern und der Aufenthalt von Kindern ist grundsätzlich nicht erlaubt", steht da drauf.

"Und dann habe ich das gelesen und dachte mir, wenn das jetzt alles stimmt, was hier steht, ist das ziemlich hart. Aber so hart ist es nicht, wenn man sich ordentlich benimmt und alles sauber hält, dann ist es kein Problem, wenn du Leute einlädst."

Diese Regeln nimmt Jakub in Kauf. Für den Studenten ist es eine gute Möglichkeit, günstig zu wohnen.

"Für 180 Euro im Monat warm, du zahlst ja weder Wasser noch Strom noch sonst irgendetwas, also ich glaube, günstiger findest du nichts."

Jakub verlässt die Empfangshalle und läuft um den grauen Kasten herum: früher mal weiß, heute von Regen und Wetter gezeichnet. Jalousien hängen schief in den Fenstern. Jakub läuft durch knöchelhohes Gras geradeaus auf die gläsernen Kästen zu.

Einige Minuten später klettert er über Brombeersträuche in die verfallenen Gewächshäuser. In der Mitte bröckeln grauweiße zugewucherte Steintische, vor sich hin, so groß wie Tischtennisplatten. Weiße Kabel liegen herum. Perfekter Einstieg für einen Horrorfilm.

"Wenn das hier das Nazigelände war, wer weiß, was die alle hier gemacht haben. Wobei, ich bezweifele, dass das Gelände hier so alt ist, vielleicht haben die Alliierten hier was gezüchtet."

Über die Geschichte des Geländes haben die Vermieter mit Jakub nicht geredet, auch nicht über die Zukunft. Nur über die Gegenwart: Jakub soll nichts weiter tun als da sein, Präsenz zeigen, hier wohnen. Unsicher guckt er in seinem neuen Garten umher, die verrosteten Strahlrohre an der Decke des Gewächshauses könnten ihm gleich auf den Kopf fallen.

Es geht weiter auf den halb überwucherten Asphaltwegen, Richtung Klinikgebäude. Oben auf dem Dach des verfallenen Krankenhaus' entdecken wir eine riesige freie Fläche.

"Ich hab's mir schon überlegt aufs Dach zu gehen, aber ich weiß nicht, was für Konsequenzen das hat. Wenn dann im Geheimen. Die Aussicht ist bestimmt cool."

Also rein ins Krankenhaus und soweit hoch wie möglich. Doch das ist gar nicht so leicht, weil alle Türen und Fenster abgesperrt sind.

"Ah hier geht ja weiter…Da geht's auch weiter."

Jakub läuft vorbei an einem Labor in einem langen Trakt. Am Ende des Gangs huschen Menschen in weißen Kitteln umher. Definitiv keine Nazidoktoren, sondern Studenten. Die FU Berlin betreibt hier noch einige Labore für Chemiker. Jakub geht ein Stockwerk höher, durch eine Schwingtür, immer weiter geradeaus…

"Ich weiß momentan überhaupt nicht, wo wir sind um ehrlich zu sein und wie wir hier wieder rauskommen, weil ich glaube, hier sind nur so Posträume… sind wir nicht von da gekommen?"

Jakub dreht um, geht in ein Treppenhaus, ein Stockwerk tiefer. Plötzlich ein lilafarbenes Sofa, ein schicker Glastisch, eine Küchenzeile. Jakub steht mitten in der WG der anderen Hauswächter, die er noch nicht kennt. Niemand ist hier. Es gibt keine Eingangstür, jeder kann hier rein. Auf dem ehemaligen Krankenhausflur zwischen den Toiletten sieht alles aus wie früher, nur die Sitzbänke wurden abmontiert.

"Das sieht auch wie ein Rohbau aus, mit der Decke hier. Aber das ist ja cool hier mit der WG, das ist ja wie eine ganz normale WG."

Jakub ruht sich kurz auf dem fremden Sofa in der fremden WG aus. Mitten im Krankenhausflur, gleich neben einer alten Telefonanlage an der Wand steht die Mikrowelle der WG, in der frische Windbeutel aufgetürmt sind. Der Esstisch mit den gemütlichen schwarzen Stühlen lässt das Ganze auf eine skurrile Art wohnlich wirken. Am Ende des Gangs entdeckt Jakub endlich ein Fenster, das nicht verriegelt aussieht.

"Aber hier kann man raus, vielleicht geht das Fenster auf. Mal gucken, dass wir hier nicht durchs Dach durchfallen."

Jakub klettert auf die Dachterrasse und begutachtet sein neues Zuhause, dort hinten die gemütliche Villa aus Backstein, daneben das große verlassene Lagerhaus, die überwucherten Gewächshäuser und der triste Parkplatz. Es dämmert langsam, Jakub will schnell den Weg ins Erdgeschoss zu seiner Wohnung finden.

Er irrt in den Gängen umher, bis er das Haupttreppenhaus wieder findet und nach unten läuft.

Am Ende des Gangs steht eine von diesen schicken, geschwungenen Designercouches, die im Schaufenster eigentlich immer besser aussehen, als in echten Wohnungen. Aber fast wie zufällig steht sie jetzt eben hier, im Seitenflügel der ehemaligen Empfangshalle der Polyklinik, direkt vor der Türe von Jakubs Nachbarn. Jakub setzt sich hin und stützt seine Ellenbogen zufrieden auf den Knien ab.

Jakub: "Ich hab zumindest das Gefühl, mich hier besser auszukennen und das gibt einem ja schon eine gewisse Sicherheit."

"Wir sind hier durch das ganze Gelände gelaufen, haben alles gesehen. Kannst du jetzt ausschließen, dass es Psycho-Naziärzte gibt?"

Jakub: "Ne, ausschließen kann ich es nicht, man weiß ja nie, aber ich kann mich ja melden, wenn ich mal einen Naziarzt oder wen auch immer in einer Räumlichkeit oder auf dem Dach finde."