Der glückliche Jude

Man kennt den Namen Moses Mendelssohn gewiss noch im Zusammenhang mit Lessings Bühnenfigur "Nathan der Weise", für die er das Vorbild war. Moses Mendelssohn war seinerzeit einer der prominentesten Juden in Europa. Repräsentant der Berliner Aufklärung, Prototyp des jüdisch-deutschen Bildungsbürgers. Dominique Bourel hat nun eine monumentale Biographie über dessen Leben und Werk vorgelegt.
1995 habilitierte sich der in Offenburg geborene und in Paris aufgewachsene Historiker Dominique Bourel mit seiner Untersuchung zu Leben und Werk von Moses Mendelssohn an der Pariser Sorbonne. Zehn Jahre später erhielt er für diese Arbeit den Deutsch-Französischen Parlamentspreis für Geistes- und Sozialwissenschaft.

Seit kurzem liegt sie endlich auch in deutscher Übersetzung vor. Dank der Initiative eines Schweizer Verlegers, der mit diesem Unternehmen viel Achtung, aber eben wenig Geld verdienen wird. Bourel hat kräftig gekürzt, fünf Bände auf einen reduziert: "Moses Mendelssohn. Begründer des modernen Judentums" ist immer noch 800 Seiten stark, mehr als 250 davon sind gefüllt mit wissenschaftlichen Anmerkungen.

Eine ähnlich arbeitsaufwendige Biographie des "jüdischen Luthers" und "deutschen Sokrates'" hatte zuletzt Anfang der 1970er Jahre Alexander Altmann, Rabbiner und Professor an der amerikanischen Brandeis-Universität, vorgelegt. Ihm widmet Bourel sein Buch. Er würdigt Altmann in seinem Vorwort als denjenigen, der es verstanden hat, wieder "die Aufmerksamkeit der Forschung auf Mendelssohn und seine Zeit zu lenken."

Der deutsch-jüdische Philosoph steht nicht für Separierung, sondern für Vermischung von Kulturen und Gemeinschaften - wie auch das Berlin des 18. Jahrhunderts. Nur dort, so Bourel, sei jüdische Emanzipation möglich gewesen, habe Mendelssohn die Enge des Ghettos verlassen und als gleichberechtigter Bürger eines konfessionell gemischten Staates - ohne Zwang zur Assimilation - leben können. Preußentum und Toleranz, Religion und Vernunft waren für ihn kein Widerspruch.

Bourel stellt sich mit seiner Mendelssohn-Biographie ausdrücklich gegen eine Lesart der Geschichte der Juden in Europa nur unter dem Aspekt des Antisemitismus. Für ihn ist Moses Mendelssohn ein "glücklicher Jude". Einer, der am Beginn jüdisch-deutscher Geistes- und Alltagskultur steht, nicht an ihrem Ende. Der jüdische Gebote einhält und zugleich deutscher Philosoph ist, Unternehmer und Literaturkritiker, Migrant und Preisträger der königlichen Akademie der Wissenschaften. "Ist er uns deshalb so fern?", fragt der Autor provozierend.

Vorzüglich herausgearbeitet hat er Mendelssohns Bedeutung als Figur des Übergangs. Porträtiert ihn als unverzichtbares, produktives Bindeglied zwischen traditionellem jüdischem Denken und deutscher Philosophie. Mendelssohn gab Philosophie wie Religion entscheidende Impulse zur Weiterentwicklung Richtung Moderne - und veränderte auch das Bild vom Juden in der gesellschaftlichen Praxis.

Bourels äußerst ehrgeizige und materialreiche Biographie setzt sich überwiegend mit dem Werk Mendelssohns auseinander - mehr als mit der Person selbst. Lebensumstände, Familienverhältnisse, alles Private und Persönliche, ist von geringer Bedeutung. Das Interesse des Autors gilt einer detaillierten Beschreibung der besonderen gesellschaftlich-sozialen Verhältnisse in Preußen und Berlin, der geistigen Traditionen, aus denen Mendelssohn sich herleitet und seiner Wirkung auf die Entwicklung jüdischer Philosophie sowie europäischer Aufklärung.

Eine Fülle an Material, amtliche Statistiken, private Korrespondenzen, offizielle Dokumente, historiographische Daten werden neben Primärtexten und deren Wirkungsgeschichte zueinander in Bezug gesetzt. Für den gelehrten Leser ist das ein außerordentlicher Hochgenuss. Für Einsteiger in die deutsche Philosophie-und Religionsgeschichte ein schwerer Brocken!


Rezensiert von Carsten Hueck


Dominique Bourel: Moses Mendelssohn. Begründer des modernen Judentums
Ammann Verlag, Zürich 2007, 800 Seiten, 39,90 Euro