Der G8-Gipfel als Medienspektakel

Der G-8-Gipfel im Juni 2007 war für die Medien eines der aufwändigsten Ereignisse der letzten Jahre. Über 5000 Journalisten kamen nach Heiligendamm, um über das Treffen der Staatschefs und die Gipfelproteste zu berichten. Rückblickend scheinen von den Protestaktionen vor allem diese Bilder hängengeblieben zu sein: Randalierende Chaoten, verletzte Polizisten und friedliche, fröhliche Demonstranten. Doch wie differenziert haben die Medien tatsächlich den Protest gegen den G8-Gipfel widergespiegelt? Darauf findet der Band präzise Antworten – die jedoch Fragen zur Qualität des Journalismus in Deutschland offen lassen.
Bereits im vergangenen Jahr – kurz nach dem G8-Gipfel – hatte Simon Teune, Soziologe am Berliner Wissenschaftszentrum für Sozialforschung, eine erste Analyse der Berichterstattung während des Großereignisses vorgelegt. Schon damals kristallisierten sich wesentliche Tendenzen heraus: Begrüßt wurde, dass sich viele Journalisten mit den Anliegen der Protestierenden auseinandergesetzt und sich auch vor Ort ein Bild von den Protestaktionen gemacht hätten. In der Kritik dagegen stand, dass der Fokus zu sehr auf der Gewalt gelegen hätte. Auch die Tatsache, dass Journalisten immer wieder Falschmeldungen verbreitet und die Deutungshoheit über die Ereignisse der Polizei überlassen hatten, wurde – zu Recht – bemängelt.

Das Buch, neben Teune herausgegeben von Soziologieprofessor Dieter Rucht – beide forschen seit längerem zu sozialen Bewegungen und Protestkultur –, bestätigt nicht nur die Einschätzung des vergangenen Jahres, sondern geht darüber hinaus. Die wichtigsten Fragen, die beantwortet werden sollen, lauten: Was wurde in welcher Form von welchen Medien berichtet? Erschöpft sich die Berichterstattung über den G8-Protest in den bildstarken und einprägsamen Figuren der Clowns und Chaoten? In vier Abschnitten nähern sich die Autoren – Wissenschaftler, Journalisten sowie eine Attac-Vertreterin – einer Antwort.

Zunächst kann der Leser die Ereignisse um das G8-Treffen noch einmal Revue passieren lassen. Chronologisch werden die Proteste rund um Heiligendamm aufgelistet – angefangen von ersten Aktionskonferenzen, die bereits zwei Jahre vor dem Gipfel stattfanden, bis hin zur Schlusskundgebung mit 15.000 Globalisierungskritikern am 8. Juni 2007 in Rostock. Diese Chronik des Protestes ist ein hilfreicher Einstieg in die Thematik, schließlich dürfte selbst während des G8-Gipfels kaum jemand den Überblick behalten haben – angesichts der Vielzahl von Aktionen.

Im zweiten Abschnitt analysieren die Autoren quantitativ u.a. die Berichterstattung in den Printmedien und untermauern so die ersten Einschätzungen aus der Zeit kurz nach dem G8-Gipfel mit validen Daten. Die zentralen Erkenntnisse: Nie war in Deutschland der Umfang der Berichterstattung zum Konflikt um einen G8-Gipfel so umfangreich wie 2007. Dabei war es wichtiger, über das Infragestellen des Gipfels zu berichten, als über das Treffen der Staatschefs selbst. Bei der Darstellung der Gipfelgegner gab es tatsächlich eine Fokussierung auf Gewalt – unterschiedlich stark, je nach Ausrichtung des Blattes im Spektrum von "Bild" bis "Spiegel". Für das Fernsehen, so das Ergebnis einer weiteren Analyse, lassen sich mediale Stereotypen beschreiben – eine Dreiteilung der Proteste in Bilder von Randalierern, Polizisten und friedlichen Demonstranten, für Differenziertes dazwischen ist wenig Platz. Dass all dies die Ereignisse nicht angemessen widergespiegelt hat, wird kritisch angemerkt.

Auch von den Journalisten selbst, und hier wird es richtig spannend. Denn in Abschnitt drei kommen die Kritisierten selbst zu Wort und zumindest die Vertreter der etablierten Medien – in diesem Falle "taz" und ZDF – äußern sich erstaunlich selbstkritisch. Während der ZDF-Mann anmahnt, es müssten für das Fernsehen "angemessene Erzählansätze von kritischer Information weiterentwickelt werden", schildert der "taz"-Vertreter, wie er einer Falschmeldung der Polizei aufsaß, diese ohne gegenzurecherchieren ins Blatt brachte und damit das ohnehin schon dominierende Bild von Gewalt mit beförderte. Kein Einzelfall handwerklicher Schwäche. "Printjournalisten haben ... nicht immer sauber gearbeitet", so sein Fazit.

Deshalb auch, so das Resümee des Buches im letzten Abschnitt, sei dringend "journalistische Selbstreflexion und Selbstkritik" geboten. Die Herausgeber wünschen sich eine medienpolitische Debatte, denn bislang "suchte man vergebens eine nach außen hin sichtbare Diskussion über diese Problematik." Mit ihrem Buch haben sie eine wichtige und erhellende Diskussionsgrundlage geliefert, die sich – mit einigen Ausnahmen, bei denen es sehr wissenschaftlich wird – auch für den interessierten Laien spannend liest.

Rezensiert von Vera Linß


Dieter Rucht, Simon Teune (Hg.):
"Nur Clowns und Chaoten? Die G8-Proteste in Heiligendamm im Spiegel der Massenmedien",
Campus Verlag, Frankfurt/Main 2008, 254 Seiten