Der französische Freund

Von Johannes Willms |
Frankreich und die Franzosen, so das Ergebnis einer Meinungsumfrage, die von der "Frankfurter Allgemeinen" unlängst veröffentlicht wurde, rangierten ihrer Beliebtheit nach bei den Deutschen auf dem ersten Platz. Das ist eine gute Neuigkeit, auch wenn die "Erbfeindschaft", die einst die beiden Nachbarn entzweite, längst einer immer ferneren Vergangenheit angehört.
Der Befund überrascht aber gleichwohl, mochte es doch bislang eher den Anschein haben, dass Deutschland und Frankreich wie ein altes Ehepaar nach mancherlei Stürmen und Krisen sich im Alter zu einem Miteinander resigniert hatten, dem das Bewusstsein Halt gab, ohne den anderen nicht überleben zu können. Dass solche Vernunftgründe der Nährboden für eine jäh erblühte zarte Altersliebe seien, lässt also aufmerken.

Forscht man nach deren tieferen Ursachen, wird man rasch zu dem naheliegenden und plausiblen Schluss gelangen, dass Frankreich und die Franzosen mit dieser Schätzung bei den Deutschen nur das Erbe der Amerikaner antraten, die lange diesen ersten Platz behaupteten, aber durch ihr ungezogenes und stets allzu eigenmächtiges Auftreten jüngsthin erheblich an Sympathien einbüßten. Das wird man umso mehr verstehen, als sich die Zu- und Abneigungen gegenüber Völkern und Staaten nicht an realpolitischen Rücksichten orientieren, obwohl dies mancher Leitartikler gerne so hätte. Als eine weitere Ursache, wenngleich von weitaus geringerem Einfluss, lässt sich der "Amélie-Poulain"-Faktor ausmachen, der in Deutschland der stets latenten Sehnsucht nach dem "savoir vivre" eine neue auratische Anschauung lieferte. Mit dem alltäglichen Festtrubel auf dem Montmartre kann eben kein niedersächsisches Schützenfest oder bayerischer Starkbieranstich konkurrieren.

Wie aus jeder Beziehung bekannt, wird auch in diesem Fall die Zuneigung vom Partner Frankreich aber nicht in gleicher Intensität erwidert: Die Deutschen rangieren nach ihrer Beliebtheit in Frankreich weit hinter anderen Völkern; die Spitzenplätze halten Spanier und Italiener besetzt, in deren Ländern die Franzosen auch gerne ihren Urlaub verbringen. Wenig verwunderlich deshalb auch, dass neben dem Englischen das Spanische die Fremdsprache ist, die von französischen Schülern bevorzugt gelernt wird.

Auf Kopfschütteln dürfte aber bei einer großen Mehrheit der Franzosen stoßen, dass Staatspräsident Jacques Chirac besagter Umfrage zufolge, bei den Deutschen den Spitzenplatz in der Beliebtheit ausländischer Staats- und Regierungschefs einnimmt. Im eigenen Land musste Chirac pünktlich zum zehnjährigen Jubiläum seiner Amtsführung mit nur 39 Prozent Zustimmung den zweiten Tiefpunkt seiner Popularität seit dem April 1997 erleben, als diese Quote sogar nur 35 Prozent betrug.

Diese Umfragewerte sind vor allem deshalb von Bedeutung, weil sie von einem Stimmungsbild Mitteilung machen, von dem mit vielen guten Gründen zu vermuten ist, dass es in einem ganz erheblichen Umfang das Abstimmungsverhalten unserer Nachbarn beim Referendum über die Europäische Verfassung am Sonntag beeinflusst: Bei den Franzosen hat sich, wie nicht nur der Chefredakteur der linksliberalen Tageszeitung "Libération", Serge July, diagnostiziert, seit mehr als zwei Jahrzehnten eine Wut aufgestaut, die kein Ventil fand. Verantwortlich dafür ist die Verfassung der V. Republik, die einen starken, für die Dauer seiner Amtszeit von allen politischen Konjunkturen unangefochten herrschenden Präsidenten und eine schwache Nationalversammlung vorsieht. Mit dem Ausgang der letzten Regionalwahlen wurde der Regierung zwar ein gehöriger Denkzettel verpasst, den diese aber umso strafloser ignorieren konnte, als die Regionen keinerlei Einfluss auf die Formulierung der nationalen Politik haben.

Als noch fataler für die in Frankreich herrschende Stimmung erweist sich aber die Erinnerung an die Präsidentschaftswahlen vom Frühjahr 2002: Im ersten Wahlgang hatten die Franzosen ihrem Zorn dadurch Ausdruck verliehen, dass sie ihr Votum an eine große Zahl aussichtsloser Kandidaten der äußersten Linken und Rechten verzettelten, mit der absurden Folge, dass in der Stichwahl des zweiten Wahlgangs, zu dem nur die beiden Bestplatzierten der ersten Runde zugelassen sind, die Alternative Jacques Chirac oder der rechtsextreme Jean-Marie Le Pen lautete. Das führte dann zu dem absurd guten Abschneiden Chiracs, auf den 82 Prozent der Stimmen entfielen, für den also auch eine Mehrheit der linken Wähler gezwungenermaßen votierten, um Le Pen zu verhindern.

Eine solche Demütigung ist nicht leicht vergessen, weshalb es nicht verwundert, dass die linke Wählerschaft mehrheitlich geneigt zu sein scheint, die europäische Verfassung abzulehnen, um damit Chirac eine Niederlage zuzufügen, die dieser aber erklärtermaßen nicht zum Anlass für seinen Rücktritt nehmen will. Zwar spielen andere Motive für dieses Nein vordergründig eine größere Rolle, aber auch für diese ist Chirac insofern nicht ganz unverantwortlich, als ihm Europa bis in die jüngste Vergangenheit ein willkommener Sündenbock war, den man für die eigenen, selbstverschuldeten Versäumnisse verantwortlich machen konnte. Damit trug er entscheidend dazu bei, das Image Europas in der öffentlichen Meinung Frankreichs nachhaltig zu beschädigen.

Scheitert die europäische Verfassung am Nein der Franzosen, wird ihn dies aber kaum um seine hohen Sympathiewerte bei den Deutschen bringen, denn er wird dann die deutsch-französische Achse mit der auch hierzulande gern geglaubten Rechtfertigung zu stärken suchen, dass zwei starke Partner, die ähnliche Probleme plagen, die Einigung Europas viel leichter voran bringen, als der lärmende Haufen der 25 Mitgliedsstaaten.

Dr. Johannes Willms ist Kulturkorrespondent der Süddeutschen Zeitung in Paris. Er wurde am 25. Mai 1948 in Würzburg geboren und wuchs in Karlsruhe auf. Willms studierte Geschichte, Politologie und Kunst in Wien, Sevilla und Heidelberg, wo er 1975 bei dem Historiker Reinhart Koselleck promovierte. Anschließend arbeitete er als Journalist u.a. für den Hessischen Rundfunk. Bevor Willms als Feuilletonchef zur Süddeutschen Zeitung ging, war er Leiter der ZDF-Kultursendung "Aspekte". - Er hat zahlreiche Bücher veröffentlicht, darunter "Nationalismus ohne Nation - Deutsche Geschichte 1789 - 1914" (1983), "Paris - Hauptstadt Europas 1789 - 1914" (1988) und "Bismarck - Dämon der Deutschen" (1997). Gerade erschienen ist von Willms eine umfangreiche Napoleon-Biographie.