Der Geist, der stets verneint
Als "linke Literaten" beschimpft und in Zeiten des Internets immer öfter totgesagt - Intellektuelle hatten es noch nie leicht. Grund genug, den "homo scriptor" in einem Buch zu würdigen.
"Ich kann mir nicht denken, dass Politik ohne die lästige Assistenz der Intellektuellen eine geschichtliche Chance hat!"
Max Frisch, 1977, auf einem SPD-Parteitag. Er spricht auf Einladung von Bundeskanzler Helmut Schmidt. "Ein Intellektueller" - Frisch war nichts lieber als das, sprich einer dieser Männer und Frauen von kritischem Geist und spitzer Feder, die den Machthabern öffentlich ins Gewissen reden. Im Namen der Demokratie und der Menschrechte.
Spätestens mit der "Spiegelaffäre" 1963 – Redakteure des Magazins werden wegen Landesverrates angeklagt, die Öffentlichkeit protestiert, und am Ende nimmt Verteidigungsminister Strauß den Hut – spätestens 1963 also, Bering kann das überzeugend belegen, setzt sich in der Bundesrepublik das Bewusstsein durch: Eine Demokratie braucht kritische Geister, die die Öffentlichkeit alarmieren, sobald sie demokratische Grundrechte gefährdet sehen. Intellektuelle Brandstifter wie Frisch und Böll in der Bundesrepublik oder Sartre und de Beauvoir in Frankreich waren bei den Machthabern zwar nicht allseits beliebt, aber doch respektiert.
Dabei, und das hat Bering herausgefunden, ist der Begriff "Intellektueller" als Schimpfwort geboren worden. In französischen Zeitungen Ende des 19. Jahrhunderts.
"Es taucht in den Lexika am Anfang des 20. Jahrhunderts auf. So lässt sich vermuten, dass es am Ende des vorigen Jahrhunderts aufgekommen ist – zur Zeit des Dreyfus-Prozesses."
Émile Zola und seine Anhänger: alle, die 1898 öffentlich protestiert hatten gegen die rechtswidrige Verurteilung von Alfred Dreyfus, einem jüdischen Offizier, wurden naserümpfend als 'Intellektuelle’ tituliert. Von politischen Gegnern aus dem rechtskonservativen Lager. 'Intellektuelle’, das seien linke Literaten, die sich in Dinge einmischen, von denen sie keine Ahnung hätten. Angeblich Sachwalter der Vernunft und der Gerechtigkeit, in Wahrheit Vaterlandsverräter - und Juden. Oder wenigstens Juden-Freunde, wie der Fall Dreyfus deutlich mache.
Bering beschreibt, wie besagtes Schimpfwort aus dem Französischen in Deutschland Karriere macht, von der Jahrhundertwende bis in die nationalsozialistische Ära. Auch Joseph Goebbels ist angewidert vom Typus des "intellektuellen Nörglers":
"Er sagt Nein, wenn das Deutsche Österreich dem Reich angeschlossen wird. Er sagt Nein, wenn das Sudetenland zu Deutschland zurückkehrt. Er sagt überhaupt und immer Nein, und zwar aus Grundsatz!"
Den Geist, der stets verneint, den Teufel also assoziiert Goebbels auf das Stichwort "Intellektueller". Bei den Kommunisten gibt es ähnliche Ressentiments. Bering zeigt, schon dreißig Jahre vor Goebbels hat Lenin Front gemacht gegen "Intellektuelle, die durch und durch vom bürgerlichen Individualismus durchtränkt sind". Stalin hat Lenins "Hass gegen lamentierende Intellektuelle" ausdrücklich hochgehalten, einen Hass, der für viele tödlich war.
Erst nach dem Bankrott der totalitären Systeme, im Westeuropa der Nachkriegszeit, bekommt der Titel "Intellektuelle" einen guten Klang. Besonders in Frankreich. Und in Deutschland.
Entsprechend groß ist die Aufregung über einen Artikel von Jean-Francois Lyotard, 1983, in "Le Monde", Titel: "Das Grabmal des Intellektuellen". Jene Spezies sei im Aussterben begriffen, behauptet Lyotard und liefert den Auftakt zu einer jahrzehntelangen Diskussion. Als deren vorläufiges Resümee betrachtet Bering eine Debatte, die die "Neue Zürcher Zeitung" vor zehn Jahren führte. Er befasst sich mit ihr in einem Kapitel über die Gründe für das "große Intellektuellen-Sterben":
"Das Auserwählungsmodell des Intellektuellen hängt aufs Engste mit einer Geste des Schreibens zusammen. Wer für intellektuell angesehen werden will, muss sich als 'homo scriptor’ bekennen."
Die Bedeutung von Texten aber sei im Schwinden begriffen, die moderne Mediengesellschaft bevorzuge Bilder. Außerdem sei den Intellektuellen ihr Publikum abhanden gekommen: Es gibt keine Öffentlichkeit mehr, nur noch unzählige Fernsehkanäle und Internetforen, wie soll man sich da Gehör verschaffen?
Aber Bering will nicht einstimmen in den "Intellektuellen-Abgesang". Er bekundet Sympathien für die Ideen von Pierre Bourdieu. Bourdieu meint, die "großen intellektuellen Einzelgänger" hätten die historische Bühne freigemacht zugunsten "intellektueller Kollektive". Kritische Geister könnten sich heute besser und schneller organisieren denn je, gerade durch Foren im Internet.
Ein herausragendes Buch. Sprachmächtig, streitbar, von überzeugender Dramaturgie. Was den Inhalt betrifft: "Keine Eisenbahnlektüre", hätte Ernst Bloch gesagt, keins, das man in einem Zug durchliest, dafür ist es zu gehaltvoll, beinah eine Geschichte des europäisch-politischen Geistes im 20. Jahrhundert. Der einzige Wermutstropfen: Leider ist von Intellektuellen in der DDR, ja, im ganzen so genannten "Ostblock" nach 1945 nicht die Rede.
Besprochen von Susanne Mack
Dietz Bering: Die Epoche der Intellektuellen. 1898-2001.Geburt Begriff Grabmal
University Press Berlin 2010
756 Seiten. 49,90 Euro.
Max Frisch, 1977, auf einem SPD-Parteitag. Er spricht auf Einladung von Bundeskanzler Helmut Schmidt. "Ein Intellektueller" - Frisch war nichts lieber als das, sprich einer dieser Männer und Frauen von kritischem Geist und spitzer Feder, die den Machthabern öffentlich ins Gewissen reden. Im Namen der Demokratie und der Menschrechte.
Spätestens mit der "Spiegelaffäre" 1963 – Redakteure des Magazins werden wegen Landesverrates angeklagt, die Öffentlichkeit protestiert, und am Ende nimmt Verteidigungsminister Strauß den Hut – spätestens 1963 also, Bering kann das überzeugend belegen, setzt sich in der Bundesrepublik das Bewusstsein durch: Eine Demokratie braucht kritische Geister, die die Öffentlichkeit alarmieren, sobald sie demokratische Grundrechte gefährdet sehen. Intellektuelle Brandstifter wie Frisch und Böll in der Bundesrepublik oder Sartre und de Beauvoir in Frankreich waren bei den Machthabern zwar nicht allseits beliebt, aber doch respektiert.
Dabei, und das hat Bering herausgefunden, ist der Begriff "Intellektueller" als Schimpfwort geboren worden. In französischen Zeitungen Ende des 19. Jahrhunderts.
"Es taucht in den Lexika am Anfang des 20. Jahrhunderts auf. So lässt sich vermuten, dass es am Ende des vorigen Jahrhunderts aufgekommen ist – zur Zeit des Dreyfus-Prozesses."
Émile Zola und seine Anhänger: alle, die 1898 öffentlich protestiert hatten gegen die rechtswidrige Verurteilung von Alfred Dreyfus, einem jüdischen Offizier, wurden naserümpfend als 'Intellektuelle’ tituliert. Von politischen Gegnern aus dem rechtskonservativen Lager. 'Intellektuelle’, das seien linke Literaten, die sich in Dinge einmischen, von denen sie keine Ahnung hätten. Angeblich Sachwalter der Vernunft und der Gerechtigkeit, in Wahrheit Vaterlandsverräter - und Juden. Oder wenigstens Juden-Freunde, wie der Fall Dreyfus deutlich mache.
Bering beschreibt, wie besagtes Schimpfwort aus dem Französischen in Deutschland Karriere macht, von der Jahrhundertwende bis in die nationalsozialistische Ära. Auch Joseph Goebbels ist angewidert vom Typus des "intellektuellen Nörglers":
"Er sagt Nein, wenn das Deutsche Österreich dem Reich angeschlossen wird. Er sagt Nein, wenn das Sudetenland zu Deutschland zurückkehrt. Er sagt überhaupt und immer Nein, und zwar aus Grundsatz!"
Den Geist, der stets verneint, den Teufel also assoziiert Goebbels auf das Stichwort "Intellektueller". Bei den Kommunisten gibt es ähnliche Ressentiments. Bering zeigt, schon dreißig Jahre vor Goebbels hat Lenin Front gemacht gegen "Intellektuelle, die durch und durch vom bürgerlichen Individualismus durchtränkt sind". Stalin hat Lenins "Hass gegen lamentierende Intellektuelle" ausdrücklich hochgehalten, einen Hass, der für viele tödlich war.
Erst nach dem Bankrott der totalitären Systeme, im Westeuropa der Nachkriegszeit, bekommt der Titel "Intellektuelle" einen guten Klang. Besonders in Frankreich. Und in Deutschland.
Entsprechend groß ist die Aufregung über einen Artikel von Jean-Francois Lyotard, 1983, in "Le Monde", Titel: "Das Grabmal des Intellektuellen". Jene Spezies sei im Aussterben begriffen, behauptet Lyotard und liefert den Auftakt zu einer jahrzehntelangen Diskussion. Als deren vorläufiges Resümee betrachtet Bering eine Debatte, die die "Neue Zürcher Zeitung" vor zehn Jahren führte. Er befasst sich mit ihr in einem Kapitel über die Gründe für das "große Intellektuellen-Sterben":
"Das Auserwählungsmodell des Intellektuellen hängt aufs Engste mit einer Geste des Schreibens zusammen. Wer für intellektuell angesehen werden will, muss sich als 'homo scriptor’ bekennen."
Die Bedeutung von Texten aber sei im Schwinden begriffen, die moderne Mediengesellschaft bevorzuge Bilder. Außerdem sei den Intellektuellen ihr Publikum abhanden gekommen: Es gibt keine Öffentlichkeit mehr, nur noch unzählige Fernsehkanäle und Internetforen, wie soll man sich da Gehör verschaffen?
Aber Bering will nicht einstimmen in den "Intellektuellen-Abgesang". Er bekundet Sympathien für die Ideen von Pierre Bourdieu. Bourdieu meint, die "großen intellektuellen Einzelgänger" hätten die historische Bühne freigemacht zugunsten "intellektueller Kollektive". Kritische Geister könnten sich heute besser und schneller organisieren denn je, gerade durch Foren im Internet.
Ein herausragendes Buch. Sprachmächtig, streitbar, von überzeugender Dramaturgie. Was den Inhalt betrifft: "Keine Eisenbahnlektüre", hätte Ernst Bloch gesagt, keins, das man in einem Zug durchliest, dafür ist es zu gehaltvoll, beinah eine Geschichte des europäisch-politischen Geistes im 20. Jahrhundert. Der einzige Wermutstropfen: Leider ist von Intellektuellen in der DDR, ja, im ganzen so genannten "Ostblock" nach 1945 nicht die Rede.
Besprochen von Susanne Mack
Dietz Bering: Die Epoche der Intellektuellen. 1898-2001.Geburt Begriff Grabmal
University Press Berlin 2010
756 Seiten. 49,90 Euro.