Der Fluxus-Pionier

Von Volkhard App · 04.08.2008
Emmett Williams war Poet, Performer, Grafiker und Maler in einer Person. Der Amerikaner zählt zu den Urvätern der Fluxus-Bewegung, die sich durch das Zusammenkommen verschiedener künstlerischer Richtungen auszeichnete. In Hannover widmet die Stiftung Ahlers Pro Arte Emmett Williams eine Ausstellung.
Der Meister selbst beim literarischen Vortrag. Poet, Performer, Grafiker und Maler war er in einer Person. Und setzte seine Texte gern auch bildnerisch um: Dann filterte er im Stile der konkreten Poesie aus einzelnen Namen und Begriffen immer neue Wörter heraus: Aus "Fluxus" wurden in einem auch optisch reizvollen Gedicht "Lust", "List" und "Flut" abgeleitet, schließlich auch das Wort "Luxus".
Um spielerische Einfälle war Williams nie verlegen. Künstler wie Robert Filliou, Dieter Roth und Daniel Spoerri zählte er zu seinen Mitstreitern, als "Fluxus"-Protagonist war er einer von ihnen - ganz im Geiste dieser Gattungs-Grenzen überwindenden Bewegung, die für ironische Attacken auf das traditionelle Kunstverständnis gut war und im Alltag für irritierende Aktionen sorgte. Heinrich Limann vom Potsdamer "Fluxus-Museum":

"Emmett Williams gehörte mit zu den Urvätern der Fluxus-Bewegung und hat sie durch seine Aktivität entscheidend mitgeprägt. Denn Fluxus bedeutete ja das Zusammenkommen verschiedener künstlerischer Richtungen, und da hat Williams mit seiner Dichtung eine bedeutende Rolle gespielt."

Welche Fülle schräger Ideen: Er kopierte ein Sonett Shakespeares - von dieser Kopie wurde wiederum eine Kopie hergestellt, und immer so fort, bis sich nach fast 1000 Arbeitsschritten das ursprüngliche Sonett durch elektrostatische Verzerrung in eine nicht mehr entzifferbare grafische Landschaft mit Hieroglyphen verwandelt hatte. Auf eine solche Idee muß man erst einmal kommen.

Ein Künstler, der ein Lächeln auf unsere Gesichter zaubern wollte - oder doch eher ein Bürgerschreck und Provokateur? Kurator Peter Lipke:

"Ich denke, er wollte intelligent und mit seinem charmanten Wesen Dinge aufzeigen - er wollte, glaube ich, nicht provozieren, sondern die Menschen zum Nachdenken bewegen, auf eine spielerische Art und Weise."

Als Kraftzentrum der Phantasie war Williams, wie die Witwe Ann Noel unterstreicht, zeitlebens ein Künstler, der besonders von Kollegen geschätzt wurde:

"…weil sie diese Arbeiten verstanden haben. Es waren andere Menschen, die manchmal Schwierigkeiten damit hatten.""

Mit geistesverwandten Akteuren wie Spoerri und Filliou kooperierte er bei frechen Performances und schuf mit ihnen zusammen Bilder - er huldigte ihnen aber auch auf individuelle Art. Besonders komisch ist seine Abbildung eines Stapels von Schokoladenstücken. Diese Tafel Schokolade träume davon, Dieter Roth zu sein, betitelte Williams seine Arbeit. Wobei Roth die Süßigkeiten wohl eher als Material auf seinen verderblichen Bildern verwendet hätte.
Im Jahr vor seinem Tod hielt Williams auf einem Blatt namentlich die Personen fest, die den wichtigsten Einfluß auf ihn ausgeübt hatten. Ist das so richtig ernst zu nehmen? Da erscheinen Dieter Roth und Robert Filliou neben Bertolt Brecht, William Shakespeare und Cole Porter - und ausdrücklich genannt wird auch der langjährige Weggefährte Wolfgang Hainke. Der Grafiker Hainke immerhin hat seit den frühen 80er Jahren mit Emmett Williams zusammengearbeitet:

"Emmett interessierte mich von meinen eigenen Ansätzen her. Es waren die großen Namen der 60er Jahre und der Katalysator Marcel Duchamp, die mich beschäftigten: Künstler wie Richard Hamilton, Daniel Spoerri und Robert Filliou - und nicht zuletzt Emmett. Und daraus hat sich eine lebenslange Zusammenarbeit ergeben - mit Ausstellungs- und Buchprojekten und Performances. Was Emmett gelebt hat - über die Idee der Freundschaft zur gemeinsamen Arbeit zu finden, das hat er nicht nur mit seiner Generation verwirklicht, sondern auch mit Jüngeren wie mir. Und das ehrt ihn sehr."

Und wie hat er den Allround-Künstler erlebt? Als vitalen, optimistischen Menschen - oder eher als zerrissenen und verzweifelten Mann?

"Emmett konnte, wenn er einen Raum betrat, sofort die Stimmung ändern. Er war sehr auratisch in seiner Erscheinung, sehr freundlich zu allen Menschen, voller Anekdoten und voller Lebensfreude - obwohl er im Vergleich zu seinen Künstlerfreunden immer auf einem sehr niedrigen Level gelebt hat."

Die Auswahl in Hannover mit grafischen Blättern, Büchern, Wandtexten und einem Video zeigt nur einen kleinen Ausschnitt aus der Produktion von Williams, bringt aber das Wichtigste seiner Arbeit zum Vorschein: die nicht versiegende Spiellust, gepaart mit Einfallsreichtum und unorthodoxem Humor.

Dabei ist dieser Künstler schwer zu fassen - und vieles, was damals geschaffen und aufgeführt wurde, hatte ohnehin den Charakter des Flüchtigen und Vergänglichen. Witwe Ann Noel über das Problem, einen solchen Künstler durch Ausstellungen in Erinnerung zu halten:

"Es gibt natürlich diese Reliquien von Performances, und viele sammeln sie. Aber eigentlich waren diese Arbeiten nicht für das Museum gedacht. Emmett und andere Fluxuskünstler haben nebenbei auch bildnerische Werke hergestellt und Bücher herausgegeben. Und die kann man noch sehen. Von den anfänglichen Performances gibt es nur noch ein paar Fernsehbilder.""

Und was waren das für Performances, wenn sich Williams eine Flasche Wein vorne in die Hose kippte - oder eine Brille Fillious durch den Fleischwolf drehte! Die Reste steckte er in einen Briefumschlag, klebte ihn zu, adressierte ihn an Spoerri und verabschiedete sich von den Zuschauern mit der Bemerkung, er müsse jetzt noch schnell zur Post, um einen Brief aufzugeben.

Ein Foto von 2002 zeigt den Künstler in der Rolle eines hohen kirchlichen Würdenträgers bei einer sogenannten "Fluxus-Messe". Und für die Fenster einer "Fluxus-Kathedrale" entwarf er bunte Muster, auf denen kleine, comicartige Männchen den heiligen Ernst torpedieren.
Das gängige Wort "Fluxus" tauchte bei ihm bis zuletzt immer wieder auf. Wolfgang Hainke aber hält das Werk von Williams für so vielfältig, dass ihm selbst dieser Begriff als einengendes Etikett erscheint:

"Er war ein Grenzgänger, ein rolling stone, der sich in allen Disziplinen bewegte: ob Performance, Druckgraphik, Malerei oder Buchedition - er hat keine Berührungsängste gehabt."