Der globale Mittagstisch

25.04.2010
Die große Mittagstafel ist gedeckt, daran Platz nimmt die ganze Menschheit. Goldverzierte Teller quellen über von Köstlichkeiten. Leider fressen sich viele um ihre Gesundheit. Andere sitzen vor leeren Tellern. Nach nur einer Stunde an der Menschheitstafel liegen viertausend Gäste verhungert neben ihren Stühlen.
Mit diesem fulminanten Bild steigt Tanja Busse in ihr neues Buch "Die Ernährungsdiktatur" ein. Sie will ihre Leser packen mit Leidenschaft, Anklage und politischem Gewissen. Es geht um den Hunger in der Welt und die Fresserei, um die Geld- und Warenflüsse der globalisierten Landwirtschaft, um Billig-Discounter und Ekel-Fraß, um träge Behörden und mutige Initiativen.

Trotz ihrer Themenvielfalt legt die Autorin ein dichtes, stilistisch geschlossenes Buch vor, in dem sie auf starke Grundfiguren immer wieder zurück kommt. So begleitet uns der anschauliche, globale Mittagstisch durch das ganze Buch. Leere und volle Teller stehen nicht nebeneinander, sondern ein Schleier trennt die Tafel in zwei Hälften. Den Essern bleibt der Anblick der Elenden erspart. Niemand von uns, so mutmaßt die Autorin menschenfreundlich, könnte sich in Ruhe eine Pizza in den Ofen schieben, wenn in derselben Küche gerade jemand Hungers stirbt. Es sind die Strukturen der internationalen Agrarpolitik, die unser Gewissen mit dem angenehmen Schleier der Ahnungslosigkeit bedecken.

Tanja Busse, Jahrgang 1970, studierte Journalistik und Philosophie in Dortmund, Bochum und Pisa. Sie promovierte mit einer Arbeit über die Massenmedien ("Weltuntergang als Erlebnis"). In ihrem Buch "Die Ernährungsdiktatur" kontrastiert sie gekonnt bittere Armut und hemmungslose Völlerei.

Tanja Busse schafft Abhilfe. Verschuldung, Preisdumping, Futtermittelimporte und die Erzeugung von Agrosprit benennt sie als wichtigste Ursachen für die immer weiter auseinander klaffende Schere zwischen Arm und Reich.

Europäische Agrarfabriken, die mit bäuerlicher Landwirtschaft nichts mehr zu tun haben, werden so stark subventioniert, dass sie ihre Überschüsse in Afrika und Lateinamerika unter dem Herstellungspreis verkaufen können

Hühnerköpfe, die wir nicht essen, landen tiefgefroren in Kamerun. Dort liegen sie matschig auf den Märkten. Die lokalen Geflügelzüchter machen pleite; die Bevölkerung isst, was ihre Gesundheit gefährdet.

Der Armut im Süden steht eine paradoxe Ödnis in unseren Supermärkten gegenüber, wo in tausend bunten Verpackungen dieselben nährstoffarmen, künstlich aufgepeppten Grundstoffe feilgeboten werden. Und auch hier zahlt die bäuerliche Landwirtschaft drauf. Wie "Drogenhändler" machten die marktbeherrschenden Discounter ihre Zulieferer erst abhängig, um sie dann auszubluten. Wer Milchbauern zwingt, ihre Ware unter Produktionskosten abzugeben, schickt sie in den sicheren Konkurs.

In all den Schrecknissen zeigt sich die Autorin keineswegs hoffnungslos, sondern setzt auf die Verantwortungsbereitschaft der Verbraucherinnen und Verbraucher. Denn Aussteigen ist leicht, wenn man sich einmal dazu durchringt. Einen weiteren Lichtblick sieht die Autorin in neuen juristischen Möglichkeiten, das Menschenrecht auf Nahrung individuell einzuklagen.

Und geradezu befreiend komisch liest sich ihr Email-Austausch mit der PR-Abteilung eines Molkerei-Riesen zu der Frage: Gibt es einen Unterschied zwischen Roter Grütze und Roter Pfütze?

Besprochen von Susanne Billig

Tanja Busse: Die Ernährungsdiktatur - Warum wir nicht länger essen dürfen, was uns die Industrie auftischt
Blessing Verlag, München 2010
336 Seiten, 16,95 Euro