Der geglückte Small Talk

Tilman Spengler im Gespräch mit Joachim Scholl |
"Sind Sie öfter hier", diese Floskel dient Tilman Spengler als Titel für sein Buch über Konversation. Durch Verschlossenheit in Gesprächen eine besondere Tiefe zu signalisieren, sei ein "relativ eigenständig deutsches Idol", kritisiert der Schriftsteller.
Joachim Scholl: Ein Dialog am Flughafen: "Das ist der Hammer, Sie hier zu treffen! Ist ja der Hammer! Auch nach Berlin mit dem Flugzeug? Echt der Hammer! Wirklich der Hammer, das ist doch gar nicht möglich! Echt cool! Letztes Mal haben wir uns doch auch im Flieger getroffen, erinnern Sie sich? Echt der Hammer! Krass! Echt!" Dieses hammerharte Gespräch hat tatsächlich stattgefunden, sagt und schreibt der Schriftsteller Tilman Spengler in seinem neuen Buch "Sind Sie öfter hier? – Von der Kunst, ein kluges Gespräch zu führen". Guten Tag, Herr Spengler, willkommen im "Radiofeuilleton"!

Tilman Spengler: Hallo, grüße Sie!

Scholl: Sie können sich denken, wie lange ich hin und her überlegt habe, um unser Gespräch zu eröffnen. Dankenswerterweise las ich, dass Zitate immer ein schöner erster Zug sind. Dieses Zitat also, jenes Gespräch am Flughafen, war das der eine Auslöser, der eine große Auslöser für Ihre Überlegungen?

Spengler: Ganz gewiss. Man hat ja dieses schöne, selten benutzte Bild von einem Fass, dass irgendwie zum Überlaufen gebracht würde, und mein Fässlein bestand aus vielen, vielen Tröpfchen dieser Konversation oder ähnlichen Konversationen. Und irgendwann barst das Ganze auf, und ich habe mich hingesetzt und mir die ärgsten Sachen aufgeschrieben.

Scholl: Wer waren denn diese zwei?

Spengler: Das habe ich beschrieben im Buch, ich kann sie nur danach identifizieren, dass sie aussahen wie Banker, die sich so kleideten, als gäbe es keine Krise, und sie führten meinungsbildende Tageszeitungen unterm Arm, die viele Zahlen enthalten über das Geschehen in der Weltwirtschaft.

Scholl: Zitate können jedoch auch tückisch sein, schreiben Sie, wenn man sie nämlich nicht erkennt oder man wie ein Angeber wirkt. Wann benützen Sie denn ein Zitat?

Spengler: Also mit äußerster Vorsicht und meistens erfinde ich dann auch noch die Zuschreibung, weil ich mir immer nicht merken kann, von wem was gerade kommt. Das ist aber ganz legitim, glaube ich, weil die meisten Leute das ja auch nicht so wissen. Also ich glaube, Zitate laufen immer so in verschiedenen Hosen und Jacken und Mützen durch die Gegend, aber es macht ja nichts.

Scholl: "Sind Sie öfter hier?", das ist der Titel Ihres Buches, und das ist eine, ja, so eine harmlose Frage, die jetzt natürlich nach der Lektüre Ihres Buches einen gefährlichen sinistren Klang hat. Was ist denn so riskant an dieser Frage?

Spengler: An dieser Frage ist riskant, dass sie eigentlich verrät, dass derjenige, der sie stellt, männlich oder weiblich, sich noch nicht so ganz genau in die Kunst der Konversation eingeübt hat, dass er noch ein bisschen rumrudert. Denn das ist ja eigentlich eine hinlänglich dumme Frage, "Sind Sie öfter hier?", und das ist sozusagen Anmache Teil eins 50er-Jahre, später Teil der 50er-Jahre. Und deswegen habe ich das genommen und es eben mit diesem entsprechenden Untertitel versehen, der ganz gelehrt auf einen berühmten Essayisten verweist, der Michel de Montaigne heißt.

Scholl: Auf die Klassiker kommen wir gleich noch. Trickreicher und fallenreicher ist sozusagen die nächste ganz absolut gängige Phrase: Wie geht’s? Das darf man Herrn Spengler, glaube ich, jetzt nie mehr fragen, denn darüber schreiben Sie viel und ausführlich und Schreckliches.

Spengler: Ja, das ist wohl wahr, ich hoffe aber, Herr Scholl, dass Sie mit Ihrer Aussage da nicht völlig recht haben. Das ist so wie dieses Gefühl, dass dann kein Mensch mehr mit einem redet, weil sie Angst haben, dummes Zeug zu reden. Das ist so, wie – wie Herr Siebeck sich mal beklagte – nie zum Essen eingeladen zu werden, weil die Leute dann über das Essen herfallen würden und die Nase rümpften. Also diesen verbitternden Effekt möchte ich nicht erzielen.

Scholl: Was antwortet man denn auf "Wie geht’s"? Also ich meine, man sagt, gut, ja, ganz okay?

Spengler: Man könnte natürlich auch die Person fragen, was sie eigentlich wirklich meint, wenn sie sagt: "Wie geht’s?" Aber es sind dann Sachen wiederum, die tief in die deutsche Lust zum Klagen führen, weil das Wort "Wie geht’s?" in der Regel eine fürchterliche Schachtel aufmacht, und derjenige, den man’s fragt, erzählt einem die herzbewegendsten Geschichten, die man alle gar nicht hören will.

Scholl: Ich meine, im Englischen hat man sozusagen dieses "How do you do?" ja gar nicht mehr sozusagen als, wird ja gar nicht mehr geantwortet, sondern man sagt eben auch "How do you do?". Man sagt ja nicht, oh du, ja, ich hab gerade Krebs als Diagnose bekommen oder so. Der Unterschied – Sie haben Michel de Montaigne jetzt schon erwähnt, Sie schreiben, Herr Spengler, dass die mangelnde Gesprächskunst also nicht nur ein deutsches Problem sei, aber ein in Deutschland besonders garstiges Problem. Was machen denn die anderen besser?

Spengler: Ich glaube, die haben zu irgendeiner Zeit ihre Kulturgeschichte das Verdruckste nicht zu einem Idol der Konversation erhoben. Ich glaube, das hängt ein bisschen damit zusammen. Bei uns ist es ja so, eine unserer Lichtfiguren ist zum Beispiel der Dichter Uhland, den Sie alle noch aus dem Auswendiglernen schrecklich langer Balladen kennen, die zum Teil ganz hübsch sind. Und Uhland war einer dieser Menschen, die unglaublich stolz darauf waren, dass sie ein Leben lang die Lippen nicht auseinander kriegten oder die Zähne nicht auseinander kriegten und hat daraus so eine Art Stolz entwickelt. Wenn man die Geschichte liest von ihm, merkt man dann hinterher, dass er eigentlich Angst hatte. Er war auch fürchterlich scheu. Aber diese Scheue, diese sozusagen Gesprächsangst, diese Angst, sich zu öffnen, zu einer Art zu einer nationaler Kultur zu machen und zu sagen, wir beziehen unsere Tiefe aus unserem Schweigen, weil das ja Gold ist usw., usw., oder weil wir so verschlossen sind und dadurch eben noch mehr Tiefe produzieren, das ist schon ein relativ eigenständig deutsches Idol.

Scholl: Über die Kunst, ein kluges Gespräch zu führen, hat der Schriftsteller Tilman Spengler ein Buch geschrieben, er ist hier bei uns im "Radiofeuilleton" von Deutschlandradio Kultur zu Gast. Gibt es denn so etwas wie goldene Regeln des klugen Gespräches? Würden Sie sagen, so eröffnet man es, so führt man es weiter, so beschließt man es, damit sind Sie auf der sicheren Seite – haben Sie ein paar Tipps?

Spengler: Nein, um Gottes Willen nicht! Wenn etwas in Lehrbuch-Charakter ausartet, dann sollte man die Pfoten davonlassen und die Schreibfedern erst recht. Man kann einfach darauf hinweisen, dass wir zehn Prozent unseres Tagesablaufes mit Gesprächen verbringen, im Durchschnitt. Das ist, wenn man die Nachtzeit mit einberechnet, sehr viel mehr, als wir sie mit Essen verbringen oder mit dem Sexualverkehr oder weiß der Teufel was. Also zehn Prozent ist ja schon eine ganz schöne Portion. Und natürlich kann man das nicht lehren, bzw. es wäre ein fürchterlicher Gedanke und es würde jede Unterhaltung natürlich tödlich lähmen, wenn zwei Leute aufeinanderträfen, die aus demselben Lehrbuch die Kunst der Konversation gelernt hätten.

Scholl: Sie als Sinologe sind viel in Asien unterwegs, und dort ist man ja doch immer auch gewohnt, so auf eine ganz bestimmte Art des ritualisierten Austausches, kennt man, dieses Zeremonielle. Was haben Sie aus dieser Erfahrungswelt für Ihr Buch mitgenommen? Ich glaube, eine Menge, ne?

Spengler: Da hatte ich sehr viele, sozusagen das extremste, das schönste Beispiel war ein Essen mit dem Kaiser von Japan. Da gab es einen Gang, und der stand rituell so auch auf der Speisekarte, wo man den Ablauf dieses Geschehens mitverfolgen konnte, stand Punkt 12: Stiller Toast. Es ist eine Veranstaltung, es ist ein Ritual, da steht man auf, schaut sich tief in die Augen, hebt das Glas, verbeugt sich voreinander und setzt sich wieder hin. Die Rede wird nicht gehalten. Eine der tollsten Reden. Man kann sie sofort nacherzählen, sie ist unvergesslich, erfüllt alle Kriterien an eine riesig gute Rede. Das ist sozusagen die eine Geschichte, die mir dazu einfällt. Die andere Geschichte ist, dass es schon auffällig ist, wenn wir, um einander in Gesprächen ein bisschen abzutasten oder vielleicht auch, um einem heiklen Thema auszuweichen, dann reden wir ja übers Wetter gerne, sehr geistreich über das Wetter. Und würden Sie das im Chinesischen machen, ist das äquivalent da was anderes. Im Chinesischen reden Sie dann übers Essen. Also wenn Sie dabei sind, dem anderen an die Gurgel zu gehen oder irgendetwas anderes, als letzte Möglichkeit sagen Sie: Haben Sie schon heute diese frische Reissorte aus (…) (Anmerkung d. Redaktion: Name schwer verständlich im Hörprotokoll) gegessen? Und dann ist alles wieder, dann kann man sagen: Reis, ja das erinnert mich ans Märchen und da ist alles harmonisch usw. Das heißt, Sie haben da so andere Stopper da drin. Und es ist irgendwie fast ein bisschen, na gut, es zieht den Menschen mehr, glaube ich, in seinen Bann, wenn man übers Essen redet, als wenn man übers Wetter redet.

Scholl: Herr Spengler, jetzt kommen Sie uns aber nicht davon, ohne uns doch ein wenig den Experten zu geben. Was sagen Sie zu diesen Gesprächseröffnungen? Ich habe mir ein paar ausgedacht, ob sie was taugen. Sagen wir in der Konzertpause von einem Schönberg-Streichquartett gehe ich auf Sie zu und sage: "Zur neuen Musik habe ich eigentlich ein eher gespanntes Verhältnis. Und Sie?"

Spengler: Es ist nicht ganz schlecht, Sie könnten sagen: "Wie viel Schönberg-Quartette kennen Sie?" Und ich glaube, wir haben hier einen Musikexperten sitzen, es gibt gar nicht so viele. Das heißt, da wären Sie nicht schlecht bedient.

Scholl: Bei einer literarischen Veranstaltung: "Halten Sie Thomas Mann nicht auch für überschätzt?"

Spengler: Ja, das ist sehr gut. Peter Esterhazy hat da ja ein herrliches Essay drüber geschrieben. Das ist ein guter Aufhänger, und da kann man die Person, die solche Sätze sagt, wenn man denn aus irgendwelchen Gründen geneigt ist, dieses Gespräch überhaupt mit der weiterzuführen, kann man natürlich diesen Satz wunderbar verkneten. Das ist ein sehr guter Anfänger.

Scholl: Und jetzt mal sozusagen Alltagskultur in einer Kneipe, da läuft gerade Fußball im Fernsehen und man setzt sich hin, bestellt ein Bier und sagt dann froh in die Runde: "Also ich freue mich ja immer, wenn Bayern München eins auf die Mütze kriegt!"

Spengler: Ja, das ist natürlich in München ein gefährlicherer Satz als anderswo. In Berlin kann man ihn vielleicht lockerer losbringen, ja. Also Sie können dann sagen, willkommen in München!

Scholl: Man kann sagen, man ist im Gespräch.

Spengler: Ja. Nein, nein, der erste Satz ist, glaube ich, gar nicht so entscheidend wie der zweite, also Sie müssen irgendwas draus machen. Das haben Sie ja hier schon angedeutet, indem Sie das so situativ dann einfriemeln, wo findet das Ganze statt. Und das ist natürlich ein wesentlicher Bestandteil der Geschichte und der weiteren Gesprächsentwicklung, dass man all diese kleinen Punkte mit einbezieht.

Scholl: Danke schön, Tilman Spengler, für diese Einschätzungen. Was war denn Ihrer Erinnerung nach das klügste, eleganteste Gespräch, das Sie einmal unterhielten?

Spengler: Das klügste Gespräch, ich weiß es, das muss der liebe Gott entscheiden, aber ich hatte diese schreckliche Angewohnheit, ich habe mit Carl Friedrich von Weizsäcker zusammengearbeitet, und wenn ich eine halbe Stunde mit dem geredet habe, habe ich plötzlich selber angefangen, im deutschen Konditionalsatz II zu sprechen wie der Meister. Es war eine Art osmotisches Verhängnis, da muss ich sehr klug gewesen sein, wenn ich so geredet habe wie der.