"Der Geschmack von Rost und Knochen"

Von Anke Leweke · 09.01.2013
Ein schwerer Unfall verändert Stephanies Leben, sie landet im Rollstuhl - und doch ist das der Beginn einer außergewöhnlichen Liebesgeschichte. Stephanie findet mit Ali zusammen, der als Boxer den Körper vor allem als Muskelpaket begreift.
Die Wege eines ehrgeizigen Boxers und einer Frau, die beide Beine verloren hat, werden sich in "De Rouille et d'os" kreuzen. Tatsächlich mutet Jacques Audiard seiner Heldin Stephanie (Marion Cotillard) das Allerschlimmste zu. Flüchtig kreuzen sich in einem Nachtclub die Wege von Ali (Matthias Schoenaerts) und Stephanie. Die attraktive junge Frau lässt den Türsteher abblitzen. Als sich die beiden das nächste Mal treffen, ist die Lage radikal anders: Stephanie, die in einer Wassershow bei Cannes Orcas dressierte, wurden bei einem Unfall von einem der riesigen Tiere beide Unterschenkel abgebissen. Vielleicht aus Verzweiflung, vielleicht aus Hilflosigkeit, vielleicht, weil sie ahnt, dass es genau das Richtige ist, ruft sie den hünenhaften Mann an. Eine seltsame Beziehung entsteht.

So brutal wie diese Geschichte auch klingen mag: "De Rouille et D‘os" ist ein schöner Liebesfilm. Und es sind die Körper, die den Figuren voraus sind, die weit besser ihre Sehnsüchte, ihre Bedürfnisse zu kennen scheinen. Wenn Ali die junge Frau im Rollstuhl zum ersten Mal in ihrer Wohnung besucht, sind alle Jalousien heruntergezogen. Ohne sie überhaupt nur zu fragen, öffnet er sie. Das helle Licht lässt sie blinzeln, doch gleichzeitig geht ein Ruck durch ihren Rumpf, Arme und Schultern kommen in Bewegung.

Später, an einem frühsommerlichen Morgen, wird er sie mit ans Meer nehmen, sie aus dem Rollstuhl heben und Huckepack ins Meer tragen. Sie freut sich im Wasser zu sein, nimmt ihren Körper wieder wahr, belebt ihn wieder und beginnt allmählich wieder zu leben. Es ist Alis völlig pragmatischer, unsentimentaler Blick auf Stephanies Versehrtheit, der diese Szenen ganz leicht und selbstverständlich erscheinen lässt.

Aber die Bewegung der Liebe, die sich als Choreographie der Physis tarnt, verläuft auch umgekehrt. Für Ali, der als Wachmann bei einem Sicherheitsdienst arbeitet, und sich bei brutalen illegalen Boxkämpfen ein Zubrot verdient, ist der Körper zunächst einmal ein Paket Muskeln, das es in Form zu halten gilt. Diesen schweigsamen zurückgezogenen Mann reißt Stephanie immer wieder aus seiner manchmal wie vorbewusst wirkenden Existenz heraus. Von einem extremen und radikalen Körperballett kann man angesichts dieses Films sprechen.

Frankreich/Belgien 2012. Regie: Jacques Audiard. Darsteller: Marion Cotillard, Matthias Schoenaerts, Céline Sallette, Corinne Masiero, Bouli Lanners. Ab 12 Jahren. 127 Minuten.

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