Der gläserne Fußballer

Von Stephanie Kowalewski |
Es ist pure Emotion, sagen die einen. Es ist präzise Analyse und Taktik, sagen die anderen. - Moderner Fußball ist beides, denn hier kommt immer mehr modernste Technik zum Einsatz. Intelligente Software erlaubt dem Zuschauer, schlauer zu sein als der Schiedsrichter. Und dem Trainerstab gewährt sie tiefe Einblicke in den Verlauf einer Partie.
"So 'ne Sportart lebt ja auch vom Stammtischgerede. Haste das gestern gesehen, war doch ein klarer Elfmeter. Oh, bist du verrückt, war doch ne Schwalbe. Also dieses Gerede, wobei das jetzt gar nicht despektierlich gemeint ist, gehört einfach zum Fußball dazu, wie die Wurst und das Bier im Stadion."

Markus Verhall ist Fußballfan und beim Westdeutschen Rundfunk Chefregisseur für Fußballübertragungen. Er entscheidet, welche virtuellen Grafiken die Wohnzimmer-Profianalysten während eines Spiels zu sehen bekommen.

"Linien, Striche oder auch Zahlen, die aufs Spielfeld drauf geblendet werden mit einer ganz bestimmten Technik, die nennt man halt virtuelle Technik, mit deren Hilfe man sich orientieren kann: Steht die Mauer richtig, war es Abseits oder war es kein Abseits, wie schnell war der Schuss, wie weit war die Entfernung zum Tor."

Dazu werden drei Kameras mit optischen Aufsätzen versehen, die das Spielfeld, und alles was darauf geschieht, genau vermessen. Die Daten werden dann im sogenannten Grafikmobil, einer Art fahrbarem Studio, permanent abgefragt und grafisch aufbreitet. Bis die Spielszene mit entsprechenden Linien, Kreisen oder Zahlen versehen ist, dauert es höchstens fünf Sekunden. Dann erscheint sie auf dem Bildschirm von Markus Verhall.

"Und dann entscheidet der Regisseur, ob er es nimmt oder nicht. Also die bieten es halt permanent an, nicht jede Situation verlangt, dass man es auf den Sender bringt."

Abseits, Ausball, Ecke oder Foul, zunehmend können die Situationen mit virtuellen Grafiken eingeschätzt werden. Da ist dann auch der Fan vor dem Fernseher in der Lage, besser über eine Abseitssituation entscheiden zu können als der Mann in Schwarz auf dem Spielfeld.

"Für den Schiedsrichter ist es schlecht, weil, die Autorität wird untergraben auf dem Platz. Ist natürlich für den Zuschauer super, der sieht alles gründlicher und besser als der Schiedsrichter, klar. Keine Frage."

Um besseres Sehen und Verstehen geht es auch den Trainern, die sich die Spiele ihrer Teams immer öfter von speziellen Computerprogrammen digital analysieren lassen. Manchester United setzt dabei ebenso wie der DFB und etliche andere Proficlubs auf Amisco, der Software aus dem Hause Mastercoach. Es ist eine entscheidende Szene im Spiel Manchester United gegen Barcelona, übertragen vom französischen Fernsehen. ManUs Weltklassestürmer Cristiano Ronaldo hat den Ball angenommen und sprintet los.

"Ungefähr 30 Meter vor dem Tor treibt er den Ball wirklich mit über 27 Stundenkilometer an, dicht am Fuß."

Jens Urlbauer, Geschäftsführer bei Matercoach in Düsseldorf, entnimmt die Sprintleistung des Stürmers sozusagen schwarz auf grün seinem Monitor. Da huschen gerade kleine, mit den Rückennummern der Spieler versehene Punkte in einer zweidimensionalen Animation über das Fußballfeld.

"Das Ganze wird dann synchronisiert mit dem Videobild und ist dann noch verknüpft mit einer Vielzahl von technisch-taktischen aber auch physischen Daten der Spieler, so dass ich dann aus diesem Video, der Animation und der Statistik ein Gesamtbild ableiten kann, was dazu dient, die Mannschaft, die einzelnen Spieler zu verbessern."

Pokalsieger und Europameister werden heute eben nicht nur auf dem Spielfeld gemacht. Entscheidend ist auch, was die Software sagt. Und die seziert ein Fußballspiel regelrecht. Ein Torschuss wird mit Schussgeschwindigkeit, Schusswinkel und Entfernung zum Tor angegeben. Möglich machen solch präzise Fakten acht Sensoren, die zuvor fest im Stadion installiert wurden. Sie nehmen die gesamte Spielfläche aus der Vogelperspektive auf.

"Tracking heißt dieses Sensorik, die es ermöglicht über diese programmierten Algorithmen mehr als zehn mal pro Sekunde den Spieler zu tracken, also anzuschießen und dadurch eben diese exakte Positionsbestimmung zu machen."

Neben der Datengenauigkeit schätzen die Clubs aber besonders, dass sie mit der Sensortechnik - anders als bei der Videoanalyse - immer das gesamte Spielfeld im Blick haben. Bei Kontern wollen die Trainer eben schon beim Ballverlust weit im gegnerischen Feld wissen, was ihre Viererkette so treibt. Dank der Sensoren unter der Stadiondecke ist das möglich. Per Mausklick können die Spieler mit einer Linie verbunden werden, die quasi mitläuft. So kann bei der Analyse lückenlos verfolgt werden, wie groß die Abstände der einzelnen Spieler zueinander sind.

"Ich habe dann auch die Möglichkeit zu prüfen, stehen die sich auf den Füßen rum und nutzen Räume nicht aus, oder machen sie es so, wie gewünscht."

Für die Spieler kann die Analysesoftware Segen oder Fluch sein, denn ihr bleibt nichts verborgen. Ob faul oder fleißig, erfolgreich oder chancenlos, alles wird auf der Festplatte gespeichert. Die Software liefert den gläsernen Fußballprofi.

"Die Daten werden im Stadion gesammelt. Die Sensoren sind verkabelt mit einem etwas größeren Rechnersystem, was im Stadion steht. Und es ist eine komplett internetbasierte Lösung, so dass unsere Daten dann vom Stadion aus direkt in die Produktion gehen."

Rund 24 Stunden nach Abpfiff liegt dem Trainerstab dann die elektronische Tracking-Spielanalyse vor. Sie enthält bis zu 3000 sogenannte Ereignisse, also Pässe, Abschläge, Ballgewinne- und Verluste, Ecken und, und, und.

"Also jede dieser Situationen ist erfasst und ich kann ereignisbezogen oder spielerbezogen mich durch das Spiel durchklicken. Wen sie jetzt also Torwarttrainer sind, sagen sie zum Beispiel ich möchte nur die Aktionen sehen, die meinen Torwart betreffen, alle Paraden, alle Abschläge, alles was es letztendlich gibt."

Zwischen 50.000 und 100.000 Euro lassen sich die Vereine den Hightech - Analyseservice pro Saison kosten. Wenn es denn hilft, denkt sich der Fan, und rauft sich die Haare.