„Der Film wird nach seinem Anspruch in seinem Genre beurteilt“

Adrian Kutter im Gespräch mit Susanne Führer |
Prädikat „besonders wertvoll“ ist die höchste Filmauszeichnung der Deutschen Film- und Medienbewertung. Das Prädikat sei für Filmemacher aus wirtschaftlichen und kulturellen Gründen wichtig, sagt Jurymitglied Adrian Kutter. Künftig sollen auch DVDs bewertet werden, so Kutter weiter.
Susanne Führer: Prädikat „besonders wertvoll“ oder Prädikat „wertvoll“ – alle Filmliebhaber kennen diese Siegel. Verliehen werden sie von der FBW, früher hieß das Filmbewertungsstelle, heute Deutsche Film- und Medienbewertung, und dieser FBW feiert in diesen Tagen 60-jähriges Bestehen. Bernd Sobolla über die FBW und die Filme.

Und aus einem Studio in Biberach ist uns nun Adrian Kutter zugeschaltet. Er hat dort über 40 Jahre ein Kino betrieben und gehört seit über 30 Jahren zur Jury der FBW, also der Deutschen Film- und Medienbewertung. Guten Morgen, Herr Kutter!

Adrian Kutter: Guten Morgen!

Führer: Bernd Sobolla hat uns gerade ja ein bisschen von der Geschichte erzählt, aber warum, Herr Kutter, brauchen wir die FBW eigentlich heute noch?

Kutter: Ja, zumindest für die Antragsteller von deutschen Filmen ist es eine ganz wichtige Sache. Fangen wir mit den Kurzfilmen an: Hier ist es eklatant, eine wichtige Sache für junge Filmemacher, die ihre Kurzfilme einreichen. Sofern der Film ein Prädikat „besonders wertvoll“ bekommt, erhält der Antragsteller dann für seinen nächsten Film automatisch eine Referenzförderung. Das ist ganz wichtig. Bei den Langfilmen, dazu gehören die Spielfilme und die Dokumentarfilme, geht es um die Absenkung der Schwelle, der Besucherschwelle, die notwendig ist, um Referenzgelder von der Filmförderungsanstalt zu bekommen. Das macht schon ordentlich was aus, ob ein Film nun 100.000 oder 150.000 Besucher in Deutschland erzielt, bei Dokumentarfilmen sind die Schwellen wesentlich niedriger, aber das macht sich doch dann stark bemerkbar hinterher.

Führer: Aber das finde ich ja verrückt, weil man ja würde denken, Prädikat „besonders wertvoll“, und eigentlich steckt dahinter, durch diesen Film wird besonders viel Geld verdient. Also es ist ja eine enorme wirtschaftliche Folge, von der Sie erzählen.

Kutter: Für deutsche Filme auf jeden Fall eine enorme wirtschaftliche Angelegenheit, auf der anderen Seite selbstverständlich auch eine kulturelle. Denn jeder Filmemacher, der seinen Film einreicht, bekommt dadurch, durch ein unabhängiges Gremium und nicht nur Fachkritiker, die Bestätigung seiner künstlerischen Qualität. Das ist doch etwas, was jeder für sich in Anspruch nehmen will.

Führer: Aber andererseits ist es ja so, wenn ich jetzt, mal angenommen, ich hab jetzt einen Film gedreht und ich will ihn von Ihnen bewerten lassen, dann muss ich dafür Geld bezahlen, dass Sie ihn bewerten, so finanziert sich ja die FBW, und Sie geben dem dann ein Prädikat und dann bekomme ich sozusagen das Geld zurück. Das klingt ein bisschen nach eine Hand wäscht die andere, vor allen Dingen wenn man bedenkt, dass über zwei Drittel der eingereichten Filme von Ihnen ein Prädikat bekommen.

Kutter: Das hängt damit zusammen, dass mittlerweile selbstverständlich, selbstkritisch wie auch die Filmemacher sind, nur diejenigen Filme vorgelegt werden, von denen der Antragsteller erhofft, dass er auch ein Prädikat bekommt.

Führer: Und deswegen hat Fassbinder es immer gar nicht erst gewagt?

Kutter: Nein, nein, der Fassi war natürlich ein ganz spezieller Fall. Ich kannte ihn ja persönlich, und er war ein Mensch, der absolut nichts von Auszeichnungen hielt, genau dasselbe Phänomen haben wir bei ihm erlebt, wenn es um deutsche Filmpreise ging und sonstige Preise, da war er überhaupt nicht dafür zu haben. Also er ist ein Sonderfall, unser Fassi. Aber bei den anderen, also ich möchte schon sagen, dass so ein Prädikat ist eine Bestätigung für eigene Arbeit, für eigenes Können. Auf der anderen Seite, wie Sie vorher formulierten, das Geld rein, Geld raus, also so ist es auch nicht. Die Referenzgelder machen nur einen Bruchteil dessen aus, was ein Film gekostet hat, und ...

Führer: Ja, aber decken ja vielleicht auch die Kosten der Einreichung bei der Jury, das meine ich.

Kutter: Das könnte man annehmen, ja.

Führer: Erzählen Sie doch mal ein bisschen aus Ihrem reichen Erfahrungsschatz des Jurylebens, Herr Kutter! Wie kommt es denn zu so einem Prädikat, wie viele Leute sitzen da wie lange zusammen, wie lange diskutieren sie untereinander, gibt es Kampfabstimmungen, wie läuft das?

Kutter: Eine Jury besteht aus fünf Persönlichkeiten, ein Vorsitzer und vier Beisitzer. Der Vorsitzer leitet die Sitzung. Jeder Film, der gesehen wird an einem Sitzungstag, wird in Gänze ohne Abbruch angeschaut, nach dem Film direkt im Sitzungssaal dann die Diskussion über den Film, die zum Teil sehr heftig, sehr lang sein kann, und dann die Entscheidung, bekommt der Film ein Prädikat und welches, „bw“ oder „wertvoll“. Die Sitzungswochen fangen meistens Dienstagvormittag an und gehen bis Freitagnachmittag, manchmal auch schon, wenn viele Filme vorliegen, auch am Montag Beginn, und insgesamt etwa 16 Sitzungswochen im Jahr, immer mit einer Pause von ein, zwei Wochen eine weitere. Dann vielleicht noch interessant zu hören, wer überhaupt in den Jurys ist: Die Bundesländer entsenden über die Kultusministerien diese Mitglieder in den Jurys, das sind alles Fachleute aus dem Kulturbereich im weitesten Sinne, selbstverständlich auch aus dem Filmbereich. Und aus diesem Konglomerat von rund 70, 80 Beisitzern, die gewählt werden, entscheiden dann die Kulturminister dann auch, wer Vorsitzer wird – etwa sieben, acht. Und aus denen werden die Jurys zusammengesetzt. Und damit es keine Spekulation über Manipulationen geben kann, sage ich gleich dazu, das wird strikt dann verteilt über das Alphabet der Namen der Jurymitglieder und der Bundesländer, und so gibt es jedes Mal eine ganze andere Jury und selbstverständlich dann auch manchmal sehr merkwürdige Zusammensetzungen durch dieses Zufallsprinzip und insofern dann auch manchmal etwas merkwürdige Entscheidungen bei gewissen Prädikaten oder nicht zustande gekommenen Prädikaten.

Führer: 60 Jahre FBW, Deutsche Film- und Medienbewertung, Thema im Deutschlandradio Kultur mit dem Jurymitglied Adrian Kutter. Etwas merkwürdige Entscheidungen, sagen Sie: Ich hab mir gestern mal die Liste der ausgezeichneten Filme – also nur einen Teil konnte ich mir ansehen, denn es sind viele Tausend, Tausend Filme, die Sie ausgezeichnet haben –, und ich muss Ihnen gestehen, Herr Kutter, eine Linie konnte ich nicht erkennen. Also „besonders wertvoll“ gilt der FBW der Film „Hannibal“, das ist die Fortsetzung von „Schweigen der Lämmer“ mit Anthony Hopkins oder auch „Harry Potter und die Heiligtümer des Todes“, „Otto's Eleven“ von Otto Waalkes, „Das weiße Band“ von Michael Haneke, wieder was ganz anderes – da habe ich mich schon gefragt, nach welchen Kriterien entscheiden Sie?

Kutter: Das ist die Krux der FBW seit Jahrzehnten und seit Anbeginn, an der reiben sich die Kritiker – wie kann das eigentlich sein. Aber die Richtlinien geben halt vor, dass der Film nach seinem Anspruch in seinem Genre beurteilt wird, das heißt also hoch künstlerische Filme. Sie sagten gerade den Titel, „Das weiße Band“ von Haneke, kann dann durchaus ein „besonders wertvoll“ bekommen, und auch ein James-Bond-Film oder ein Harry-Potter-Film, weil er in seinem Genre nach seinem Anspruch etwas Herausragendes ist – inhaltlich, dramaturgisch wie auch handwerklich.

Führer: Wie „Rambo 3“.

Kutter: Tja, das ist natürlich einer der Fälle, weil „Rambo 3“, das gebe ich offen zu, da schieden sich die Geister und da gab es auch sehr viel Ärger. Aber das sind dann halt auch – Sie müssen es verstehen, die Jurymitglieder entscheiden, obwohl sie verpflichtet sind, objektiv nach den Kriterien inhaltlich, dramaturgisch wie auch die handwerklichen Komponenten zu bewerten. Auf der anderen Seite, es sind alles Menschen, die auch sehr subjektiv urteilen, und da kommen dann manchmal Entscheidungen zusammen, die durchaus nicht nachvollziehbar sind. Auf der anderen Seite, ich meine, die Mehrheit der Entscheidungen dürfte in Ordnung sein, und außerdem gibt es ja nun auch ein Revisionsverfahren, einen Hauptausschuss, der dann nach Antrag selbstverständlich der Antragsteller dann eine Revision durchführen kann.

Führer: Aber, Herr Kutter, noch mal zu den Kriterien. Also ich komme mit einem Film und ich sage, das soll jetzt ein flotter Unterhaltungsactionfilm sein, und dann sagen Sie, okay, als Unterhaltungsactionfilm ist der gelungen. Also theoretisch könnte ich dann auch einen Pornofilm einreichen?

Kutter: Nein, selbstverständlich sagen die Richtlinien der FBW auch ganz klar aus, was nicht bewertet werden kann oder ausgezeichnet werden könnte. Dazu gehören selbstverständlich Dinge, die gegen Religion, gegen Staat, Demokratie und ähnliche Dinge vorgehen. Das ist ganz klar, das kann nicht bewertet werden.

Führer: Und das sittliche Empfinden oder so was, weil Porno kam da jetzt noch nicht vor.

Kutter: Ja, ja, genau, genau.

Führer: Lassen Sie uns noch mal in die Zukunft blicken: 60 Jahre gibt es die FBW, die hat sich nun gerade umbenannt in Deutsche Film- und Medienbewertung, das lässt mich spekulieren, dass Sie sich neue Felder erhoffen.

Kutter: Nicht nur erhoffen, sondern wir haben einfach eingesehen, dass wir auch andere Medienbereiche mit einbeziehen müssen. Früher war es nun halt einfach nur der Film, heute ist ein sehr, sehr erheblicher, großer Markt im Bereich des DVD da und Filme, die gar nicht mehr ins Kino kommen, sondern gleich auf den DVD-Markt. Und insofern ist es legitim, dass Antragsteller, die in diesem großen Bereich Video/DVD dann halt auch hervorragende Produkte auf den Markt bringen, diese ausgezeichnet haben wollen mit einem Prädikat. Insofern ist dieser Markt für uns erweitert worden vor einigen Jahren, sehr, sehr erfolgreich und, meine ich, auch wichtig.

Führer: 60 Jahre Prädikat „besonders wertvoll“. Das war Adrian Kutter von der FBW, der Deutschen Film- und Medienbewertung. Ich danke Ihnen für das wertvolle Gespräch, Herr Kutter!

Kutter: Gerne!

Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.