"Der Großvater ließ mir ja keine Wahl"

Konrad O. Bernheimer im Gespräch mit Joachim Scholl · 13.09.2013
Von den Nationalsozialisten wurden die jüdischen Kunsthändler Bernheimer ins KZ Dachau verschleppt. Nach dem Krieg baute der Großvater das Kunsthaus sofort wieder auf. Enkel Konrad O. Bernheimer ist heute einer der bedeutendsten Händler für Cranach, Bellotto und andere.
Joachim Scholl: Diese Geschichte liest sich wie ein Roman. Der Aufstieg und Fall und dann die Wiedergeburt des Kunsthauses Bernheimer. Sie reicht von einem Marktstand des Tuchhändlers Meyer-Bernheimer in München bis zur prachtvollen Residenz am Lenbach-Platz, wo Monarchen, Exzellenzen und Milliardäre ein- und ausgingen, um feinste Kunstgegenstände für ihre Paläste auszusuchen. Die Nazis vertrieben die jüdische Familie, doch sie kam wieder, und mit ihr auch Konrad O. Bernheimer, der heute dem Kunsthaus vorsteht. Ihn begrüße ich jetzt in einem Studio in München. Guten Morgen!

Konrad O. Bernheimer: Guten Morgen!

Scholl: "Narwalzahn und Alte Meister", Herr Bernheimer, so haben Sie Ihr Buch über die Geschichte Ihrer Familie benannt. Die Alten Meister, die sind jetzt das aktuelle Metier des Hauses Bernheimer, auf die kommen wir noch. Was hat es denn mit dem Narwalzahn auf sich?

Bernheimer: Das ist eine Geschichte, die in der Familie schon sehr lange existiert. Und der Großvater hat immer erzählt, sein Vater, also mein Urgroßvater habe den schönen Satz geprägt: "In jeden anständigen Haushalt gehört ein Narwalzahn." Als Glücksbringer, nicht wahr. In der italienischen Renaissance musste ja jedes Fürstenhaus einen Narwalzahn haben, da glaubte man natürlich, es sei ein sagenumwobenes Einhorn, weil man damals glaubte, dass die Spitze, abgenommen und pulverisiert und eingenommen, sei ein sehr mächtiges Gegengift. Und nachdem ja der Gifttod in der italienischen Renaissance bekanntlich grassierte, war es gut, einen solchen Narwalzahn zu haben. Also Glücksbringer, und in der Familie gab es immer einen. Und der, den ich zu Hause habe, ist tatsächlich der Zahn des Großvaters, ein großer, langer, mächtiger Narwalzahn, der durch alle Zeitläufe hindurch es überlebt hat.

Scholl: Es gab Zeiten, da hat er kein Glück gebracht, Herr Bernheimer. Sie repräsentieren jetzt die vierte Generation der Bernheimers. Aber Ihnen war es wirklich nicht in die Wiege gelegt, das Familienerbe anzutreten. Sie wurden 1950 auf einer Kaffeeplantage in Venezuela geboren. Dorthin hatte sich Ihre Familie 1939 gottlob retten können vor den Nationalsozialisten. Wie haben Sie diese Situation als Kind erlebt?

Bernheimer: Ja nun, ich kannte ja nichts anderes. Als ich in Venezuela geboren wurde und aufwuchs, die ersten Jahre, da lebte ich dort. Ich wusste ja von Deutschland nichts, und ich wusste auch nichts von der Geschichte, die davor passiert war. Ich wäre sicherlich auch nicht nach Deutschland gekommen, so schreibe ich das ja auch in meinem Buch, wenn nicht mein Vater auf so tragische Art und Weise so früh verstorben wäre. Und mein Großvater, der bereits 1945 wieder nach München zurück kam, mich, seinen Enkel, unbedingt nach München zurückholen wollte.

Scholl: Ihr Vater wurde nach Dachau verschleppt, böse gefoltert …

Bernheimer: Ja, alle. Alle Bernheimers waren in Dachau, aber meinen Vater hat es
offenbar besonders schlimm erwischt. Und der wollte mit Deutschland nichts mehr zu tun haben. Ganz im Gegensatz zu seinem Vater. Wie gesagt, mein Großvater war im August '45 schon wieder da. Keiner in der Familie hat ihn verstanden. Aber seine Einstellung war "The nightmare is over", ich will wieder in meine Heimatstadt zurück und mit meinen Münchner Mitbürgern die Stadt wieder aufbauen.

Scholl: In Ihrem Buch schildern Sie die Glanzzeit des Hauses Bernheimer, als der europäische Adel und Magnaten aller Herren Länder bei Bernheimer einkauften. Ihre Familie wurde richtig reich, dann nahmen Ihnen die Nazis alles, und ihr Großvater, Sie haben es uns schon erzählt, ging 1945 sofort zurück. Sie waren vier Jahre alt, als Sie ja dann wieder nach Deutschland kamen. War es denn von Anfang an für Sie klar, dass Sie jetzt sozusagen auch in die Fußstapfen dieser großen Dynastie treten? So als Kleinkind wahrscheinlich noch nicht, aber dann später?

Bernheimer: Ja, doch ziemlich bald, weil, ich mein, der Großvater ließ mir ja keine Wahl. Er sagte ja zu mir, als ich sechs Jahre alt war und in die Volksschule ging und anfing, Lesen und Schreiben zu lernen, da sagte er zu mir: "Bub, jetzt kannst' lesen und schreiben, jetzt musst' arbeiten". Und dann wurde ich fast jeden Nachmittag von seinem Fahrer abgeholt und habe die Nachmittage in der Firma verbracht, wechselweise in den verschiedenen Abteilungen. In der Teppichabteilung, bei den Porzellanen, bei den Möbeln, bei den Skulpturen, und hab gelernt.

Und so wusste ich halt mit fünf Jahren, mit sechs Jahren, mit sieben Jahren, was eine Barock-Kommode ist, was eine Empire-Kommode ist – die hat eben keinen Bauch –, und was ein Frankfurter Wellenschrank ist. Und das musste ich lernen. Und ich wusste ganz genau den Unterschied zwischen einem persischen und einem türkischen Teppichknoten. Das war alles sehr kurios, und andere Kinder haben mich wahrscheinlich mit großen Augen angesehen, aber für mich war das ganz normal, weil ich kannte es nicht anders.

Scholl: Die Bernheimers, eine der bedeutendsten Kunsthändlerdynastien. Zu Gast im Deutschlandradio Kultur ist Konrad O. Bernheimer, der jetzt ein Buch über die Geschichte seiner Familie geschrieben hat. Ich wollte Sie gerade fragen, Herr Bernheimer, wie muss man sich denn Ihre Ausbildung zum Kunsthändler vorstellen – die Frage hat sich gerade erledigt. Sie sind dann irgendwann Chef geworden, und in den 90er-Jahren – also wir machen jetzt einen Zeitsprung – haben Sie sich aber dann auch von dem Metier doch entfernt, des traditionellen Metiers. Also die Stilmöbel, die Teppiche, die Tapisserien, die Luxustextilien, davon haben Sie sich getrennt und fortan ganz auf Gemälde Alter Meister konzentriert. Warum eigentlich?

Bernheimer: Weil mich das interessiert hat. Das war das Gebiet, das mich interessiert hat, und komischerweise schon als Kind interessiert hat. Wissen Sie, wenn mein Großvater mit mir in die Münchener Museen ging – er wollte immer ins Nationalmuseum, Skulpturen und Möbel anschauen, und ich wollte immer in die Pinakothek. Und – die Bilder hatten es mir angetan. Und da bin ich aber im Grunde genommen auch in der Tradition der Familie, weil eigentlich hat jede Generation etwas anderes gemacht.

Der Ururgroßvater Kleiderstoffe, der Urgroßvater hat irgendwann die Kleiderstoffe an den Nagel gehängt und hat nur noch Dekorationsstoffe gemacht. Die nächste Generation hat den Kunst- und Antiquitätenhandel aufgebaut, und als ich übernommen hab, hab ich die Möbel und die Antiquitäten weggelassen und hab mit den Gemälden Alter Meister angefangen. Und meine Tochter Blanca, die jetzt die fünfte Generation repräsentiert, ist eingestiegen auf dem Gebiet der zeitgenössischen Fotografie. Also jeder macht was anderes, aber wir stehen dadurch dennoch in unserer Familientradition.

Scholl: Wie hat sich denn dieser Handel gerade mit Alten Meistern entwickelt? Ihr Buch ist ja auch so ein rasanter Exkurs durch den Kunsthandel der neueren Zeit. Es werden ja beileibe nicht die astronomischen Summen gezahlt wie bei zeitgenössischen Gemälden.

Bernheimer: Ja, weil der zeitgenössische Kunstmarkt erlebt natürlich einen unglaublichen Hype. Und einen solchen Hype kann man natürlich auch nur entstehen lassen auch durch die schiere Menge, nicht wahr. Ich mein, ein Baselitz, sobald einer verkauft wird, werden fünf nachgemalt. Baselitz freut sich jeden Tag, dass so gut verkauft wird, weil er weiß, er kann sich wieder hinstellen und die nächste Serie malen. Wenn ich einen Rubens oder einen Jan Brueghel oder einen, was-weiß-ich, großen Meister aus dem 17., 18. Jahrhundert verkaufe, dann ist das immer ein One-off. Und ich muss schauen, dass ich das nächste Bild der ähnlichen Qualität überhaupt im Markt wiederfinde.

Scholl: In Ihrem Buch beschreiben Sie auch, dass es bei Ihnen auch immer funken muss, wenn Sie ein Bild sehen, wenn Sie ein Bild verkaufen. Und dann berichten Sie von drei Sammlungen, die Ihnen wichtig seien. Es gibt eine imaginäre, die nämlich, die Bilder, die alle durch Ihre Hände gegangen sind. Dann gibt es die Sammlung der verpassten Gelegenheiten …

Bernheimer: Das ist die schmerzhafte!

Scholl: Die schmerzhafteste, ja, bleiben wir mal bei der. Was ist Ihnen denn hier Tolles durch die Lappen gegangen, wo Sie sagen, oh, schad.

Bernheimer: Na, alle Mögliche. Ich mein, ich versuche das ja immer dann wieder zu verdrängen, was ich nicht gekauft hab, was ich hätte kaufen sollen. Zum Beispiel auch Gerhard Richter, nicht wahr. In den 80er-Jahren, da hätte ich auch Gerhard Richter kaufen können, und ich hab mir gedacht, ja, wer ist denn das. Und ich weiß noch genau, da hätte ich ein Bild kaufen können für 17.500 Mark. Das ist ein Bild, das kostet heute, das heute einen Wert von ich weiß nicht wie vielen Millionen. Also, das sind natürlich die schmerzhaften Erinnerungen an die Dinge, die man hätte tun sollen und nicht getan hat. Und die stolzeste Sammlung ist sicherlich die der Objekte, die im Lauf der Jahre durch meine Hände gegangen sind.

Scholl: Und welches ist denn da der Liebling, der absolute? Gibt es einen?

Bernheimer: Oh, da gibt es viele, Gott sei Dank, da gibt es viele, da gibt es ganz wunderbare Bilder. Da gibt es den großen Bellotto, der in der National Gallery in Washington hängt. Da gibt es einige Bilder, die beim Fürsten von Liechtenstein hängen mittlerweile, unter anderem einen phänomenalen Cranach. Dann gibt es natürlich Bilder bei vielen Privatsammlern in Deutschland, in Amerika. Da kommt schon einiges zusammen.

Scholl: Und Sie haben auch eine eigene Sammlung. Und welches Bild schauen Sie sich täglich und immer wieder entzückt an?

Bernheimer: Ja, das ist so eigentlich die bescheidenste Sammlung. Bei uns zu Hause hängt im Speisezimmer ein Bild, da glauben die meisten Leute überhaupt nicht, wieso der Kunsthändler Bernheimer so ein mickeriges Bild da hängen hat. Das ist von einem völlig unbekannten Berliner Maler des 19. Jahrhunderts, "Der junge Bacchus", dem die Elfen des Waldes beibringen, wie er Wein trinken soll. Heute würde man sagen, das ist also ausgewachsener Kitsch. Das Bild wird nur abgehängt und durch etwas Besseres, durch einen Cranach oder einen Rubens ersetzt, wenn der entsprechende Besuch kommt, der sich das Bild dann auch anschauen soll. Aber normalerweise hängt eben dieser Berliner Maler da. Und der Grund ist ganz einfach, es war das erste Bild, das ich gekauft hab. Da war ich 18.

Scholl: Danke Ihnen, Konrad O. Bernheimer, für dieses Gespräch hier im Deutschlandradio Kultur!

Bernheimer: Vielen Dank!

Scholl: Alles Gute für Sie, Ihr Haus und auch Ihr Buch natürlich, das jetzt im Verlag Hoffmann und Campe erschienen ist, "Narwalzahn und Alte Meister" heißt es, "Aus dem Leben einer Kunsthändlerdynastie", mit 380 Seiten zum Preis von 25 Euro. Und wer noch mehr davon hören möchte, dem sei jetzt schon annonciert, Konrad O. Bernheimer wird im Oktober auch bei der Frankfurter Buchmesse unser Gast sein, Platz nehmen auf dem blauen Sofa, wo wir zusammen mit dem ZDF und Bertelsmann an allen Messetagen viele prominente Gäste empfangen zu ausführlichen Gesprächen. Und Konrad O. Bernheimer wird dann auch mit dabei sein.

Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.