Der Fragebogen
Bekanntlich brechen deutsche Familien in Jubel aus, wenn ihre Kinder homosexuell werden. Gerade der durchschnittliche CDU-Wähler aus dem kleinbürgerlichen Milieu ist besonders schwulenfreundlich. Von den muslimischen Familien aber weiß man, dass es dort regelmäßig zu Katastrophen kommt, wenn ein Kind einmal gegen die üblichen Familiennormen verstößt, den Liebespartner selbst aussucht oder gar die gleichgeschlechtliche Liebe bevorzugt.
Woher weiß man das? Bis vor kurzem war die muslimische Familie ein Buch mit sieben Siegeln. Doch inzwischen gibt es eine Flut von Publikationen und Medienberichten, die die Geheimnisse des muslimischen Familienlebens offen gelegt haben: schlagende Väter, zwangsverheiratete Mütter, verwahrloste Kinder. Nicht verwunderlich, dass der baden-württembergische Innenminister Heribert Rech da auf die glorreiche Idee gekommen ist, einen Fragenkatalog aufzustellen, um die Kandidaten für die deutsche Staatsbürgerschaft, die aus muslimischen Ländern stammen, einer Gesinnungsprüfung zu unterziehen.
Wie verhalten sie sich gegenüber Homosexuellen? Schlagen die Ehemänner ihre Frauen? Das sind keine unbedeutenden Fragen. Denn eine offene pluralistische Gesellschaft braucht auch Werte und ein Mindestmaß an gemeinschaftlicher bürgerlicher Gesinnung. Wenn eine Person Teil einer Gemeinschaft werden möchte - und nichts anderes passiert, wenn man sich in Deutschland einbürgern lässt - ist es doch selbstverständlich, dass sie auf ihre Gemeinschaftstauglichkeit geprüft wird?
Doch wie kann man diese prüfen? In der Schweiz wird in manchen Kantonen über jede Einbürgerung per Volksentscheid entschieden. Dabei kommt es regelmäßig zu grotesken Szenen, denn die Kandidaten müssen sich durchleuchten lassen, wie bei einem Einstellungsgespräch. Der Fragenkatalog aus Baden-Württemberg hat in Deutschland viel Aufsehen erregt und ist weitgehend auf Ablehnung gestoßen. Nicht nur Migrantenorganisationen, selbst der Justizminister des Bundeslandes, ein FDP-Mann, geht davon aus, dass viele der umstrittenen Fragen aus dem Katalog verschwinden werden. Doch es bleibt ein schaler Nachgeschmack.
Einmal ist die Aufstellung eines solchen Fragenkatalogs und ihre Anwendung ausschließlich auf Muslime ein Beleg dafür, welches negative Image Anhänger dieser Religion in Deutschland inzwischen genießen. Zum anderen aber ist Verfassungstreue keine Lappalie, wenn jemand sich einbürgern lassen möchte. Es ist beispielsweise durchaus verständlich, wenn Mitglieder von verfassungsfeindlichen Organisationen nicht eingebürgert werden. Selbst ein Verdacht sollte hierfür ausreichen. Denn, auch wenn die Anzahl von Muslimen, die gewaltbereit sind, verschwindend klein ist, ein Boden, der die wenigen Gewaltbereiten nährt, ist durchaus vorhanden. Auf diesem Boden gedeiht der Antisemitismus, die Homophobie, die Feindschaft gegenüber der offenen Gesellschaft. Doch der Kampf gegen diese Auswüchse kann nicht geführt werden, in dem Millionen von Menschen, die der islamischen Religion angehören, viele unter ihnen sind nicht einmal praktizierende Moslems, unter Generalverdacht gestellt werden.
In Baden-Württemberg stehen bald Wahlen an. Wahrscheinlich war die Aufstellung dieses Fragenkatalogs ein Wahlkampfmanöver. Doch beim Versuch die deutschen Lande vor dem gefährlichen Muslim zu schützen ist Herr Rech in diesem Fall wohl etwas zu weit gegangen, so dass ihm nichts anderes bleiben wird, als zurückzurudern. Und wieder einmal stellt man sich die Frage, warum es in Deutschland nicht möglich ist, über das Thema der Einwanderung sachlich und weniger emotional zu debattieren. Für die Aufstellung des Fragenkatalogs hat das Innenministerium weder jene mit diesem Thema seit Jahren beschäftigten Wissenschaftler noch die Ausländerbehörden konsultiert, die die Arbeit praktisch ausführen müssen. Ein Zeichen dafür, wie unseriös und unbedacht manch einer aus der Politik mit diesem sensiblen Thema immer noch umgeht.
Zafer Senocak, 1961 in Ankara geboren, seit 1970 in Deutschland, wuchs in Istanbul und München auf. Er studierte Germanistik, Politik und Philosophie in München. Seit 1979 veröffentlicht er Gedichte, Essays und Prosa in deutscher Sprache. Er lebt als freier Schriftsteller in Berlin, schreibt regelmäßig für die "tageszeitung" sowie für andere Zeitungen. Veröffentlichungen unter anderem "Fernwehanstalten", 1994, "Atlas des tropischen Deutschland. Essays", 1992 und "Zungenentfernung. Bericht aus der Quarantänestation", 2001.
Wie verhalten sie sich gegenüber Homosexuellen? Schlagen die Ehemänner ihre Frauen? Das sind keine unbedeutenden Fragen. Denn eine offene pluralistische Gesellschaft braucht auch Werte und ein Mindestmaß an gemeinschaftlicher bürgerlicher Gesinnung. Wenn eine Person Teil einer Gemeinschaft werden möchte - und nichts anderes passiert, wenn man sich in Deutschland einbürgern lässt - ist es doch selbstverständlich, dass sie auf ihre Gemeinschaftstauglichkeit geprüft wird?
Doch wie kann man diese prüfen? In der Schweiz wird in manchen Kantonen über jede Einbürgerung per Volksentscheid entschieden. Dabei kommt es regelmäßig zu grotesken Szenen, denn die Kandidaten müssen sich durchleuchten lassen, wie bei einem Einstellungsgespräch. Der Fragenkatalog aus Baden-Württemberg hat in Deutschland viel Aufsehen erregt und ist weitgehend auf Ablehnung gestoßen. Nicht nur Migrantenorganisationen, selbst der Justizminister des Bundeslandes, ein FDP-Mann, geht davon aus, dass viele der umstrittenen Fragen aus dem Katalog verschwinden werden. Doch es bleibt ein schaler Nachgeschmack.
Einmal ist die Aufstellung eines solchen Fragenkatalogs und ihre Anwendung ausschließlich auf Muslime ein Beleg dafür, welches negative Image Anhänger dieser Religion in Deutschland inzwischen genießen. Zum anderen aber ist Verfassungstreue keine Lappalie, wenn jemand sich einbürgern lassen möchte. Es ist beispielsweise durchaus verständlich, wenn Mitglieder von verfassungsfeindlichen Organisationen nicht eingebürgert werden. Selbst ein Verdacht sollte hierfür ausreichen. Denn, auch wenn die Anzahl von Muslimen, die gewaltbereit sind, verschwindend klein ist, ein Boden, der die wenigen Gewaltbereiten nährt, ist durchaus vorhanden. Auf diesem Boden gedeiht der Antisemitismus, die Homophobie, die Feindschaft gegenüber der offenen Gesellschaft. Doch der Kampf gegen diese Auswüchse kann nicht geführt werden, in dem Millionen von Menschen, die der islamischen Religion angehören, viele unter ihnen sind nicht einmal praktizierende Moslems, unter Generalverdacht gestellt werden.
In Baden-Württemberg stehen bald Wahlen an. Wahrscheinlich war die Aufstellung dieses Fragenkatalogs ein Wahlkampfmanöver. Doch beim Versuch die deutschen Lande vor dem gefährlichen Muslim zu schützen ist Herr Rech in diesem Fall wohl etwas zu weit gegangen, so dass ihm nichts anderes bleiben wird, als zurückzurudern. Und wieder einmal stellt man sich die Frage, warum es in Deutschland nicht möglich ist, über das Thema der Einwanderung sachlich und weniger emotional zu debattieren. Für die Aufstellung des Fragenkatalogs hat das Innenministerium weder jene mit diesem Thema seit Jahren beschäftigten Wissenschaftler noch die Ausländerbehörden konsultiert, die die Arbeit praktisch ausführen müssen. Ein Zeichen dafür, wie unseriös und unbedacht manch einer aus der Politik mit diesem sensiblen Thema immer noch umgeht.
Zafer Senocak, 1961 in Ankara geboren, seit 1970 in Deutschland, wuchs in Istanbul und München auf. Er studierte Germanistik, Politik und Philosophie in München. Seit 1979 veröffentlicht er Gedichte, Essays und Prosa in deutscher Sprache. Er lebt als freier Schriftsteller in Berlin, schreibt regelmäßig für die "tageszeitung" sowie für andere Zeitungen. Veröffentlichungen unter anderem "Fernwehanstalten", 1994, "Atlas des tropischen Deutschland. Essays", 1992 und "Zungenentfernung. Bericht aus der Quarantänestation", 2001.