Der Föderalismus wird mit neuem Leben erfüllt

Von Hans Jürgen Fink |
Eines immerhin scheint gewiss: Das öffentliche Leben in Deutschland wird bunter werden. In dem einen Land werden die Menschen länger einkaufen können als im Nachbarland, in dem einen oder anderen Knast werden die Sträflinge demnächst geringeren Komfort genießen, die Beamten werden unterschiedlicher besoldet werden und zu arbeiten haben.
Am deutlichsten werden die Länder in dem Punkt verschiedene Wege gehen, den sie stets als Basiselement ihrer kulturellen Autonomie betrachtet haben und der deshalb nicht von ungefähr bis zuletzt zwischen ihnen und dem Bund hart umkämpft war: die Bildungs- und die Hochschulpolitik. An dieser Stelle hat Berlin ohne Zweifel an Einfluss verloren, wenngleich weniger, als die reicheren Länder erhofften und die ärmeren unter ihnen befürchteten.

Es wird mit einiger Spannung zu beobachten sein, wie die Kultusminister mit dieser zugewachsenen Verantwortung umgehen werden. Wird der viel beschworenen Flickenteppich gewebt werden, der die oft geforderte Mobilität in Deutschland behindert? Werden in den ärmeren Ländern, etwa im Osten Deutschlands, die Kinder verdummen, die künftigen Eliten nur noch in den reichen Regionen des Südwestens geboren?

Einen solchen Automatismus gibt es tatsächlich nicht, wie die jüngsten Pisa-Studien eindrucksvoll zeigen, wonach gerade die Freistaaten Sachsen und Thüringen wie auch das Land Sachsen-Anhalt in den letzten Jahren einen deutlichen Sprung nach oben gemacht und Spitzenplätze besetzt haben.

Entscheidend allerdings bleibt, dass die finanzpolitischen Prioritäten richtig gesetzt sind, dann werden auch die Kinder in den weniger begüterten Ländern ihre Chancen haben und ihren Weg machen.

Alle diese Beispiele zeigen, dass die Länderparlamente und ihre Abgeordneten die eigentlichen Gewinner der Föderalismusreform sind. Bislang spielen sie im Grunde nur an einem Tag im Jahr eine wirklich entscheidende Rolle, dann nämlich, wenn der Haushalt zu verabschieden ist. Ansonsten regieren die Ministerpräsidenten fast so unangefochten wie einst die absolutistischen Fürsten und Könige zu Zeiten der deutschen Kleinstaaterei, sofern sie es nur einigermaßen geschickt anzustellen vermögen.

Nun aber kommen Themen auf die Tagesordnung der Parlamente, die den Abgeordneten neue Entscheidungsspielräume öffnen und die Position des Landtags gegenüber der Landesregierung verstärken. Die Ministerpräsidenten werden die Regierungsfraktionen künftig sorgsamer beachten und beobachten müssen, wollen sie Ärger im eigenen Hause vermeiden.

Den Zugewinn an Länderkompetenzen bezahlen die Ministerpräsidenten mit Einbußen an Einspruchsmöglichkeiten bei der Bundesgesetzgebung, mithin im Bundesrat. Waren es bisher mitunter nur wenige Verwaltungsbestimmungen, die ihnen die Möglichkeiten verschafften zu filibustern und mit der Bundesregierung zu streiten, so werden sie darauf künftig verzichten müssen. Dies dürfte das Gesetzgebungsverfahren, so steht zu hoffen, durchaus beschleunigen.

An der realen Macht der Länderfürsten ändert sich im Grunde freilich nur wenig. Ein großer Teil der Gesetze wird auch weiterhin im Bundesrat ihrer Zustimmung unterliegen, und die zentralen Linien der Politik werden bekanntlich ohnehin in anderen Gremien diskutiert und entschieden. So wie sich der deutsche Föderalismus zurzeit präsentiert, lebt und leibt er vor allem in den Vorständen der Parteien und in den Ausschüssen der Koalition.
Spricht man jetzt von der größten Reform seit Bestehen des Grundgesetzes, so geschieht dies sicher nicht ganz ohne Berechtigung. Waren es vor 60 Jahren die deutschen Länder, die Nachkriegsdeutschland politisch organisierten und begründeten, so waren es doch eben sie, die im Laufe der Zeit ihre Kompetenzen mehr und mehr an das Verfassungsorgan Bund verloren. Dieser Trend immerhin, dafür ist diese Reform ein klares Signal, ist gestoppt.

Der Föderalismus wird mit neuem Leben erfüllt. Es wird mehr Transparenz und weniger Reibungsverluste im Bund-Länder-Verhältnis geben. Insgesamt kann die Politik, zumal die große Koalition, zufrieden sein, dass sie wenigstens ein Reformprojekt zu einem guten Ende geführt hat. Dabei ist jedem klar, dass die eigentlich großen Brocken noch vor ihnen und uns liegen: eine neue Finanzverfassung, die den Ländern tatsächlich größeren Handlungsspielraum verschafft, sowie Länderfusionen, die das föderative System wirtschaftlich stärken und damit am Leben erhalten. Doch darauf, so steht zu befürchten, werden wir noch lange zu warten haben.