Der Guerrilla-Architekt
Die Universität Sevilla schloss Santiago Cirugeda vom Studium aus, weil seine Entwürfe nicht den gängigen Vorstellungen entsprachen. Und auf Fuerteventura ließ Cirugeda eine nicht genehmigte Straße wieder aufreißen. Die Medien bezeichneten den 37-jährigen Spanier fortan als Guerrilla-Architekten.
Santiago Cirugeda funktioniert die Madrider Kneipe im Handumdrehen in sein Büro um. Auf seinen Rollkoffer gestützt, in der linken Hand das Bier, in der Rechten das Handy, koordiniert er seine Termine. Er sei jetzt für ein paar Stunden in Madrid, da könne man ja endlich einmal dieses Kunstprojekt besprechen. Ach ja, und ob er vielleicht bis morgen seinen Kram unterstellen könne?
Unterwegs sein - das ist für Santiago Cirugeda, 37 Jahre alt - der Normalzustand. Er hat gelernt, jeden Ort zu seinem Zuhause zu machen. Draußen, auf dem Platz, setzen wir uns vor einen Hauseingang, unter ein Baugerüst. Solche Gerüste dienten ihm schon häufiger als Schlafstätte, wenn er sich auf seinen Reisen wieder einmal verlaufen hatte:
"Normalerweise habe ich bei meinen Reisen keinen Stadtplan dabei, sondern versuche, mich überraschen zu lassen. Die meisten Menschen fühlen sich auf der Straße immer unsicherer; wer Geld hat, zieht sich in geschützte Räume wie Bars oder Einkaufszentren zurück. Dabei ist Sich- Verirren eine Möglichkeit, den urbanen Dschungel zurückzuerobern."
Die Rückeroberung des Großstadtdschungels – das hat sich "Santi" zur Aufgabe gemacht. Der kleine, etwas untersetzte Mann mit den kurzrasierten Haaren, den grünbraunen Strahleaugen und dem schelmischem Lächeln verwandelt Brachen in Spielplätze, in dem er in einer Nacht- und Nebelaktion Schaukeln und Wippen aufstellt. Er entwirft leicht transportable Wohncontainer, die sich im Handumdrehen auf jeder Dachterrasse aufbauen lassen: Aktionen irgendwo zwischen Kunst und Sozialprojekt, die in Spanien - wo Immobilienspekulation immer noch eine Art Volkssport ist - für Aufsehen sorgen.
"Prinzipiell benutzen wir die Waffen der 'Guten'. Wir arbeiten mit den Mitteln der Kultur und der Bürgerinitiativen. Aber unsere Gegner sind korrupte Immobilienhaie, die Schläger engagieren, und Politiker, die lügen. Wie verdammt willst du da eine Schlacht gewinnen? Deswegen bediene ich mich ab und zu ihrer Waffen."
Auf der Ferieninsel Fuerteventura ließ Santiago Cirugeda einmal eine nicht genehmigte Straße einfach wieder aufreißen: Guerrilla-Architekt nannten ihn die Zeitungen daraufhin – eine Berufsbezeichnung, mit der er nicht ganz einverstanden ist.
"Es ist wichtiger, ein Guerrilla-Bürger als ein Guerrilla-Architekt zu sein. Auf die Haltung kommt es an."
Santiago Cirugeda glaubt nicht an akademische Titel. Das Architektur-Diplom bekam er nachträglich verliehen, von einer Universität, die ihn als Dozenten engagieren wollte. Seine Heimatuniversität Sevilla hatte ihn nach dreizehn Jahren vom Studium ausgeschlossen, weil seine Baumhäuser und Wohncontainer nicht den gängigen Vorstellungen entsprachen: Dabei tat Cirugeda, streng genommen nichts anderes, als das, was Städteplaner eben tun sollen – den öffentlichen Raum bewohnbar machen.
"Die ersten sieben Jahre habe ich alleine gearbeitet, sehr seltsam war das. Meine Kommilitonen fragten bloß, was machst du jetzt schon wieder, du Spinner? Sie schimpften, weil ich die Vorlesungen schwänzte. Geholfen haben sie mir nur einmal, als sie die Statik für eine meiner Konstruktionen berechneten."
Inzwischen beteiligen sich ein paar seiner Ex-Kommilitonen an den "Recetas Urbanas", den "Stadtrezepten". Santiagos Wohnung in Sevilla ist zugleich das Büro des Kollektivs. Wie viele Schlüssel gerade im Umlauf sind, hat er vergessen. Vom anarchisch-hippiesken Life-Style will der Enddreißiger ebenso wenig lassen wie von Andalusien als Lebensmittelpunkt: Die südspanischen Städte seien vielleicht ärmer, aber lebendiger als die im Rest des Landes, das soziale Geflecht intakter – und außerdem leben seine Eltern gleich um die Ecke.
"Meine Mutter hat mich immer bedingungslos unterstützt, obwohl sie ab und zu Angst um mich hat. Mit meinem Vater verhält es sich anders. Er ist sehr streng erzogen worden. Und wer, wie er, beim Militär ist, stellt nicht einfach Dinge in Frage. Gesetze und Vorschriften sind für ihn da, um auf jeden Fall befolgt zu werden. Also verheimliche ich immer noch einiges vor ihm."
Dabei ist auch Santiago Cirugeda ein Winkeladvokat. Wer mit Comicfilmchen zum "Guerilla Housing" aufruft und auf Youtube erklärt, wie sich öffentliche Brachen am besten besetzen und umfunktionieren lassen, muss die städtischen Verordnungen und ihre Schlupfwinkel genau kennen. Er habe garantiert mehr Paragraphen gewälzt als die meisten der so genannten "Stararchitekten", ohne die keine spanische Stadt mehr auskommt. Der Kult, der derzeit um große Namen wie Zaha Hadid, Jean Nouvel, Frank Gehry oder Santiago Calatrava betrieben wird, ärgert ihn.
"Ob Santiago Calatrava nun der beste Architekt der Welt ist oder nicht, ist mir wurscht. Was mich stört, ist, dass die Bauten solcher Stararchitekten auf Kosten der restlichen Stadt hochgezogen werden Sie verschlingen das gesamte Budget! Wenn die Architekten Stars wären, weil sie die Wohnviertel lebenswerter machen, fände ich das toll."
Dass er sich inzwischen auch im Kunstkanon seinen Platz erobert hat und in manchen Architekturführern gleich hinter Calatrava auftaucht, freut den Guerilla-Architekten. Santiago Cirugeda sieht das als Palastrevolte im Kleinen.
Unterwegs sein - das ist für Santiago Cirugeda, 37 Jahre alt - der Normalzustand. Er hat gelernt, jeden Ort zu seinem Zuhause zu machen. Draußen, auf dem Platz, setzen wir uns vor einen Hauseingang, unter ein Baugerüst. Solche Gerüste dienten ihm schon häufiger als Schlafstätte, wenn er sich auf seinen Reisen wieder einmal verlaufen hatte:
"Normalerweise habe ich bei meinen Reisen keinen Stadtplan dabei, sondern versuche, mich überraschen zu lassen. Die meisten Menschen fühlen sich auf der Straße immer unsicherer; wer Geld hat, zieht sich in geschützte Räume wie Bars oder Einkaufszentren zurück. Dabei ist Sich- Verirren eine Möglichkeit, den urbanen Dschungel zurückzuerobern."
Die Rückeroberung des Großstadtdschungels – das hat sich "Santi" zur Aufgabe gemacht. Der kleine, etwas untersetzte Mann mit den kurzrasierten Haaren, den grünbraunen Strahleaugen und dem schelmischem Lächeln verwandelt Brachen in Spielplätze, in dem er in einer Nacht- und Nebelaktion Schaukeln und Wippen aufstellt. Er entwirft leicht transportable Wohncontainer, die sich im Handumdrehen auf jeder Dachterrasse aufbauen lassen: Aktionen irgendwo zwischen Kunst und Sozialprojekt, die in Spanien - wo Immobilienspekulation immer noch eine Art Volkssport ist - für Aufsehen sorgen.
"Prinzipiell benutzen wir die Waffen der 'Guten'. Wir arbeiten mit den Mitteln der Kultur und der Bürgerinitiativen. Aber unsere Gegner sind korrupte Immobilienhaie, die Schläger engagieren, und Politiker, die lügen. Wie verdammt willst du da eine Schlacht gewinnen? Deswegen bediene ich mich ab und zu ihrer Waffen."
Auf der Ferieninsel Fuerteventura ließ Santiago Cirugeda einmal eine nicht genehmigte Straße einfach wieder aufreißen: Guerrilla-Architekt nannten ihn die Zeitungen daraufhin – eine Berufsbezeichnung, mit der er nicht ganz einverstanden ist.
"Es ist wichtiger, ein Guerrilla-Bürger als ein Guerrilla-Architekt zu sein. Auf die Haltung kommt es an."
Santiago Cirugeda glaubt nicht an akademische Titel. Das Architektur-Diplom bekam er nachträglich verliehen, von einer Universität, die ihn als Dozenten engagieren wollte. Seine Heimatuniversität Sevilla hatte ihn nach dreizehn Jahren vom Studium ausgeschlossen, weil seine Baumhäuser und Wohncontainer nicht den gängigen Vorstellungen entsprachen: Dabei tat Cirugeda, streng genommen nichts anderes, als das, was Städteplaner eben tun sollen – den öffentlichen Raum bewohnbar machen.
"Die ersten sieben Jahre habe ich alleine gearbeitet, sehr seltsam war das. Meine Kommilitonen fragten bloß, was machst du jetzt schon wieder, du Spinner? Sie schimpften, weil ich die Vorlesungen schwänzte. Geholfen haben sie mir nur einmal, als sie die Statik für eine meiner Konstruktionen berechneten."
Inzwischen beteiligen sich ein paar seiner Ex-Kommilitonen an den "Recetas Urbanas", den "Stadtrezepten". Santiagos Wohnung in Sevilla ist zugleich das Büro des Kollektivs. Wie viele Schlüssel gerade im Umlauf sind, hat er vergessen. Vom anarchisch-hippiesken Life-Style will der Enddreißiger ebenso wenig lassen wie von Andalusien als Lebensmittelpunkt: Die südspanischen Städte seien vielleicht ärmer, aber lebendiger als die im Rest des Landes, das soziale Geflecht intakter – und außerdem leben seine Eltern gleich um die Ecke.
"Meine Mutter hat mich immer bedingungslos unterstützt, obwohl sie ab und zu Angst um mich hat. Mit meinem Vater verhält es sich anders. Er ist sehr streng erzogen worden. Und wer, wie er, beim Militär ist, stellt nicht einfach Dinge in Frage. Gesetze und Vorschriften sind für ihn da, um auf jeden Fall befolgt zu werden. Also verheimliche ich immer noch einiges vor ihm."
Dabei ist auch Santiago Cirugeda ein Winkeladvokat. Wer mit Comicfilmchen zum "Guerilla Housing" aufruft und auf Youtube erklärt, wie sich öffentliche Brachen am besten besetzen und umfunktionieren lassen, muss die städtischen Verordnungen und ihre Schlupfwinkel genau kennen. Er habe garantiert mehr Paragraphen gewälzt als die meisten der so genannten "Stararchitekten", ohne die keine spanische Stadt mehr auskommt. Der Kult, der derzeit um große Namen wie Zaha Hadid, Jean Nouvel, Frank Gehry oder Santiago Calatrava betrieben wird, ärgert ihn.
"Ob Santiago Calatrava nun der beste Architekt der Welt ist oder nicht, ist mir wurscht. Was mich stört, ist, dass die Bauten solcher Stararchitekten auf Kosten der restlichen Stadt hochgezogen werden Sie verschlingen das gesamte Budget! Wenn die Architekten Stars wären, weil sie die Wohnviertel lebenswerter machen, fände ich das toll."
Dass er sich inzwischen auch im Kunstkanon seinen Platz erobert hat und in manchen Architekturführern gleich hinter Calatrava auftaucht, freut den Guerilla-Architekten. Santiago Cirugeda sieht das als Palastrevolte im Kleinen.