"Der Gegenwind ist stark"

Sabine Bätzing im Gespräch mit Frank Meyer · 30.08.2011
Die Lobby der Alkoholindustrie reiche bis weit in die Politik hinein. So sei es in Deutschland sehr schwierig, ein Werbeverbot für alkoholische Getränke durchzusetzen, sagt die SPD-Abgeordnete Sabine Bätzing.
Frank Meyer: Ein komplettes Alkoholverbot in der Öffentlichkeit, das fordert ein Fachmann aus der Kinder- und Jugendarbeit wegen des immer exzessiveren Alkoholkonsums junger Menschen. Er verlangt außerdem eine Promillegrenze für den öffentlichen Personenverkehr, ein Alkoholverbot für Schwangere, an Tankstellen und im normalen Supermarkt sollte es keinen Alkohol mehr zu kaufen geben.

Wolfgang Büscher vom christlichen Kinder- und Jugendwerk Arche hat diese Forderung aufgestellt, in seinem Buch "Generation Wodka. Wie sich unser Nachwuchs mit Alkohol die Zukunft vernebelt". Entschiedene Schritte gegen den Alkoholmissbrauch hat vor zwei Jahren die damalige Drogenbeauftragte der Bundesregierung geplant, die SPD-Bundestagsabgeordnete Sabine Bätzing-Lichtenthäler. Und sie ist damit gescheitert. Warum, das wollen wir mit ihr besprechen. Frau Bätzing, seien Sie willkommen im "Radiofeuilleton"!

Sabine Bätzing: Ja, guten Tag!

Meyer: Was sagen Sie erst mal zu den Forderungen, die Wolfgang Büscher und seine Mitautoren jetzt aufgestellt haben, ein Alkoholverbot in der Öffentlichkeit zum Beispiel?

Bätzing: Das halte sich schon für sehr, sehr extrem. Und man muss da auch schauen, dass es im Maß bleibt. Mir ging es nie darum, die totale Abstinenz von Alkohol in der Gesellschaft zu erreichen, sondern ich habe eigentlich zwei Ziele: Das eine ist der maßvolle Alkoholkonsum bei Erwachsenen in der Gesellschaft, dafür ein Bewusstsein zu bekommen, und den Kinder- und Jugendschutz sicherzustellen.

Und dies beides gelingt am besten, wenn man auf der einen Seite präventive Maßnahmen voranbringt und die gesetzlichen Regelungen, die man hat, dann auch tatsächlich einsetzt. Also so fordernde Maßnahmen wie komplettes Alkoholverbot in der Öffentlichkeit glaube ich nicht, dass uns das durchsetzbar sein wird und auch zum Erfolg bringen wird.

Meyer: Sie haben selbst als Drogenbeauftragte der Bundesregierung ein nationales Aktionsprogramm zur Alkoholprävention vorgelegt, 2008 war das – Ihre Vorschläge gingen auch relativ weit, vor dem Hintergrund dessen, was wir haben jedenfalls. Ich will mal einige Beispiele nennen: An Tankstellen und Bahnhöfen sollte es nach Ihrem Programm keinen Alkohol mehr geben ab 22 Uhr, Alkoholwerbung im Fernsehen und im Kino erst nach 20 Uhr, Promillegrenze für Autofahrer absenken auf zunächst 0,3 und dann 0,0 Promille.

Bätzing: Genau.

Meyer: Wenn ich es richtig sehe, haben Sie keine dieser Forderungen durchsetzen können.

Bätzing: Ja, das ist leider richtig, zumindest nicht in Gesetzesform. Es gab neben diesen Forderungen allerdings auch weitergehende Präventionsmaßnahmen, es gab dann nachher auch Kompromisse. Aber wir haben in der Tat die Punkte, die Sie gerade genannt haben, nicht durchsetzen können.

Meyer: Wer hat das denn verhindert?

Bätzing: Es hat unterschiedliche Hinderer gegeben. Zum einen kam natürlich sehr viel Widerstand aus der Wirtschaft, aus dem Bereich der Alkoholindustrie, die sich zum Beispiel vehement gegen ein Werbeverbot gewandt haben.

Und uns ging es ja gar nicht darum zu sagen, wir wollen überhaupt gar keine Werbung mehr haben, sondern wir wollen keine Werbung in den Bereichen, wo eben Kinder und Jugendliche zuschauen, wir wollen die Werbung dort aus dem Fernsehen etwas zurückschrauben, weil wir eben wissen, welch großen Einfluss Alkoholwerbung auf den Konsum hat, und auch den Beginn des Konsums, das heißt auch auf das Einstiegsalter.

Aber da war eben der Widerstand extrem groß. Ähnliches bei der Regelung zur Promillegrenze, da kam der Widerstand zum Teil aus dem Verkehrsministerium selber, aber auch zum Teil aus der Bevölkerung, wohingegen wir Unterstützung hatten sowohl von der Gewerkschaft der Polizei als auch vom ADAC, weil einfach nachgewiesen ist, dass eine niedrigere Promillegrenze auch dazu führt, mehr Bewusstsein zu schaffen und damit auch zu weniger Verkehrsunfällen und damit Verkehrstoten führt.

Meyer: An dem Punkt, Frau Bätzing, ist ja interessant, dass jemand aus Ihrer eigenen Partei Ihnen da Ihre Schritte verhindert hat, nämlich der SPD-Verkehrsminister Wolfgang Tiefensee hat damals ja die Senkung der Promillegrenzen abgelehnt – per "Bild"-Interview, da hat er das verkündet. Was denken Sie, was waren seine Motive dabei?

Bätzing: Gut, es wird dann oft als Motiv genannt, wir müssen dem Bürger seine Mündigkeit natürlich auch nicht absprechen – was ich auch überhaupt nicht will, um Gottes Willen – und dass man auch im Straßenverkehr teilnehmen kann, wenn man ein Glas Bier getrunken hat und wir eine funktionierende Null-Promille-Grenze haben.

Das heißt, es sind auch oft die Argumente, die vonseiten der Bürgerinnen und Bürger kommen. Nichtsdestoweniger gibt es in einigen Staaten innerhalb Europas die Null-Promille-Grenze, da funktioniert es, da sind die Bürger auch mündig, und es gibt aber in der Tat auch noch weniger Verkehrstote. Es ist einfach ein Bereich, da wird des Deutschen liebstes Kind, auch das Auto mit angesprochen, und das ist natürlich sehr, sehr schwer durchzusetzen.

Dass die Fahranfänger jetzt diese Null-Promille-Grenze haben, das erfüllt mich etwas mit Hoffnung, denn diese sind dann erst mal gewohnt, zumindest während ihrer Probezeit, zwei Jahre wirklich die Null-Promille-Grenze einzuhalten. Und vielleicht wird es für sie dann ganz selbstverständlich, auch nach den zwei Jahren Probezeit auf Alkohol zu verzichten, wenn sie sich hinters Steuer setzen.

Meyer: Frau Bätzing, es gibt ja die sozusagen logischen Gegner von Alkoholeinschränkungen, die Brauereien, Alkoholindustrie sowieso, auch die Werbewirtschaft, die an Alkoholwerbung verdient, da kann man das auch verstehen, und dann gibt es die Gegner, wo man sich wundert, zum Beispiel der Sport und die Sportverbände.

Es gibt eine Geschichte, dass Sie zum Deutschen Fußball-Bund eingeladen waren und da mit einem Vertreter gesprochen haben, der gleich sieben Juristen an der Seite hatte, um Ihnen klarzumachen, dass ein Sponsoring-Verbot für den Fußball zum Beispiel überhaupt nicht infrage kommt. Wie haben Sie solche Szenen denn selbst erlebt?

Bätzing: Also es war manchmal schon sehr grotesk, weil es gibt zum Beispiel eine freiwillige Vereinbarung der Industrie, wo drin steht, dass sie nicht mit Sportlern werben – Alkohol und Sport gehört da nicht zusammen. Und trotzdem erleben wir in der Realität immer wieder, dass gerade Brauereien sich mit dem Sport zusammentun und dort werben und was natürlich auch wieder mit Vorbildfunktion zu tun hat. Das heißt, junge Menschen orientieren sich an den Sportlern, sehen, dass die auch da Alkohol trinken und werden somit auch an den Alkoholkonsum herangeführt.

Deswegen war es teilweise schon sehr grotesk, wenn es dann hieß: Ach ja, unsere Sportler werben da zwar mit Alkohol, sie sind auch mit dem Bierglas dort abgebildet, aber in dem Glas befindet sich ja alkoholfreies Bier. Das war dann zum Teil so, dass man wirklich gedacht hat, ihr seid euch des Ernstes der Lage überhaupt nicht bewusst. Wir haben es dann aber erreicht – und das ist wenigstens auch wieder ein Schritt, also man muss auch hier mit kleinen Erfolgen und kleinen Schritten zunächst dann auch zufrieden sein und weitermachen –, dass es keine Werbung mehr von Alkohol gibt auf Kindertrikots. Da mag man denken, das ist eine Selbstverständlichkeit, aber so selbstverständlich war das leider nicht. Hier haben wir einen ersten Teilerfolg erreicht, und man muss einfach auf diesem Feld weitermachen, damit sich was verändert.

Meyer: Deutschlandradio Kultur, wir sind im Gespräch mit Sabine Bätzing von der SPD über Alkoholprävention in Deutschland. Es gab damals, als Ihre Vorstöße gescheitert sind, ein sehr interessantes Dossier zu diesem Thema in der Wochenzeitung "Die Zeit", und "Die Zeit" hat damals auch geschrieben über einen Referatsleiter im Wirtschaftsministerium, Armin Jungbluth war der Name. Und die "Zeit"-Darstellung dazu, die geht so, dass dieser Armin Jungbluth im Auftrag der Wirtschaft Ihre Pläne torpediert hat, also als Wirtschaftslobbyist, obwohl er eigentlich ja im Staatsdienst gearbeitet hat. Teilen Sie diese Einschätzung, hat er Ihre Pläne entscheidend mit verhindert?

Bätzing: Also es war jetzt nicht er in Person alleine, aber so was erlebt man halt schon immer wieder, weil natürlich die Ministerien unterschiedliche Interessen vertreten. Als Drogenbeauftragte gehörte ich zum Gesundheitsministerium. Mein Ziel war Jugend- und Gesundheitsschutz. Und das Wirtschaftsministerium verfolgt eben die Interessen der Wirtschaft und nach möglichst viel Freiheit – dann sind solche Vorschläge natürlich im Blickwinkel der Kollegen aus den anderen Ressorts, ja, erst mal zu torpedieren. Und das haben sie zum Teil eben auch getan. Ich will da gar keine Namen nennen, aber auch vonseiten der Kollegen aus dem Deutschen Bundestag, anderer Fraktionen, andere Vertreter von anderen Ausschüssen kamen auch solche Torpedos, wie ich es mal nennen möchte, sodass dann auf einmal die Meldung lief: Bätzing fordert höhere Alkoholsteuern!

Das war dann in der Welt, was überhaupt nie gesagt wurde. Aber so was können Sie kaum noch rückgängig machen, und dann platzt Ihnen so ein Programm, weil Sie können so eine Falschmeldung gar nicht mehr richtigstellen. Uns ging es um eine Prüfung, ob höhere Alkoholsteuern überhaupt eine Auswirkung haben, daraus wurde dann von den Gegnern gemacht, wir fordern höhere Alkoholsteuern. Und dann war der Gegenwind so groß, da können Sie erst mal einpacken.

Meyer: Sie haben damals auch im Mai 2009 drei hochrangige Politikerinnen direkt angesprochen, aus Ihrer Enttäuschung heraus. Damals haben Sie gefragt: Hat Angela Merkel nicht gefordert, es müsse dringend etwas gegen den Alkoholmissbrauch von Jugendlichen getan werden? Hat Ursula von der Leyen nicht gesagt, dass unser Jugendschutz im Alltag zahnlos ist? Was ist mit der Verbraucherschutzministerin Ilse Aigner? - haben Sie damals gefragt. Sind das drei Politikerinnen, von denen Sie jetzt besonders enttäuscht sind?

Bätzing: Ich war damals schon enttäuscht davon, weil in den Pressemitteilungen und in Sonntagsreden kamen genau diese Aussagen immer wieder vor – aber Sie haben gerade eben auch das Datum zitiert, Mai 2009, kurz vor der nächsten Bundestagswahl. Wir waren einfach, ich sag mal ein halbes Jahr vielleicht zu spät mit dem fertig ausgearbeiteten Programm, sodass das hier dem Wahlkampf zum Opfer gefallen ist und man sich dann nicht mehr bewegen wollte und irgendwelche Eingeständnisse machen wollte, weil Mai 2009 einfach zu nah schon am Wahltermin ja war.

Meyer: Wie sehen Sie das denn jetzt für die Gegenwart und die Zukunft, wenn man jetzt über die Prävention hinaus etwas tun möchte für weniger Präsenz von Alkohol in der Öffentlichkeit, gerade im Blick auf die Wirkung bei Kindern und Jugendlichen – hat man da in der Bundesrepublik Deutschland überhaupt eine Chance?

Bätzing: Also man hat die schon, das sehe ich schon. Das Stichwort nächtliches Verkaufsverbot ist natürlich eins, an Tankstellen genauso wie das Thema der Einschränkung der Werbung, weil es ist einfach da nachgewiesen, dass die solche erschreckenden Auswirkungen auf den Konsum und das Konsumalter hat. Und da kann man sich als Politik nicht die Augen vor verschließen, immer sagen, ach nee, wir lassen nur die Prävention greifen – das wird nicht funktionieren. Und ich glaube schon, wenn man weiter am Thema dranbleibt, dann ist es auch möglich, hier etwas zu bewegen.

Meyer: Aber der Widerstand von Alkoholindustrie, Werbewirtschaft, Sportverbänden, Politikern, Lobbyisten, das scheint eine ziemlich übermächtige Gegengruppierung zu sein.

Bätzing: Also der Gegenwind ist stark, aber mit solchen Interessenvertretungen haben wir in anderen Bereichen ja auch zu tun. Wenn der politische Wille da ist, dann schafft man dies auch. Und wenn man auch in der Bevölkerung merkt, auch da findet ein Umdenken statt.

Wir haben das ganz deutlich damals erlebt, als es um den Nichtraucherschutz ging – vor zehn Jahren hätte sich niemand vorstellen können, in Deutschland Nichtraucherschutzgesetze zu haben. Da hat sich einiges gedreht, dann war der Zeitpunkt gekommen. Genauso ist es auch möglich im Bereich des Alkoholkonsums bei Jugendlichen. Man kann hier etwas verändern, aber man braucht einen langen Atem und man darf auf gar keinen Fall nachlassen.

Meyer: Alkoholverbot und der Widerstand dagegen in Deutschland, das haben wir besprochen mit der SPD-Bundestagsabgeordneten Sabine Bätzing, früher Drogenbeauftragte der Bundesregierung. Frau Bätzing, vielen Dank für das Gespräch!

Bätzing: Ja, ich danke Ihnen auch!


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