Der Geschichtenerzähler

Von Eva Raisig |
Eigentlich wollte Damian Harper Meeresbiologe werden oder Fotojournalist. Vor allem wollte er nie nach Deutschland. Der 33-Jährige ist inzwischen Filmregisseur und Wahlberliner. Zur Zeit feiert er mit einer Milieustudie über New Yorker Straßengangs Erfolge und verstört die Zuschauer durch brutale Szenen und eine explizite Sprache.
Die verwackelte Kameraperspektive eines flüchtenden, gehetzten Menschen, Toreinfahrten, Hinterhöfe, ein Maschendrahtzaun, an dem die Flucht endet. Tritte, die den am Boden Liegenden treffen. Schläge, Rache, Blut, eine hasserfüllte, rohe Sprache.

Gerade lief Damian John Harpers neuer Film "Teardrop" über die New Yorker Straßengangszene auf einem Filmfestival in Brooklyn. Der 15-Minüter erhielt dort den Publikumspreis für den Besten narrativen Kurzfilm.

Dreitagebart, schwarzes Hemd, schwarze Hose: Ein paar Tage nach der Preisverleihung steht der junge Amerikaner in seiner großzügigen Wohnküche in Berlin-Prenzlauer Berg und bereitet Kaffee vor. Durch die Doppelglasfenster dringt entfernt der Lärm der Schönhauser Allee in die Wohnung, Berliner Altbaucharme, unverputzte Wände, die hohen Decken weiß und stuckverziert. In der Ecke des Zimmers steht ein Spielzeughaus aus Pappe, das Damian Harpers kleinem Sohn gehört — es ist ein Ort weit weg von der Gewalt der New Yorker Straßenbanden, vor der die Eltern des Filmemachers Mitte der 70er-Jahre geflohen sind.

"Von der Gewalt, das kenne ich eigentlich nur aus ihren Geschichten. Ich weiß irgendwie, was mein Vater oder was meine Mutter in ihrem Leben durchmachen musste, und ich hatte das Glück, ich musste kein Messer in die Schule mitbringen, um mich zu verteidigen."

Damian Harper wächst im beschaulichen Boulder/Colorado behütet, aber nicht abgeschottet auf. Seine Mutter betreut als Sozialpädagogin Kinder von Einwandererfamilien, die unter oft schwierigen Bedingungen versuchen, in den USA Fuß zu fassen.

Als Damian Harper nach seinem Abschluss ein Jahr lang in einem kleinen Dorf im Süden Mexikos lebt, merkt er, dass es nicht der wissenschaftliche Blick auf den Menschen ist, der ihn interessiert. Er will nicht forschen, sondern von den Probleme der Aus- und Zurückgewanderten erzählen, von den Eigenheiten des Dorfes und den Geschichten hinter den Menschen. Und das bis heute.

"Ich fühle mich immer noch verpflichtet mitzuteilen, was ich dort erlebt habe."

Es ist nicht der gerade Weg, der ihn schließlich zu einer künstlerischen Sprache und seiner Ausdrucksform bringt. Er arbeitet als Englischlehrer in Mexiko, als Höhlentaucher in Brasilien - und er macht sich fürs Erste zwei Listen: Eine mit Ländern, die er bereisen möchte, eine andere, mit Ländern, die ihn bestimmt nicht interessieren. Auf der zweiten Liste steht ganz oben: Großbritannien.

"Und als zweites Deutschland: Da will ich nie hin. Deutsch lernen, Lederhosen, Weißbier, das interessiert mich alles gar nicht. Dann habe ich mich in dieses Mädchen verliebt und sie schlug vor, sie in Berlin zu besuchen. Dann bin ich nach London geflogen und von London weiter nach Deutschland und dann habe ich sofort angefangen, Deutsch zu lernen."

Seit zehn Jahren ist Damian Harper nun hier - und mit dem Mädchen, in das er sich verliebte, einer Bühnen- und Kostümbildnerin, verheiratet. In seiner ersten Zeit in Berlin putzt er nachts in Kinos, schreibt sich an der Uni ein und findet während eines Seminars zufällig eine Sprache, mit der er seine Geschichten erzählen kann: Die Sprache des Films.

"Sich für irgendwas zu interessieren, irgendwo hinzugehen, Menschen kennenzulernen, andere Kulturen und Geschichten kennenzulernen und die Rechercheergebnisse dann nicht in einem wissenschaftlichen Text zu erfassen, sondern in laufenden Bildern. Also das war so ein Erwachen, so ein Erlebnis."

Mit bescheidenen Mitteln dreht er seinen ersten Film und wird schließlich an der Filmhochschule in München genommen. Filmemacher sei er, ja, und lehnt sich auf der Couch zurück, vor allem aber ein Geschichtenerzähler. Meist sind es Geschichten aus seiner Heimat im weitesten Sinne, aus einem Amerika irgendwo zwischen Alaska und Argentinien, zu dem der Marktplatz eines mexikanischen Dorfs ebenso gehört wie die Rituale der New Yorker Gangszene.

"Ich fühle mich hier auf jeden Fall zu Hause. Aber wo man herkommt, das kann man nie ändern. Where you're from is where you're from. Das wird immer so bleiben. Ich glaube, das ist einfach der Ort, wo ich meine Kämpfe sehe."

Die Gewalt, die seine Eltern in New York erlebten, spiele sicherlich eine Rolle für die Entstehung von "Teardrop". Es gebe aber auch andere Einflüsse, sagt der 33-Jährige und sucht am Computer ein Video von Bernsteins Westside Story heraus. Ein bisschen Gangerfahrung habe er als Kind schließlich auch gemacht.

"Sonntagvormittag, die Sonne scheint, meine Mutter und ich, wir putzen die Wohnung und konnten zu zweit jedes Lied auswendig spielen."


Service:

Im August 2011 lief Damian Harpers Gangfilm "Teardrop" auf dem internationalen Filmfestival in Montreal, im September 2011 wird er dann auf dem Festival im spanischen Ourense zu sehen sein.