Der Garten als Halt und Haltung

Das Paradies vor der Haustür

Ein Mann pflanzt eine Blume in einem Garten
Ein Mann pflanzt eine Blume in einem Garten © imago/Westend 61
Von Susanne Billig und Petra Geist · 24.05.2018
Der Garten steht sinnbildlich für das Glück, etwas mit eigenen Händen zu schaffen - und gilt als Oase der Ruhe. Aber ist das wirklich so? Unsere Autorinnen Susanne Billig und Petra Geist sind dieser Frage nachgegangen.
Marianne Lüdke: "Also was Garten anbelangt, ist für mich die Wüste ein Garten mit Rasen und Koniferen. Und dann noch drei Tulpen und fünf Targetis. Das ist für mich der Schrecken. Total aufgeräumt, blankgekratzte Erde – und ein paar Koniferen und wohl überlegt gepflanzte Targetis."
"Es stinkt in der Stadt", rief die kleine Tochter – und damit war es für Familie Lüdke entschieden: Wir kaufen ein Grundstück draußen im Grünen, eine Hütte und einen Garten für unsere Freizeit. 1981 war das. Längst sind drei zusammenhängende Grundstücke und ein festes Wohnhaus für Sommer und Winter daraus geworden. Dreimal im Jahr beteiligen sich die Lüdkes am Tag der Offenen Gartenpforte. Dann lässt Marianne Lüdke Neugierige in ihr buntes Reich: Fast viertausend Quadratmeter Staudengarten, gewachsen in 35 Jahren.
Marianne Lüdke: "Das ist eines meiner schönsten Beete im Moment, da blühen lila und rote Tulpen, darüber blüht ein Apfelbaum, ein weißes Mandelbäumchen und eine japanische Zierkirsche."

50 Stunden Gartenarbeit in der Woche

Lüdkes Garten ist ein Paradies – Blumen, Gräser, Stauden, Farne, Farben. Den ganzen Sommer wird es hier blühen bis tief in den Herbst.
Marianne Lüdke: "Das sind die Anzuchtbeete mit dem Phlox und den Taglilien. Die Pfingstrosen haben sich bei uns teilweise im Garten ausgesät, und im vorderen Bereich habe ich ein Iris-Rondell. Also ich mag die sehr gerne auch wenn sie nur kurz blühen, also maximal 14 Tage."
Tisch und Stuhl laden ein, unter lauschigen Haselnusssträuchern zu sitzen. Ein Bach plätschert und im Teich blühen Seerosen und Sumpfdotterblumen. An die fünfzig Stunden pro Woche investiert Marianne Lüdke im Sommer in ihre Leidenschaft, steht in aller Frühe auf und bleibt bis zur Dämmerung. Sie sorgt sich um seltene Gewächse, Vögel und Insekten und spart Geld, indem sie Pflanzen mit viel Geduld selbst anzieht.
Marianne Lüdke: "Man freut sich ja schon erstmal, dass es überhaupt keimt, man freut sich schon über die Keimblätter, die kommen teilweise erst im zweiten oder dritten Jahr. Und wenn das dreigeteilte Blatt kommt, ist man schon ganz froh, dann dauert‘s höchstens noch zwei bis drei Jahre, bis die Pflanze blüht. Wenn man sieben Jahre lang warten muss, dass eine Pflanze blüht – das ist schon ganz schön lang."
Ihre Geduld hilft Marianne Lüdke, auch Frust in Kauf zu nehmen. Was alles eingeht! Was nicht anwächst, braune Blätter bekommt, von Schnecken gefressen wird, vom Maulwurf ruiniert, der Wühlmaus untertunnelt, von Stürmen umgerissen, Regenfällen geflutet, dem Waschbär vor der Zeit gepflückt. Den perfekten Garten, gibt es nicht, tröstet sie sich. Gärtnern, das ist ein Glück, das umständehalber immer wieder von vorn anfängt.
Aus einem Gartenbuch von Karl Foerster – 1874 geboren, mit 96 Jahren gestorben, Gartenpionier, Humanist und Poet:
"Der Morgenblick in den lichtdurchbadeten blauen Senkgarten wirkt wie der morgendliche Anblick der offenen See. Der dunkelste Rittersporn, der auf den Namen "Nacht" getauft ist, scheint um seine Dolden herum eine Kühle zu breiten, und in der Dämmerung nähert sich sein tiefes Samtlila dem körperlosen Leuchten phosphoreszierender Stoffe.
Wenn ich noch einmal auf die Welt komme, werde ich wieder Gärtner, und das nächste Mal auch noch. Denn für ein einziges Leben ward dieser Beruf zu groß."

Begeisterung für Stauden

Swantje Duthweiler: "Das begeistert einen einfach, mit welcher Begeisterung er beschreibt. Er kann Dinge formulieren und Sichtweisen öffnen, die man noch nicht hatte. Er hat wirklich die Begeisterung für Stauden nach Deutschland gebracht und eigentlich das ganze Zwanzigste Jahrhundert mit seinen Staudenidealen gärtnerisch geprägt.
Swantje Duthweiler, Professorin für Pflanzenverwendung an der Hochschule Weihenstephan und Vorsitzende der Karl-Foerster-Stiftung.
Der berühmte, fünftausend Quadratmeter große Foerster-Garten lässt sich noch heute besuchen, in Bornim bei Potsdam – Steingarten, Herbstbeet, Frühlingsweg, ein abgesenkter Staudengarten mit Wasserbecken. Hier scheint die Zeit stehengeblieben.
Swantje Duthweiler: "Also es ist wirklich einer der am längsten bearbeiteten Gärten und er hat dadurch eine Patina und das merkt man dem Garten an. Im gestalterischen Grundprinzip: stark kontrastierend, mit ganz feinen Texturen und ganz groben Texturen. Er hat Gräser eingeführt in die Gartenkunst; das ist etwas ganz Phänomenales für die Zeit, etwas was bis heute wirksam ist. Und mit diesen Gräsern, das waren die feinen Töne, hat er Kontraste zu Groß-Blattpflanzen gemacht."

Villengärten für Arme

Karl Foerster kommt aus der Reformgartenbewegung. Damals übertrug man die Gestaltungsprinzipien der reichen Villengärten auf den kleineren Geldbeutel der einfachen Bürger. Karl Foerster führte winterharte Stauden in den Hausgarten ein, die mehrere Jahre leben und nicht ständig neu gekauft werden müssen – was die Pflege des Gartens enorm erleichterte. Einen "Garten für intelligente Faule" nannte er das.
Swantje Duthweiler: "Es gibt da so eine Fortsetzung dieses Zitates, dass die Natur lieber jemanden hat, der sich mit einem fruchtbaren Garteneinfall von der Hängematte erhebt, als jemanden, der den ganzen Tag ohne Einfall im Garten herumrast."
Tulpen, Hyazinthen und Narzissen
Tulpen, Hyazinthen und Narzissen © picture alliance / dpa / Thomas Uhlemann
In jahrelangen Züchtungen machte der Pionier Akelei und Windröschen, Funkie und Flammenblume, Lilie und Salbei nicht nur standfest und mehltauresistent, sondern sorgte auch für leuchtende Farben. Seine Obsession war der Rittersporn: Mit unendlicher Ausdauer und aus tiefer Liebe zur Blütenfarbe Blau züchtete er Sorten mit fantasievollen Namen: Gletscherwasser. Atlantis. Berghimmel. Blauwal. Tempelgong.
Swantje Duthweiler: "So hat er in seinem Senkgarten alles mit blauem Rittersporn gepflanzt und im Komplementär-Kontrast zum Blau die orangenen Goldfische – also das war dann schon durchgearbeitet bis ins Detail, und man sollte den Eindruck haben, der Raum ist viel größer, als er eigentlich wäre."
Helles Grün steigt in Sträucher und Wipfel auf. In süße Düfte mischen sich tierhafte Kaiserkronengerüche und überkugeln sich mit warmen Veilchendüften und kühlem Paradieshauch verwitterter Hyazinthen.

Buch über Blütengärten im Schutzgraben

Heute kaum noch vorstellbar: 1917, mitten im Ersten Weltkrieg, wurde Karl Foersters Buch "Vom Blütengarten der Zukunft" in großen Mengen gedruckt und in den Schützengräben verteilt. Da saßen dann die Soldaten im Bombenhagel über elegischer Rittersporn-Lyrik und träumten vom Frieden.
Swantje Duthweiler: "Damals hat man versucht, über diese Gartenbücher auch die Hoffnung in breite Kreise der Bevölkerung zu bringen. In Krisenzeiten hat man immer sich sehr stark mit den Gärten beschäftigt. Das merken wir ganz stark nach dem Ersten Weltkrieg, dass man immer wieder dieses Verarbeiten von schlimmen Erlebnissen mit Gärtnern als Ausgleich findet."
Zahlreiche medizinische Forschungsarbeiten können inzwischen belegen, wie gut das Gärtnern tut, auch in Friedenszeiten. 2006 wollte eine Reha-Studie wissen, wie sich Krankenhausgärten auf Patienten auswirken. In der Umfrage nannten 87 Prozent der Befragten als wichtigste positive Erfahrungen die Stressreduzierung, 93 Prozent die Entspannung, 76 Prozent die Freude, 54 Prozent ein Gefühl von Geborgenheit und 32 Prozent fühlten sich durch den Garten positiv angeregt.
Die Pionierarbeit auf diesem Gebiet stammt von 1984 und wird als "Blick-aus-dem-Fenster-Studie" noch heute viel zitiert: Wenn Krankenhauspatienten nach einer OP ins Grüne statt auf eine Betonwand blicken können, benötigen sie weniger Schmerzmittel, sind freundlicher zum Personal und können früher entlassen werden. Spätere Studien zeigten, dass schon kurze Aufenthalte in natürlichen Landschaften Blutdruck, Herzfrequenz und Muskelspannung senken. Kein Wunder, dass immer mehr Menschen die Nähe zur Erde suchen, zum Bäumchen, dem Kohlkopf, dem blühenden Strauch.
Gärtnerin: "Der Ort ist einfach so schön. Man ist draußen, die Kinder laufen hier so rum und der Horizont, der macht einen glücklich. Den man jeden Tag sieht."

Größte innerstädtische Freifläche der Welt

Das berühmte "Tempelhofer Feld" in Berlin, ein ehemaliges Flughafengelände, ist mit seinen 355 Hektar die größte innerstädtische Freifläche der Welt. Auf einem kleinen Teilgebiet tummeln sich die urban gardener mit ihren Hochbeeten und Kisten voller Kohl und Zucchini, Kartoffeln, Zwiebeln und Sonnenblumen, liebevoll arrangiert zwischen selbst gezimmerten Sitzgelegenheiten, bunten Fähnchen, Metallskulpturen und Trampelpfaden.
Eine Vogelscheuche steht am 22.09.2013 in einer Art Stadtgarten auf dem Tempelhofer Feld in Berlin. Im Hintergrund sieht man die Hangars des frühen Flughafens.
Ein Stadtgarten auf dem früheren Berliner Flughafen Tempelhof© dpa / Soeren Stache
Gärtner: "Sonnenblumen ist hier vorne eine ganz große Reihe, Calendulablumen ganz viele. Ich mein, im Moment sieht‘s ja noch etwas karg aus, aber in einem Monat erkennt man das hier gar nicht wieder. Es wird aus einer Bretterwüste eine richtig schöne Oase mitten in der Stadt."
Gärtnerin 2: "Also, es ist schon das Schöne, dass man hier einen Anlaufpunkt hat, dass man direkt nach der Arbeit und nach der Kita hierher kommen kann, die Kinder können halt im Boden wühlen und wir irgendwie auch und man sieht es wachsen. Manchmal erntet man auch selber was und kann‘s verwerten, das ist schon - das macht glücklich, ja."
Gärtnerin 1: "Einfach dieses Wühlen in der Erde, das macht mich schon von alleine glücklich. Aber vor allem möchten wir auch viel ernten. Um selber die leckeren Sachen zu essen, weil – das ist auch der Hintergedanke: Dass wir auch wissen, was wir essen, und dass wir auch wissen, wie lange das dauert, so dass man das anfängt wertzuschätzen."
Wenn auf dem Tempelhofer Feld jeden Frühling das urbane Gärtnerglück ausbricht, so hat Elisabeth Meyer-Renschhausen großen Anteil daran. Sie ist leidenschaftliche Gärtnerin und eine Pionierin des urban gardening – des Gärtnerns auf öffentlichen Flächen in der Stadt. Als Soziologin und Privatdozentin an der Freien Universität Berlin erforscht sie das Phänomen des urban gardening, das sie selbst vorantreibt. Zwei komplette Tage pro Woche hat die Garten-Pionierin anfangs in das Projekt investiert.
Elisabeth Meyer-Renschhausen: "Einerseits musste man da sein, präsent sein, auch Streit schlichten und die Kisten vergeben. Unsere landschaftsplanerischen Vorstellungen auch ein bisschen verteidigen, dass nicht zu wild gebaut wurde. Und andererseits musste man es ja auch organisieren. Also im Hintergrund mussten wir Erde organisieren, die langen Listen führen. Nach drei Monaten hatten wir auf unserer Teilnehmerliste schon tausend Namen."

Gärtnern in der Stadt erlebt einen Boom

Das urban gardening boomt. Allein in Berlin gibt es achtzig solcher Projekt. Menschen verschiedenster Couleur machen mit: natursehnsüchtige Junge und einsame Alte, Arbeitslose, denen die Decke auf den Kopf fällt, Polit-Aktivisten und Migranten, die sich nach dem Geschmack der Tomaten und Kürbisse ihrer Heimatländer sehnen. Ein weiterer Grund für den Boom sind die Finanzkrisen der letzten Jahre. Investoren begannen, mit Häusern und Stadtgrundstücken zu spekulieren. Die Grünflächen-Besetzer begehrten dagegen auf.
Elisabeth Meyer-Renschhausen: "Deswegen heißt es so, 'to reclaim the commons': Das Tempelhofer Feld wurde zurückgefordert von den Bürgern als grüner offener Platz, für Sport und Spiel und Freizeit, wo man sozusagen in der Stadt ein bisschen aufatmen kann. Auch die Langweiligkeit eines Lebens, nur noch hinter dem Computer, also wo man dermaßen reduziert ist, obwohl wir doch leibliche Wesen sind – wir sind nicht dafür gemacht hinter einem Computer zu sitzen, das ist der zweite Grund."
Es geht um gesundes, giftfreies Essen, Nischen für Vögel und Insekten, Nachbarschaftlichkeit. Weil viele Gemeinschaftsgärten interkulturell angelegt sind, ergibt sich ein reger Austausch. Migrantinnen und Migranten hatten zu Hause oft große Gärten und können den Deutschen zeigen, wie man Obst und Gemüse am besten zum Gedeihen bringt – die Deutschen halten dafür den giftfreien Bio-Gedanken hoch.
Der Garten auf dem als Tempelhofer Feld in Berlin.
Der Garten auf dem als Tempelhofer Feld in Berlin.© imago/Andreas Prost
Neben viel Freude gibt es auch hier das übliche Scheitern. Erst wollten die Wildblumen nicht gedeihen, dann knabberten die Wühlmäuse den Mangold von unten an, die Kürbisse gingen ein. Garten-Aktivistin Elisabeth Meyer-Renschhausen hält sich an ihre großen politischen Vorbilder, wie die indische Umweltschützerin und Globalisierungskritikerin Vandana Shiva, die den Wert der Biodiversität in der Landwirtschaft betont.
Elisabeth Meyer-Renschhausen: "Wenn ihr mehrere Früchte anbaut und mehrere Varianten von einer Sorte, dann habt ihr auch eine Ernte. Die eine Bohnensorte wird nüscht, aber die anderen kommen dann doch. Und dann hat eben doch etwas zu essen."
So wunderbar das Gärtnern ist, die ständige Unsicherheit – können wir bleiben, müssen wir weg? – drückt erheblich auf die Stimmung.
Den klassischen Kleingärtnern geht es genauso. Seit der Wende hat die Stadt Berlin die Hälfte ihrer Kleingarten-Flächen verloren und tausende von Gärtnerinnen und Gärtnern wurden heimatlos; so entstand Platz für die autogerechte Stadt, für Gewerbebetriebe und Wohnungsneubau. Gabriele Gutzmann ist Vorsitzende der hundert Jahre alten Kleingartenkolonie "Am Stadtpark Eins" in Berlin-Wilmersdorf.
Zu sehen sind mehrere Reihen Salatpflanzen in einem Beet im Kleingarten.
Ordnung im Kleingarten: Salatpflanzen in Reih und Glied© dps / Bernd Wüstneck

Gartenparzellen oder Wohnungen?

Gabriele Gutzmann: "Wir haben also hier Vögel, Buntspechte, die nisten in unseren Apfelbäumen. Wir haben hier sehr viele Insekten, Schmetterlinge. Wir haben Ringelnattern, wir haben Füchse. Und durch unsere Kolonie hindurch führt ein sehr lauschiger Weg. Also wenn das hier wegfallen würde, dann wären sehr viele Menschen sehr traurig. Und wir werden sehr oft angesprochen: Wie sieht‘s aus, können Sie bleiben, können wir irgendwas unterschreiben? Das bedeutet den Menschen hier sehr viel."
Doch reicht das als Argument gegen dringend benötigte Wohnungen? Vor kurzem schaltete ein großer Investor Anzeigen im "Tagesspiegel", die große Berliner Tageszeitung unterstützte ihn redaktionell. Angeblich könnten auf den Gartenparzellen 400.000 Wohnungen entstehen. Die Gärten sollten ins Umland abwandern.
Gabriele Gutzmann: "Mit dem gleichen Argument kann man kommen und sagen, ja, das Rote Rathaus, das brauchen wir auch nicht. Theater, Opern, Schwimmbäder, alles, alles bitte gleich ins Umland – ja, und es ist ein menschliches Bedürfnis. Es war es immer und es ist es immer und es bleibt es auch: zu gärtnern. Es ist die Grundlage unseres Lebens, es ist unsere Ernährung, das ist meines Erachtens auch wichtig für die Gesamtgesellschaft."
Gabriele Gutzmann verweist auf die Leerstände in Berlin. Brutvögel und Insekten verschwinden, Kinder können einen Spatz nicht von einer Meise unterscheiden und Metropolen wie London oder New York bereuen längst, zu viel Stadtgrün in Beton verwandelt zu haben, sagt sie. Seit Jahrzehnten fordern Kleingärtner die Sicherung ihrer Flächen durch Bebauungspläne. In der Wilmersdorfer Kolonie läuft die Schutzfrist 2020 aus – Gabriele Gutzmann erträgt es mit gartengestählter Durchhaltekraft.
Gabriele Gutzmann: "Wir machen uns schon sehr große Sorgen, aber wir geben die Devise aus: Wir tun so, als bleiben wir immer. Also wir pflanzen den Apfelbaum – und wir pflanzen ihn demonstrativ und hoffen das Beste."

Den Pflanzen beim Wachsen zuschauen

Kleingärtnerin: "Einfach nur hier sein, die Ruhe genießen, das Vogelgezwitscher, man glaubt immer nicht, dass man mitten in der Stadt ist. Ein wunderbares Hobby. Den Dingen beim Wachsen zuzugucken ist schön.
Kleingärtnerin: Ich hab drüber nachgedacht, was das heißt, Glück im Garten. Also, es spiegelt ja den Kreislauf des Lebens wieder im Garten und es ist auch so, glaube ich: Man hat etwas anderes, was eine Existenz hat, die relativ permanent ist und bleibt und die unabhängig ist von einem selbst. Und das ist etwas sehr Beruhigendes. Etwas Größeres als man selbst. Ich bin sonst nicht so religiös, aber diese Art Empfindung, die kann man im Garten haben."
Gartenarbeit und über das Leben nachdenken – das gehört für diese beiden Gärtnerinnen zusammen. Den Kleingartenkolonien haftet heute der Ruch des Spießigen an, doch warum eigentlich? Sie blicken auf eine stolze Geschichte zurück. Als Armengärten fingen sie in preußischer Zeit an, erkämpft nicht zuletzt von Frauen- und Arbeiterbewegung, und nach den Weltkriegen sicherten sie vielen das Überleben. Erst mit dem Wohlstand schwand das hohe Ansehen der Gärten. In der DDR baute kurz noch vor der Wende mehr als die Hälfte der Bürger im Kleingarten Obst und Gemüse an.
Gabriele Gutzmann: "Ja, es macht glücklich. Das kann man schon sagen. Und das geht hier vielen so. Also die Rede vom Paradies und von der Oase, die hört man wirklich ganz viel, und dass alles von einem abfällt, der ganze Stress und Beruf und so, sowie man in seinem Garten ist. Das sind so Dinge, die man dann hört, ja."

Gartenarbeit steigert Wohlbefinden und ist gesund

Studien aus den Niederlanden konnten 2010 zeigen, dass die körperliche Bewegung im Garten nicht nur das Wohlbefinden steigert, sondern sich auch körperlich positiv auswirkt, denn kardiovaskuläre Erkrankungen, Übergewicht, Adipositas sowie Muskel-und Skeletterkrankungen werden durch Bewegungsmangel begünstigt. 2011 ermittelte eine weitere Studie aus den Niederlanden, wie es es zu dem gesteigerten psychischen Wohlbefinden durch das Gärtnern kommt. Im Anschluss an eine geistig anstrengende Beschäftigung teilten zwei Forscherinnen eine Untersuchungsgruppe nach dem Zufallsprinzip in zwei Gruppen.
Eine Gruppe konnte anschließend 30 Minuten lang in einem ruhigen Raum lesen. Die andere Gruppe gärtnerte 30 Minuten im Freien. Die Forscherinnen stellten fest, dass der Spiegel des Stresshormons Cortisol zwar in beiden Gruppen messbar sank – in der Gruppe der Gärtnerinnen und Gärtner jedoch deutlich stärker. Gabriele Gutzmann gräbt und gießt seit zehn Jahren in ihrem Gärtchen mit 120 Quadratmetern — und großen Vorbildern.
Gabriele Gutzmann: "Mein Vorbild ist natürlich royal, Prince Charles. Er hat ein Prinzip entwickelt, und zwar die Verbindung von formalen und informellen Elementen. Der Mähweg ist ein formales Element, die Wiese ist etwas Wildes. Und sowas hab ich auch: Ich hab so eine Langgraswiese, kleine Streuobstwiese – und ringsum geht eben ein Mähweg."

Flecken Erde nach eigenen Ideen gestalten

Auch das gehört zum Glück des Gärtnerns: sich im eigenen Garten ausdrücken, einen Flecken Erde nach eigenen Ideen gestalten.
Cassian Schmidt: "Wenn man als Gärtner nicht neugierig ist, ich glaub, dann ist man auch falsch in dem Metier, weil man braucht Passion, aber auch diese Neugierde etwas auszuprobieren. Und natürlich – ich hab ja zwei Dinge in meiner Brust, einmal der praktische Gärtner, das habe ich mal gelernt, aber natürlich auch der Wissenschaftler. Der Wissenschaftler muss immer neugierig sein. Er muss neue Fragen aufwerfen und sich neue Dinge überlegen und dann einfach ausprobieren – Gärtnern ist einfach ausprobieren."
Der Schau- und Sichtungsgarten im baden-württembergischen Weinheim, Hermannshof
Der Schau- und Sichtungsgarten im baden-württembergischen Weinheim, Hermannshof© dpa / Friedel Gierth
Wer den Hermannshof im baden-württembergischen Weinheim betritt, ist von der lässigen Schönheit dieses Gartens überwältigt. Meere von Blüten, zweitausend Stauden und vierhundert Gehölze gedeihen hier, zusammengetragen in aller Welt. Der öffentliche Schau- und Sichtungsgarten zählt nicht nur zu den schönsten Gärten Deutschlands, er erhielt 2015 auch den Europäischen Gartenpreis. Meister dieses Gartens, Visionär und prominenter Vertreter des "New German Style" – einer von der Natur inspirierten Pflanzung von Stauden und Gräsern – ist Cassian Schmidt, Landschaftsarchitekt, Staudengärtnermeister und Professor für Pflanzenverwendung an der Hochschule Geisenheim.
Cassian Schmidt: "Sie müssen sich vorstellen, das ist ein privater Garten und wenn man jetzt Ende April, Anfang Mai in den Garten kommt, ist man geradezu erschlagen von der Blütenfülle, denn wir haben etwa 60.000 Tulpen in Blüte, in fein abgestimmten Farben, fast wie so ein Monet-Bild. Und dann gibt‘s eine Glyzinien-Pergola, mit ein Meter langen Trauben jetzt in Blau – ein wunderbares Motiv für Brautpaare zurzeit."
Tatsächlich wirken die Farbverläufe in den blühenden Beeten wie von einem impressionistischen Maler über die Leinwand getupft. Mal versinkt das Auge in einem dunklen Lila, das sich mit zunehmender Ferne in ein zartes Rosa verwandelt, mal stößt es an harte Kontraste – Purpur gegen Weiß, Rot gegen Grün. Besucherinnen und Besucher können in den Farbenrausch eintauchen oder sich mit der wissenschaftlichen Konzeption dahinter befassen, denn der Hermannshof arbeitet streng experimentell. Professor Cassian Schmidt will zeigen: Es gibt keinen Standort, für den sich nicht auch passende Pflanzen finden lassen.
Cassian Schmidt: "Es ist eigentlich eine sehr entspannte Philosophie einerseits, dass wir versuchen, den Pflanzen Raum zu geben, auch in ihrer Entwicklung. Es darf sich etwas aussäen und wir versuchen, nicht zu stark einzugreifen, die Zügel locker zu lassen, aber zum richtigen Moment da zu sein, wenn sich einmal etwas ausbreitet, dass wir es natürlich auch zurücknehmen."

Schöne Parkanlagen mit wenig Aufwand?

Stadtgärtnereien und Grünflächenämter wünschen sich attraktive Parks, deren Pflege unaufwändig und preiswert bleibt. Cassian Schmidt untersucht die Konkurrenzverhältnisse zwischen den Pflanzen bei unterschiedlichen Wachstums- und Standortbedingungen und beantwortet Fragen: Wann sollten Maschinen eingesetzt werden? Wie sehen optimale Partnerschaften zwischen Pflanzen aus?
Als Vertreter des "New German Style" orientiert sich der Forscher an den Pflanzengesellschaften der Natur. Blumen und Kräuter können in demselben Beet wachsen, Unkräuter wie Schafgarbe oder Wiesenkerbel sind willkommen, Verblühtes bleibt stehen und schenkt dem Betrachter die Ästhetik des Vergänglichen.
Cassian Schmidt: "Manchmal sind Pflanzen regelrecht anarchisch und verhalten sich völlig anders, als man es geplant hat. Und das ist auch vielleicht, was das Schöne ist, dass man immer wieder in gewisser Weise zurückgeworfen wird und auch bisschen wieder am Anfang manchmal steht, und denkt: Das habe ich mir ganz anders vorgestellt und das habe ich jetzt nicht erwartet, im Positiven wie im Negativen."
Als Gärtner im großen Stil will Cassian Schmidt den Zufall planen, auch wenn das paradox klingt. Seine Gartenkunst auf Weltniveau arbeitet nicht gegen, sondern mit der Eigendynamik und dem Ausbreitungsdrang der Pflanzen.
Cassian Schmidt: "In einer Wiese habe ich ja einen Anteil Gräser, einen Anteil der Glockenblumen, einen Anteil Margeriten – und so etwas versuchen wir nachzuahmen. Also wir brauchen Leitpflanzen, wir brauchen gerüstbildende Arten, wir brauchen aber auch, wir nennen das Vagabunden, die sich in der Pflanzung versamen, falls mal eine Lücke entsteht. Und so entsteht ein fast selbsterhaltende System, und das ist eigentlich etwas Neues."
Dafür fährt der Stargärtner auch schon einmal mit dem Rasenmäher beherzt in die Beete – damit Lücken entstehen, etwas Neues passieren kann und Altes an Ort und Stelle liegenbleibt und zu Mulch wird. Gärten seien feuchte, kühle Inseln in überhitzten Städten, betont Cassian Schmidt, und könnten dem dramatischen Schwund der biologischen Vielfalt etwas entgegensetzen.
Cassian Schmidt: "Wir haben ja die Agrarlandschaft draußen, die zwar auch scheinbar grün ist, aber die besteht aus drei, vier verschiedenen Arten – und das ist die Hauptfläche in Deutschland. Auch die Wälder sind nicht so wahnsinnig artenreich, das sind Forstkulturen. Und eigentlich ist der letzte Ort, das sind Parks und vor allen Dingen private Gärten. Das ist für den Menschen gut, das ist für natürlich für die Tierwelt gut, für die Insekten gut. Und wenn man das mal auf eine Stadt hochrechnet, kann das natürlich unglaublich viel beitragen zu diesem Thema biologische Vielfalt, was in der Stadt natürlich ungeheuer wichtig ist.

Garten zwingt zur Entschleunigung

Zum Glück des Gärtnerns gehört für Cassian Schmidt auch die Freude am internationalen Austausch. Er reist viel, besucht Landschaften und Gärten auf anderen Kontinenten, ist mit 250 Botanischen Gärten weltweit vernetzt. Im Hermannshof gibt es ein "Korsika Beet" mit sandigem Boden, einen chinesischen Monsunwald, eine Hochgrasprärie mit wildem rosa Sonnenhut aus den USA und mexikanischem Federgras. Auch in seinem privaten Garten steht so manches lebendige Reisemitbringsel – aber auch ein Liegestuhl und eine Kinderschaukel, so wie bei anderen Leuten.
Cassian Schmidt: "Wenn ich für Publikum arbeite, ist das natürlich immer ein ganz anderer Anspruch als im Privatgarten. Wobei ich sagen muss: Eigentlich in beiden Gärten gibt man etwas von sich selber preis."
Und das Glück im Garten? Der Profi empfindet da ganz ähnlich wie die Laubenpieper, die urban gardener oder Familie Lüdke mit ihrem großen Grundstück am Rande der Stadt.
Cassian Schmidt: "Die Ideen, die vielleicht schon Jahre im Kopf gereift sind, dann endlich auf die Fläche zu bringen, spricht die ersten Monate zu sehen: Wie wird das? Und ist es so, wie ich es mir vorgestellt hab? Das ist das größte Glück."
Bis eine Magnolie ihre erste Blüte trägt, vergehen zwanzig Jahre. Ein Garten zwingt zur Entschleunigung, selbst den Profi. Dazu gehört auch ein entspannter Umgang mit dem Scheitern. Aufkeimen, reifen, altern, sterben – so ist das nun einmal im Garten. Die zyklische Taktung der Natur hilft, die Bögen des Lebens und des Sterbens gelassen hinzunehmen.
Cassian Schmidt: "Die Natur ist ja unbändig und man hat das Gartenjahr. Und man kann es nächstes Jahr einfach etwas anders machen, oder besser machen. Und wenn nicht Dinge mal sterben würden, dann wär der Garten bald voll. Also sonst könnte man ja nichts mehr dazu kaufen. Und manchmal atmet man richtig auf. Man hat wieder Freiraum und denkt: Ah, jetzt ist das Ding weg und jetzt kann ich wieder neu anfangen."
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