Der Geiger des Jazz

Von Simonetta Dibbern · 26.01.2008
Stéphane Grappelli verstand es wie kaum ein anderer, zwei musikalischen Welten miteinander zu verbinden. Er beherrschte die klassische Technik des Violinspiels, wie sie eigentlich in die Konzertsäle gehört. Doch wenn es um Emotionen ging, konnte er die saubere Intonation vernachlässigen. Damit legte der französische Geiger den Grundstein zum europäischen Jazz.
Paris, im Jahr 1937. Ein Gitarrist und ein Geiger spielen den heißesten Swing, den Europa bis dahin gehört hat - ohne Saxophon und ohne Schlagzeug - zusammen mit ihrer Band "Quintett de Hot Club de France". Der Mann an der Gitarre ist Django Reinhardt. Der Geiger: Stéphane Grappelli. Die beiden waren sich zufällig begegnet: zwei visionäre Genies, virtuos-chaotisch der eine, ebenso kreativ, doch mit Organisationstalent, Sinn für Marketing sowie jeder Menge Charme der andere. Ein kongeniales Paar, ihr Zusammentreffen schlug Funken. Es war die Geburtsstunde des europäischen Jazz.

Geboren wird Stéphane Grappelli am 26. Januar 1908 als Sohn eines italienischstämmigen Philosophieprofessors in Paris. Als Kind bekommt er Tanzstunden, unter anderem bei Isadora Duncan. Klavier und Geige bringt er sich selbst bei. Nach dem Tod des Vaters verdient er sein erstes eigenes Geld: als Stehgeiger in Pariser Hinterhöfen und in Tanzsalons. Lukrativer sind die Engagements als Stummfilmpianist. Doch der junge Franzose begnügt sich nicht mit Musettewalzer und Tanzmusik.

"Ich hatte das Glück, damals ein paar der ganz raren Jazzschallplatten hören zu können. Und ich habe mich daraufhin entschlossen, selbst Jazz zu spielen. Dabei kam mir zur Hilfe, dass ich Autodidakt bin. Ich hatte nie einen Lehrer und konnte also spielen, was mir Spaß macht."

Es ist ein Experiment, die Violine in den Jazz zu holen. Ist das klassischste aller Musikinstrumente doch eigentlich viel zu leise, um in einer Swingband zu bestehen. Doch das Experiment gelingt - und schlägt Wellen, bis in die USA. Das "Quintett de Hot Club de France" ist die erste Formation, die die afroamerikanische Kunst der Improvisation mit eigenen Tönen anreichert - mit der Virtuosität der Gypsymusiker und mit dem Erbe europäischer Klassik.

Solch unerhörte Töne gehen den Nationalsozialisten in jeder Hinsicht gegen den Strich: Sie lassen die Swingversion von Bachs Doppelkonzert 1937 einstampfen. Grappelli geht nach London ins Exil und kommt erst nach dem Krieg nach Paris zurück. Spielt wieder - wenn auch mit weniger Enthusiasmus als in den dreißiger Jahren – mit Django Reinhardt. Er trifft die Größen des amerikanischen Jazz: die Pianisten Oscar Peterson und McCoy Tyner, sowie den Saxophonisten Benny Carter. Und ist begeistert vom Hardbop eines Sonny Rollins.

So innovativ, feurig und experimentierlustig wie mit dem "Hot Club de France" ist Stéphane Grappelli später nicht mehr. In seinen Improvisationen wiederholen sich Phrasen und Licks. Als Komponist tritt er kaum noch in Erscheinung. Doch wie kaum ein anderer versteht er es, musikalische Welten zusammenzubringen - vergnügt, sinnlich und tänzerisch. Ein Gentleman, der liebt, was er tut und Größe genug hat, diese Liebe auch zu zeigen. Seinen Kollegen gegenüber und - dem Publikum.

"Wenn wir spielen, geht es doch darum, das Publikum zu erfreuen. Ihm gilt die Anstrengung all unser Fähigkeiten."

Stéphane Grappelli war jegliches Rivalitätsdenken fremd. Immer hat er auch den Nachwuchs gefördert. Ihm ist es zu verdanken, dass viele namhafte Jazzgeiger Franzosen sind: Jean-Luc Ponty, Didier Lockwood, Dominic Pifarely. Und der charmante Grandpère der Geige selbst spielte bis zuletzt mit unverminderter Energie.

"Alles geht vom Kopf aus. Und ich habe solches Vergnügen an der Musik, dass ich das bis zum Ende tun werde."

Am 1. Dezember 1997 ist Stéphane Grappelli in Paris gestorben, im Alter von 89 Jahren.