Der geborene Sieger

Von Ludmila Lutz-Auras |
Dass es politischen Gegenwind bei den Wahlen in Russland gab, dürfte für Wladimir Putin neu gewesen sein. Irritiert hat ihn das hingegen kaum. Schließlich geht er als Gewinner aus der Finanzkrise hervor - und will in der neuen Weltordnung eine wichtige Rolle spielen, meint Ludmila Lutz-Auras.
"Wir sind ein Siegervolk, das haben wir in den Genen." Das hat Wladimir Putin einige Tage vor der Wahl rund 130.000 Menschen zugerufen. Sich selbst sieht er entsprechend als geborenen Sieger.

Und in der Tat - der "innere Zirkel" der Machtspitze Russlands hat schon im Sommer 2011 entschieden: Wladimir Putin kehrt in das Präsidentenamt zurück. Keine Überraschung. Doch auch für Putin gilt die einst von Heraklit formulierte Regel: "Du kannst nicht zweimal in denselben Fluss steigen". Eine dritte Amtszeit ist deshalb keine einfache Fortsetzung der ersten beiden. Die Probleme haben sich gestaut, die internationale Finanzkrise und die drohende Senkung der Energiepreise behindern den Aufschwung der Volkswirtschaft, von dem er in der Vergangenheit enorm profitiert hat.

Trotzdem strotzt Putin vor Selbstbewusstsein. Im Wahlkampf forderte er die Bürger zur Einheit auf, um die Armut, Ungerechtigkeit sowie die Arroganz der Beamtenschaft und die Unmoral zu bekämpfen. Doch statt der vor diesem Hintergrund zu erwartenden Sozialreformen kündigte Putin nur wenige Tage später eine kostspielige Modernisierung der Streitkräfte an. Kosten: etwa 600 Milliarden Euro bis zum Jahr 2020. Der deutsche Verteidigungsetat ist nicht einmal halb so hoch.

Darunter mag die Bevölkerung leiden - es passt aber in Putins Selbstbild: Ein Siegervolk braucht eben keinen Sozialstaat, sondern eine starke Armee.

Putin bezeichnete diese Aufrüstung als eine notwendige Reaktion auf den von den USA und der Nato geplanten Raketenabwehrschirm, den er als eine sehr ernste Bedrohung betrachtet. Außerdem wird Russland auf der politischen Weltbühne nur dann mit Respekt behandelt, wenn es militärisch stark ist und fest auf den Beinen steht, meint Putin. Ganz klar: Sieger handeln eigenständig!

Worauf muss sich Europa also einstellen?

Anders als zahlreiche westliche Staaten geht Russland als Gewinner aus der Finanzkrise hervor. Das Land hält die drittgrößten Währungsreserven der Welt, ist praktisch schuldenfrei, es hat einen ausgeglichenen Staatshaushalt und verfügt über alle notwendigen Rohstoffe und Energiereserven für die westlichen und asiatischen Wirtschaften.

Russland wird versuchen, die sich wandelnde Weltordnung in seinem Sinne zu einer multipolaren Ordnung umzubauen. Anders als Dmitri Medwedew favorisiert Putin eine enge strategische Partnerschaft mit Asien als Gegengewicht zur Kooperation mit dem Westen. Die EU mit ihrer werteorientierten Außenpolitik empfindet er als sehr lästig - und das wird sie zu spüren bekommen. Das chinesische Modell dagegen scheint den Kreml-Chef zu faszinieren. Er wird die politische und wirtschaftliche Ausrichtung nach Asien verstärken wollen. Putin will Russland neben China und den USA als Hauptarchitekten der neuen Weltordnung positionieren.

Doch Sieger müssen sich vor niemandem beugen! Und deshalb dürfte auch der Wunsch nach einer führenden Rolle im "gemeinsamen Haus Europa" Priorität der Moskauer Diplomatie bleiben. Russland will eine gemeinsame Freihandelszone mit der EU, ohne Visa-Barrieren. Und: Die Beziehungen werden durch die Energiepolitik geprägt bleiben. Schließlich hat Europa aus Sicht Putins keine echte Alternative zum Gas aus Russland.

Sieger geben niemals auf! Davon ist er überzeugt. Und deshalb prägen Stärke, Selbstsicherheit, Konsequenz und Hartnäckigkeit nicht nur das außenpolitische Handeln. Auch innenpolitisch wird die neue Kreml-Führung weiterhin einen starken Staat ansteuern wollen.

Sie wird das Land aber auch modernisieren müssen. Denn spätestens mit den Protestwellen seit der letzten Duma-Wahl vor drei Monaten ist klar geworden: Das Land braucht dringend soziale, wirtschaftliche und demokratische Reformen. Sonst ist Putin für Russland kein Gewinn, sondern eher ein Hindernis.

Beim dritten Male kommt der Sieg, besagt ein spanisches Sprichwort. Durch etwas mehr Kooperationsbereitschaft, Reformfreudigkeit und Offenheit vielleicht auch für Russland.

Ludmila Lutz-Auras wurde 1981 in der Ukraine geboren. Im Alter von zwölf Jahren siedelte sie mit ihren Eltern nach Wismar um, wo sie später das Abitur ablegte. In Rostock sowie an der Lomonossov-Universität Moskau studierte sie Politik- und Verwaltungswissenschaften, Neuere Geschichte Europas sowie Slawische Sprach- und Kulturwissenschaften. Anfang 2012 verteidigte sie ihre Doktorarbeit zum Thema: "Auf Stalin, Sieg und Vaterland - Politisierung der kollektiven Erinnerung an den Großen Vaterländischen Krieg in der Russländischen Föderation". Lutz-Auras spricht neben Deutsch auch Russisch, Ukrainisch, Englisch, Polnisch und Französisch.

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Ludmila Lutz-Auras© Kristin Nölting