Der gläserne Fußballstar

Von Marko Pauli · 04.05.2009
In der Fußball-Bundesliga wird auf modernste Techniken zur Spielanalyse gesetzt: Acht Wärmebildkameras zeichnen beim Hamburger SV jede Bewegung der Spieler auf. Zehn Mal pro Sekunde werden die Fußballer auf dem Spielfeld erfasst. Später kann das taktische Verhalten der Mannschaft in einer 2D-Simulation nachvollzogen werden.
Ein Fußball-Bundesligaspiel beim HSV. Über den Köpfen der Besucher hängen am Stadiondach befestigt acht Wärmebildkameras. Technik, die zum Analysesystem Amisco Pro aus dem Hause Mastercoach gehört.

Reporter: "Aber jetzt kommt mal ein guter Ball für Petric, das ist vielleicht mal eine zweite Chance für Petric. Aber er schießt auf die kurze Eckeaber er trifft nicht genau genug demzufolge bleibt's beim 1:0 für die Hamburger."

Während grad alles auf Petric schaut, zeichnen die Mastercoach-Kameras immer das Geschehen auf dem gesamten Spielfeld auf. Aus den gesammelten Daten, die per Internet verschickt werden, entsteht eine 2D-Animation vom Spiel, die der HSV 24 Stunden später auf DVD erhält; dazu ein synchronisiertes Videobild und sehr viel Statistik - wie Dr. Dieter Gudel weiß, beim HSV verantwortlich für Organisation, Entwicklung und Innovation:

"Wir kriegen pro Spieltag über 100.000 Datensätze – von Prozent der erfolgreichen Flanken von links, die auf den ersten Pfosten geschlagen werden, aber nur halbhoch, bis hin zu Prozent von Ballbesitz im gegnerischen Strafraum."

In der 2D-Animation huschen kleine Punkte mit Rückennummern versehen über das Spielfeld. Während die Fernsehkamera immer nur Ausschnitte zeigt, lässt sich hier sehr gut das taktische Verhalten aller Mannschaftsteile beobachten. Die dazugehörigen Statistikdaten sind besonders in der Langzeitbetrachtung aufschlussreich.

"Über Mastercoach schaffen wir's, wenn wir rückblickend mal ne halbe Saison sehen, uns einfach anzuschauen, was für Spielaktionen sie gemacht haben, wie erfolgreich sie teilweise waren, wie sie sich eingesetzt haben, wie zwei Spieler im Vergleich zueinander waren, um zu sagen, dieser Spieler ist besser, wenn er mit dem und dem zusammenspielt oder wenn dieser Spieler mit dem und dem zusammenspielt, ist seine Leistung, um mindestens x-Prozent schlechter. Die Daten, die wir haben, erlauben solche Aussagen."

Reporter: "Pinto bringt den Ball zu Staijner, aber der lässt ihn sich sehr, sehr einfach von Marcel Jansen abluchsen, und der Konter des HSV bleibt auch schon wieder im Anfangsstadium stecken."

Auch wenn scheinbar kaum etwas auf dem Feld passiert, entstehen Daten. Zehn Mal pro Sekunde wird jeder Spieler getrackt, das heißt von den Wärmebild-Kameras erfasst. Mathias Kreutzer ist als Analyst dafür zuständig, hier alles Wichtige herauszufiltern, zu sortieren und für den Trainerstab aufzubereiten.

"Ob's nun ein Eckball ist, ob's ein Passspiel ist von Person A zu Person B, das wird aufgefasst, und nach diesen ganzen Sachen kann man suchen – das ist das eine. Und das andere sind diese Statistikwerte, die wir natürlich auch nur geliefert bekommen, aber das ist ein sehr, sehr großer Datenwulst, wo sich durchgearbeitet werden muss."

Mediziner, Leistungsdiagnostiker und athletische Trainer picken sich gerne die physischen Daten heraus, also die Laufleistung der Spieler, ihre Sprintstrecken oder Durchschnittsgeschwindigkeit. Und auch die Spieler selbst beschäftigen sich mit dem sie gläsern machenden Analysesystem.

"Wir haben einen jungen, ambitionierten Spieler, der sehr interessiert ist an diesen Daten. Es ist sogar so weit, dass wir ihm selber schon Mastercoach installiert haben, und er bekommt von uns jedes Mal nach Beendigung des Spiels das komplette Spiel."

Sprich den 2D-Film, das dazu synchronisierte Videobild und die Bilder einer vom HSV noch zusätzlich aufgenommenen Taktikkamera.

Kreutzer: "Wo er auch seine Situationen aus gewissen Kategorien noch mal anschauen kann, ob's jetzt Pässe sind, ob's Zweikämpfe sind, ob's Torabschluss oder Flanken sind. Und somit hat er die Bilder mit den Worten des Trainers noch mal zuhause in Ruhe, ohne dass 15 Spieler drum rum sind – um sie noch mal durch den Kopf gehen zu lassen, und genau, der Trainer hat recht, genau das war der Fehler."

Reporter: "Es geht rauf und runter. Und wenn ich vorhin von ner Vorentscheidung sprach, muss ich jetzt sagen: Hier ist noch alles drin."

Erst im Wettkampf aber zeigt sich dann, ob das Gelernte auch umgesetzt werden kann, wie der Sportwissenschaftler Dieter Gudel betont.

"Etwas zu wissen bedeutet noch lange nicht, in einer zukünftigen dynamischen, höchst labilen Drucksituation dann auch entsprechend diesem Theoriewissen zu handeln. Die Daten können helfen, aber der Prozess, wie die Spieler trainiert werden, wie sie eingestellt werden und aus ihren Fehlern wirklich was lernen, die Frage ist noch völlig unbeantwortet bei diesem Thema. Und das ist dann das Spezialwissen vom Trainer, von Techniktrainern usw. und vom Spielanalysten."

Sollte für den HSV am Ende der Saison ein Titel heraus springen, wird niemand beziffern können, wie hoch dabei der Anteil der modernen Analysemethoden war. Eines weiß man aber spätestens seit Otto Rehagel: Die Wahrheit liegt auf dem Platz.