"Der hat halt irgendwie gemerkt, ich ticke anders"

Georg Baselitz, Szene des gleichnamigen Kinofilms: Ein Porträt entsteht.
Georg Baselitz, Szene des gleichnamigen Kinofilms: Ein Porträt entsteht. © picture alliance / dpa / Alamode
Evelyn Schels im Gespräch mit Liane von Billerbeck · 07.04.2013
Georg Baselitz zählt zu den berühmtesten zeitgenössischen Künstlern des Landes. Doch er ist scheu. Die Filmemacherin Evelyn Schels hat sich mehr als ein Jahrzehnt darum bemüht, ihn bei der Arbeit porträtieren zu dürfen. Am meisten beeindruckt hat sie seine Kraft. "Der arbeitet wie ein Berserker", erzählt Schels.
Liane von Billerbeck: Im Januar ist Georg Baselitz 75 Jahre alt geworden. Und die großen Galeristen stehen noch immer Schlange bei ihm. Nun erzählt der Dokumentarfilm "Georg Baselitz – ein deutscher Maler" die Geschichte des Malers noch einmal von Anfang an: Wie seine Kindheit im kriegsgeprägten Deutschbaslitz war, wie er Ende der 50er-Jahre von der Ostberliner Kunsthochschule flog und in den Westen ging, wie das Bild "Die große Nacht im Eimer" 1963 wegen Unsittlichkeit beschlagnahmt wurde und wie ihm letztendlich der internationale Durchbruch gelang.

Die Filmemacherin Evelyn Schels kennt Baselitz seit vielen Jahren. Und hat einen Film über den maler gedreht. Bevor wir mit ihr darüber sprechen, liefert Michael Köhler in paar Eindrücke daraus, über Film und Maler.

von Billerbeck: Georg Baselitz - gedreht hat diesen Film die Regisseurin Evelyn Schels. Grüß Sie, Frau Schels!

Evelyn Schels: Ja, grüß Gott!

von Billerbeck: Sie haben schon viele Filme über Künstler, Maler, Theaterleute, Regisseure, Fotografen gedreht – Patrice Chéreau darunter, Luc Bondy, Man Ray, Modigliani, Matisse, Robert Delaunay und auch schon einen über Georg Baselitz. Was fasziniert Sie so an diesem Maler?

Schels: Also ich hab die erste ganz große Ausstellung von Georg Baselitz gesehen in den 80er-Jahren – die war in Paris, im Musée d'art moderne de la Ville de Paris – und da hatte ich so einen umfassenden, unglaublich starken Eindruck von dem, was er macht. Und dann fing ich einfach an, spätestens damals, mich damit mehr zu befassen, das Ganze mehr zu verfolgen. Und er war für mich einfach immer der Radikalste, der Stärkste, der Kompromissloseste und das war einfach eben, was mich an diesem Werk sehr fasziniert hat. Und es ist ja auch nicht schnell gegangen, dass wir den ersten Film machen konnten. Das war also wirklich eine lange, lange Annäherung, bis ich in das Schloss eintreten durfte seinerzeit.

von Billerbeck: Beschreiben Sie uns das mal! Wie macht man so was? Ruft man da an und sagt: Mein Name ist, ich habe schon mehrere Filme über Künstler gedreht, jetzt möchte ich einen über Sie drehen, was halten Sie davon?

Schels: Ja, das ist eine sehr gute Frage, weil das ist ja immer ein neues Abenteuer. Also ich fing an, erst mal Briefe zu schreiben, dann hatte ich mit seinem Büro Kontakt. Natürlich wird dann lange abgewehrt, was ich auch verstehe, weil Georg Baselitz ja auch aus guten Gründen da immer sehr, sehr scheu und zurückhaltend war. Das kann ich absolut akzeptieren, dass man das nicht will. Aber ich hab' halt nicht aufgegeben, und eines Tages hab ich gesagt. Darf ich denn mal einen Film von mir schicken? Ja, und dann hieß es, na ja, das könnte kontraproduktiv sein. Da hab ich gesagt, wissen Sie, wenn Herrn Baselitz dieser Film überhaupt nicht gefällt, dann können wir sowieso wahrscheinlich besser nicht zusammenarbeiten. Also hab' ich einen Film hingeschickt damals, und irgendwie fand er den wohl ganz gut. Und dann wurde ich dann vorgelassen. Da waren wir dann aber auch schon im Jahre 2003.

von Billerbeck: Also es hat doch ein Weilchen gedauert.

Schels: Na ja, jetzt hab ich nicht zehn Jahre ununterbrochen das versucht, aber immer wieder mal.

von Billerbeck: Er beschreibt sich ja selbst – auch eben haben wir das wieder gehört – als jungen, aggressiven Mann, der nichts ausgelassen hat: "Alles, was ich gemacht habe, habe ich sehr heftig gemacht – das Gute wie das Schlechte." Bei Ihnen im Film – ich durfte ihn ja schon sehen – erlebt man einen fast zarten Mann, wenn er auch sehr heftig mit der Motorsäge an seinen Skulpturen sägt. Haben Sie von diesem jungen, aggressiven Mann noch Spuren gesehen, in dem 75 Jahre alten Baselitz?

Schels: Ich denke, er hat nach wie vor eine große Vehemenz und eine große Radikalität in dem, was er tut. Aber wissen Sie, diese Aussagen über die Aggression muss man ja auch in der Zeit seiner Biografie sehen. Er ist aufgewachsen in diesem kleinen Dorf, sollte eigentlich Lehrer werden. Also es war jetzt keine Welt, die gesagt hat: Mein Junge, du wirst der größte Künstler. Das musste er sich alles schaffen und bahnen diesen Weg und hat halt irgendwie gemerkt, ich ticke anders, Lehrer will ich nicht werden, das ist nicht mein Ding, und wie finde ich meinen Weg.

Und das mal zu dieser Zeit, in den Nachkriegsjahren in der DDR, da muss man schon Kraft haben. Und Kraft und Aggression sind ja oft eng miteinander verbunden. Und dann kam der Weg an die Kunstakademie, und das ist nicht so gelaufen … also er wollte da andere Sachen machen. Er fand Picasso toll zum Beispiel – Picasso war ja Kommunist, darf man nicht vergessen. Und sich selbst da zu definieren und zu finden, das ist sicherlich eine Sache, die ungemein viel Kraft erfordert, und Kraft und Aggression gehen oft Hand in Hand.

von Billerbeck: Bekannt wurde Baselitz ja mit einem Skandal 1963: das Bild eines onanierenden Mannes mit dem Titel "Die große Nacht im Eimer". Und in Ihrem Film sagt er, das war der falsche Anfang, ich wollte ja nicht als Pornograf bekannt werden. Warum gefiel ihm das nicht, ein Skandal hilft doch jedem Maler?

Schels: Ja, ich denke, das ist einfach … - es hat seiner Mentalität. Er ist ja ein hoch sensibler Mann, das hat ihm einfach gar nicht so entsprochen. Und Sie haben ja auch in dem Film gehört – Michael Werner erzählt das ja ziemlich genau –, das haben die sich ausgedacht, weil sie sich gedacht haben, Michael Werner und ein Journalist, da machen wir einen Skandal und dann wird das was und man wird aufmerksam auf die Ausstellung und so weiter.

Man muss sich ja vorstellen, Berlin Anfang 60er-Jahre, das war ja nicht wie heute. Das war ja eine sehr verschlossene Stadt, es war eine sehr spießige Stadt. Es war ja keine Kunstszene in dem Sinne, da gab’s vielleicht fünf Galerien in irgendwelchen Hinterhäusern. Und um da Publikum anzulocken, haben die beiden sehr jungen Menschen – eben Michael Werner und jener Journalist – sich eben überlegt, wir machen das mal. Und sie sagen ja auch, sie haben es Baselitz nicht gesagt, weil er dagegen gewesen wäre.

von Billerbeck: Na ja, und dann kam der Staatsanwalt, hat Bilder beschlagnahmt. Trotzdem, es gab den Skandal, aber trotzdem hat es eigentlich noch eine Weile gedauert, bis er international den Durchbruch hatte, eigentlich bis zum Jahr 1980, wenn man es genau nennt, so richtig, weil er dann bei der Biennale in Venedig seine erste und bis dahin einzige Skulptur ausgestellt hat. Und damit kam der Durchbruch, die Amerikaner wurden aufmerksam … Wieso ist das genau damit gelungen und nicht eben mit seinen Bildern?

Schels: Ach, wissen Sie, Sie haben natürlich … - in der Biennale in Venedig ist eine ganz andere Aufmerksamkeit da. Durch die Biennale, was auch ein harter Kampf war, das sie da hingekommen sind, dass sie da hingehen durften, das war eine Riesenherausforderung und natürlich international eine ganz, ganz andere Wahrnehmung. Er hatte ja vorher eine Moderne sozusagen gemalt und propagiert und gewollt, die eben die anderen nicht wollten, die war nicht auf der Agenda gewesen. Und das ist aber, was ich an ihm auch unendlich bewundere: Er ist sich da selbst treu geblieben. Er hat jetzt nicht gesagt, ich mal jetzt anders oder ich gucke, was läuft, was kommt an, wie kann ich Erfolg haben, sondern er hat sein Ding einfach durchgezogen – obwohl es nicht gut ankam zunächst. Oder ziemlich lange.

von Billerbeck: Deutschlandradio Kultur. Evelyn Schels ist mein Gast, ihr Dokumentarfilm über den Maler Georg Baselitz kommt nächste Woche in die Kinos. Sie zeigen ja einen Maler in seinen unglaublich schönen Ateliers muss man sagen, einen Mann, um dessen Bilder sich Galeristen und Publikum reißen – also er steht nicht unter Armutsdruck, um Bilder verkaufen zu müssen –, dennoch fragt man sich, woher nimmt er die Kraft, auch in diesem Alter, unter diesen ja geradezu perfekten Bedingungen, noch immer wieder was Neues zu machen?

Schels: Das ist auch etwas, was ich unglaublich bewundere. Er geht jeden Tag mit hoher Disziplin in sein Atelier, etwa Skulpturenatelier oder da, wo er malt, und arbeitet wie ein Berserker, kann man nicht anders sagen. Es geht einfach nicht anders, er kann nicht anders. Das ist einfach unglaublich. Und wissen Sie, Künstler seines Ranges haben ja oft auch ein Heer von Assistenten, die für sie arbeiten, das hat Georg Baselitz nicht. Der arbeitet und sägt, wie man sieht, tatsächlich selbst.

von Billerbeck: Seine Frau spielt ja offenbar eine große Rolle, sie inszeniert ja ihren Mann auch, und auch Ihr Film ist ja könnte man sagen Teil einer Medieninszenierung, selbst wenn die selten vorkommt. Aber da wird ein Georg Baselitz gezeigt, wie er malt, wie er mit den Kuratoren die Ausstellung bespricht, wie er vor einer Ausstellungseröffnung ist. Und Sie sind ihm ja doch nahegekommen durch den ersten Film und auch durch diesen zweiten. Wie schwierig ist es denn da, auch mal ein kritisches Wort fallen zu lassen oder möglicherweise auch Leute auftauchen zu lassen, die eben sagen, na, ich find Baselitz vielleicht gar nicht so toll?

Schels: Also bei der Medieninszenierung würde ich Ihnen widersprechen, wenn ich darf, weil da ist nichts inszeniert worden. Ich habe ihn begleitet. Und das sind die Dinge, die passieren. Und in einem Dokumentarfilm beobachtet man die Dinge, die passieren und wo man dabei sein darf. Und die Großzügigkeit, dass erstmals ein Filmteam in seinem Atelier drehen durfte, das ist für mich also unfassbar eigentlich gewesen, da war ich gar nicht sicher, ob das klappt, ob das geht. Also das ist nicht für eine Kamera oder ein Publikum gemacht, das war ein work and progress, wo wir dann im Laufe der Dreharbeiten zweimal im Atelier drehen durften.

von Billerbeck: Die ganze Zeit, die Sie gedreht haben – Sie zeigen ihn ja auch in New York, in Italien –, gab es da etwas, wo Sie Georg Baselitz, den Sie ja inzwischen bestimmt ganz gut kennen, überrascht hat?

Schels: Ja. Was mich sehr überrascht hat, ist, dass seine Unsicherheit, die so deutlich war kurz vor der Vernissage in New York … Das sind ja diese wunderbaren, hellen, kraftvollen, ja fast zauberhaften, sehr, sehr großen Formate, die er gemalt hat in diesen rosa …

von Billerbeck: Pastellfarben fast.

Schels: … Rosa-, Pastellfarben, die ja richtig spritzig sind, wo man ja meint, das ist ein ganz junger Maler, der das gemacht hat. Und dass er da tatsächlich so unendlich nervös war und aufgeregt und werde ich angenommen und werde ich anerkannt und mag man mich und wollen die Leute das und bin ich noch da, das hat mich sehr überrascht. Das hätte ich eigentlich nicht gedacht, aber es war so, und er hat es auch geäußert.

von Billerbeck: Evelyn Schels. Die Regisseurin hat über den Maler Georg Baselitz einen abendfüllenden Dokumentarfilm gedreht, am 11. April kommt er in die Kinos. Ganz herzlichen Dank für das Gespräch!

Schels: Ja, Frau von Billerbeck, ich danke Ihnen auch sehr und wünsche Ihnen auch einen wunderbaren Sonntag!


Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.

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Der Künstler Georg Baselitz in einer Szene des gleichnamigen Kinofilms
Der Maler Georg Baselitz in seinem Atelier (Filmszene)© picture alliance / dpa / Alamode