Der Fragebogen

Von Paul Stoop |
Ich verstehe wirklich nicht, warum es in Deutschland so viel Skepsis gegenüber Einbürgerungstests und Gesprächsleitfäden gibt. Befugte und Ungefugte nehmen Stellung, widersprechen, haben Bedenken. Dabei gibt es doch schon ein streng geprüftes Muster. Und dieses Beispiel legt nahe: Der Einbürgerungstest muss her, um klarer zu sehen.
Vom 1. März an wird in den Niederlanden der Einbürgerungstest für Neu- und manche Alteinwanderer zur Pflicht, die dauerhaft im Land bleiben wollen. Der eine oder andere Immigrationswillige muss sich dem Test schon in der alten Heimat unterziehen, über die Telefonleitung, an dessen anderem Ende ein Sprachcomputer sitzt.

Was lag da näher als ein kollektiver Probelauf eines solchen Tests, kurz vor Inkrafttreten des Gesetzes. Zur besten Sendezeit ließ die Nation sich selbst in einer Live-Show prüfen. Hunderttausende saßen vor der Glotze. Im Studio waren ein halbes Dutzend Promis dabei sowie sechs Gruppen Bürger unterschiedlicher Kategorien: junge und überwiegend blonde Auszubildende, Surinamer, Chinesen, Migrationsberater, Ureinwohner der Provinz Seeland und aktive Monarchisten. Der TV-Fragenkatalog wurde von dem Institut entwickelt, das auch den Test für die holländischen Behörden ausarbeiten wird. Es war also eine wirklichkeitsnahe Probe.

Nach 36 Fragen, der Auszählung im Studio und der Wertung der SMS-Ergebnisnachrichten aus dem ganzen Land stand für mich fest: So ein Test ist Deutschland unbedingt zu empfehlen.

Alle Promis versagten. Keine Gruppe im Studio erreichte die erforderlichen 80 Prozent richtiger Antworten, selbst die Seeländer und die Königshaus-Fans nicht. Im Gesamtdurchschnitt scheiterten auch die Fernsehzuschauer. Der Nation wurde klar: Wir müssten leider draußen bleiben, wenn wir wie die Zuwanderungswilligen geprüft würden. Ich selbst fiel auch durch.

Eine Betrachtung der Fragen, die zu diesem Fiasko führten, zeigt, wie hilfreich der Test ist: Er verschafft uns wichtige Erkenntnisse. Erstens belegt er die Beschränktheit und Hilflosigkeit der Fragensteller. Man sollte allen Ernstes wissen, ob das Krapfengebäck, das Zünden von Feuerwerk oder die TV-Comedyshow am Silvesterabend eine Erfindung des 20. Jahrhunderts war. Und in welche Tonne Neonröhre und Fritierfett korrekt zu entsorgen sind. Daneben getippt? Zwei falsche Antworten!

Zweitens zeigt uns der Test, dass der Ausgangspunkt der Behörden immer noch eine homogene Gesellschaft ist – eine Gesellschaft, die sich durch Piefigkeit, Geiz und Abschottung auszeichnet. Wer nämlich einer Familie im Nachbarhaus mit einem Geschenk oder einem spontanen Besuch zur Geburt eines Kindes gratuliert, liegt daneben. Richtig handelt angeblich nur, wer eine Glückwunschkarte schickt. Dass diese Nachbarn aus Ländern mit einer gastfreundlicheren und spontaneren Kultur stammen könnten und über einen Besuch glücklich wären, erscheint ebenso undenkbar wie Verhaltensunterschiede zwischen Schichten und Generationen.

Drittens lehrt der Test, wie rückwärtsgewandt das offizielle Geschichtsverständnis ist. Der Neu-Einwanderer soll wissen, ob Wilhelm von Oranien so wichtig war, weil er den Aufstand gegen die Spanier anzettelte, oder weil er den Unabhängigkeitskampf erfolgreich zu Ende führte. Natürlich muss der Immigrant auch wissen, dass die Muskatnuss aus Hollands Kolonien in Asien stammt. Westindien ? Stimmt nicht! Punktabzug!

Viertens lernen wir: Das Publikum ist sehr viel weiter als die Tester und die Politik. Reihenweise schickten Zuschauer nach der Sendung ihre Kommentare auf die einschlägigen Websites. Sie deckten Ungereimtheiten in den Fragen auf, widersprachen mit konkreten Beispielen den Fiktionen der Prüfer und empörten sich über das Einfordern von Verhaltensweisen, die geborene Niederländer nur aus den Erzählungen ihrer Großeltern kennen.

Also her mit dem Test! Dass behördliche Fragelisten zum Verständnis einer komplexen Wirklichkeit ebenso wenig taugen wie zur beabsichtigen Beeinflussung von Einstellungen, zeigt sich wohl erst bei einer solchen öffentlichen Generalprobe. Diese Erkenntnis könnte Aufmerksamkeit und Energie auf das lenken, was dringender gebraucht wird: Lösungen für das Problem jugendlicher Gewalt, Arbeitsplätze, differenzierte Bildungsangebote - und Geduld.

Paul Stoop, 1955 in Amsterdam geboren, wuchs in Bonn auf und studierte dort Geschichte, Politologie und Spanisch. Nach seiner Promotion als Historiker an der Vrije Universiteit Amsterdam ging er 1988 zunächst als freier Autor nach Berlin. Von 1990 bis 1999 gehörte Stoop der Redaktion des Berliner TAGESSPIEGEL an und war 1994/95 Jahresstipendiat der Nieman Foundation for Journalism an der Universität Harvard. Von 1999 bis 2005 war er Programmchef und Stellvertretender Direktor der American Academy in Berlin. Nun leitet er das Informations- und Kommunikationsreferat des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung (WZB).