Der Geist des Gründers

Von Stefanie Oswalt · 05.03.2011
Christentum und Reinkarnationslehre bilden den Kern der Johannischen Kirche. Stifter der Religion ist der Religions- und Sozialreformer Joseph Weißenberg, der vor 70 Jahren starb. Seine Anhänger verehren ihn als Heiler und Propheten.
"Das Besondere ist, dass ich mich total wohl und aufgehoben fühle und dass die Kirche nicht dogmatisch ist. Ich finde das so schön, dass wir offen sind für alle Kirchen und es steht ja auch auf unserem Banner: Überbrückung der Konfession durch die Liebe."

Im schattigen Biergarten vor der großen Hallenkirche leuchtet Angelika Didoffs Gesicht vor Begeisterung. Das ganze Jahr über freut sich die Leiterin eines Pflegedienstes auf das jährliche Zusammentreffen mit ihren Glaubensbrüdern und Schwestern aus ganz Deutschland. Mit ihnen feiert sie in der Friedensstadt bei Trebbin, 30 Kilometer südlich von Berlin den Geburtstag ihres Religionsstifters Joseph Weißenberg.

1000 Sitzplätze fasst das schlichte Kirchenschiff mit dem hölzernen Deckengewölbe. Zum Festgottesdienst sind die Reihen dicht besetzt. Erbaut wurde das Haus in den 1920er Jahren durch Joseph Weißenberg und seine Anhänger. Weißenberg, ein zum Protestantismus konvertierter Katholik, wollte die christlichen Kirchen reformieren. Seine Lehre brachte ihn in Konflikt mit den traditionellen Kirchen. 1926 gründete er seine eigene, die "Johannische Kirche". Ihr gehören auch Rainer Gerhardt und Ulrike Gehde an:

Rainer Gerhardt: "Wir glauben einfach, dass Joseph Weißenberg eine Offenbarung Gottes ist. Wir glauben, dass es überhaupt möglich ist, dass Gott sich mehrfach offenbart. Und das sind bei uns die Gottesoffenbarungen Mose, Jesus Christus und Joseph Weißenberg."

Ulrike Gehde: "Joseph Weißenberg ist für uns der Tröster und der Heilige Geist und der Geist der Wahrheit, auf den eben Jesus Christus hingewiesen hat, auch im Johannes-Evangelium."

Das Johannes-Evangelium und die Offenbarung des Johannes haben der Kirche ihren Namen gegeben. Beide Texte spielen in der Theologie Joseph Weißenbergs eine zentrale Rolle. Von der Vision vom einen Hirten und der einen Herde aus dem Johannes-Evangelium leitet er das Postulat zur Überwindung der Konfessionen durch die Liebe ab. Die Offenbarung des Johannes' interpretieren die Johannischen Christen als bereits vollzogenen Schöpfungsmythos. Demnach sind die Seelen mit dem Sturz Luzifers, der in der Offenbarung als "Drache" beschrieben wird, auf die Erde gekommen.

Ulrike Gehde: "Da ist ja auch diese bildhafte Schilderung von dem Drachen, der ein Drittel der Sternenwelt mit sich reißt und wir glauben nach der Lehre Joseph Weißenbergs, dass die Erde erschaffen wurde als ein Erlösungsstern für diese gefallenen Engel, damit sie wieder in die Gottesnähe finden können."

Dieses Schöpfungsverständnis, das eben nicht den Sündenfall Adams und Evas an den Beginn der Menschheit setzt, führt auch zu einem freien Verständnis von Sexualität und Ehe:

Ulrike Gehde: "Es ist ein Teil der Herrlichkeit Gottes, die er uns schenkt. Die zehn Gebote geben dafür einen bestimmten Rahmen."

Rainer Gerhardt: "Die Ehe ist kein Sakrament. Es gibt kirchliche Trauungen, wo man sich den gemeinsamen Lebensweg segnen lässt, es gibt aber auch die Segnung von gleichgeschlechtlichen Partnerschaften. Prediger der Johannischen Kirche dürfen sich scheiden lassen und verlieren deswegen nicht ihr Amt. Und ich kann mir nicht vorstellen, dass man mit der Sexualität erst nach der Ehe anfängt mit einem Partner, den man so vorher noch nicht erkannt hat."

Eine zentrale Rolle spielt für die Anhänger der Johannischen Kirche zudem der Glaube an die Reinkarnation.

Rainer Gerhardt: "Wenn man schon einmal gelebt hat auf dieser Erde und nicht alles geschafft hat in seinem Leben – Schaffen in dem Sinne, Gott näher zu kommen - hat man unter Umständen die Chance, das in einem anderen Leben noch einmal zu tun."

Joseph Weißenberg glaubte an die Verbindung zu den Seelen im Jenseits, an ihre Wiederkehr und das konkrete Wirken der göttlichen Kraft. Zu seinen Lebzeiten wurde er als Hellseher und Heiler verehrt. Beides prägt die Johannische Kirche bis heute. Nach dem Verständnis der Gläubigen predigt bei einer sogenannten "Geist-Freund"-Rede etwa nicht der Prediger selbst, sondern:

Rainer Gerhardt: "Die Seele des Menschen tritt beiseite und macht Raum für einen anderen. Es ist so … der Prediger, das Werkzeug, durch den gesprochen wird, kriegt davon nichts mit."

Ähnliches passiert nach dem Verständnis der Gläubigen auch bei der Vergabe des "Sakraments geistiger Heilung". Joseph Weißenberg, so heißt es, habe seinerzeit Tausende von Menschen durch Handauflegen geheilt und gefordert, diese urchristliche Praxis zu erneuern. Jane Schermutzki hat ihren Beruf als Designerin aufgegeben und legt beinahe täglich Hände auf. Dabei versteht sie sich als "Werkzeug" zur Weiterleitung göttlicher Kraft:

"Zu mir kommen die Leute und merken, sie werden leichter und freier. Meine Rolle ist wirklich nur der Strohhalm. Und die Kraft, die kommt wirklich von wo ganz anders. Und wenn die fließt, wenn da was bewirkt wird, was mich immer freut, wenn ich es dann höre, bin ich meistens selber sehr erstaunt."

Jane Schermutzki weiß, dass ihre Heilungserfolge für Außenstehende unglaublich klingen, deshalb möchte sie keine konkreten Beispiele berichten. Letztlich diene das Heilen ohnehin nur dazu, von der Wirkkraft der Lehre Jesu Christi zu überzeugen. Auch Joseph Weißenberg habe seinerzeit vor allem durch Taten überzeugen wollen.

Jane Schermutzki: "Das war so jemand, der nie was vom anderen verlangt hat, was er nicht selbst erbringen konnte. Also der war in jedem Handwerk irgendwo zu Hause. Wenn da die Häuser gebaut wurden, der hat selbst die Kelle genommen und hat den Putz rangemacht und hat gemalert und hat die Steine aufeinander gemacht. Er war immer der Erste, und der Letzte, der ging."

Einen Eindruck von der praktischen Tatkraft Joseph Weißenbergs erhält, wer mit Gunnar Pommerening durch die Friedensstadt läuft. Der ehemalige Ingenieur für Biotechnik ist in der Friedensstadt für Projektmanagement und Öffentlichkeitsarbeit zuständig:

"Joseph Weißenberg hat die Siedlung 1920 gegründet mit dem Haus zum Grundstein, da kommen wir nachher auch vorbei. Man muss sich ja vorstellen, er hat 400 Hektar Ödland gekauft, einschließlich des Kirchengeländes, wo unsere Kirche drauf steht – da stand damals noch keine Kirche."

In den 1920er Jahren schafft Weißenberg mit der Friedensstadt eines der größten und modernsten privaten Siedlungswerke seiner Zeit. Es umfasste neben etlichen Wohnhäusern auch eine Schule, ein Altersheim, Werkstätten, einen Landwirtschaftsbetrieb und die Hallenkirche in Blankensee. Etwa 120.000 Gläubige zählt die Johannischen Kirche damals.

Der jähe Bruch kommt mit der Nazi-Zeit. Viele Anhänger wenden sich ab, weil die Kirche 1935 verboten, Joseph Weißenberg verhaftet und die Siedlung Friedensstadt 1940 an die SS zwangsverkauft wird. Am 6. März 1941 stirbt Weißenberg in schlesischer Verbannung. Nach dem Krieg zieht eine Garnison der Roten Armee auf das Gelände. Erst nach ihrem Abzug im März 1994 erhält es die Johannische Kirche zurück. Seither arbeitet Gunnar Pommerening daran mit, die Siedlung im Geist ihres Gründers wieder zu beleben:

"Sein Grundgedanke war der, dass er den Menschen einen praktischen Ansatz geben wollte, im Sinne der Bergpredigt zu leben, dass das nicht theoretisch bleibt, sondern die Leute einen "Henkel" haben, ein festes Glaubensfundament in Verbindung mit gemeinsamen Leben und Arbeiten."

Doch trotz aller Bemühungen - die Johannische Kirche schrumpft. 3000 Mitglieder zählt sie heute noch bundesweit. Etwa 400 Menschen leben wieder in der Friedensstadt, gut zwei Drittel davon sind Johannische Christen. Doch der Nachwuchs fehlt, weil neue Mitglieder kaum noch hinzukommen. Was passiert, wenn das jetzige Kirchenoberhaupt, die Enkelin Joseph Weißenbergs, ihr Amt niederlegt, ist unklar. Und doch wirken die Gläubigen nicht verzweifelt – Gott, sagen sie, werde den richtigen Weg schon weisen.