Der Fast-Präsident als Umweltschützer

Von Jörg Tasman · 09.10.2006
Der ehemalige Vizepräsident Al Gore setzt sich seit seiner gescheiterten Präsidentschaftskandidatur im Jahr 2000 für den Umweltschutz ein. Mit Diavorträgen reist er durch die USA, um vor dem Klimawandel zur warnen. Aus dem Diavortrag ist jetzt ein Film geworden, den Gore in Berlin vorstellte.
Man hat ihn in den Medien gerne als farblos bezeichnet, als einen Mann ohne viel Charisma, einen ewigen Vizepräsidenten eben. Wer Al Gore in dem Film "An inconvenient Truth/Eine unbequeme Wahrheit" als engagierten Umweltschützer sieht, der faktenreich und leidenschaftlich für den Klimawandel wirbt, bekommt einen ganz anderen Eindruck. Auch im Gespräch am runden Tisch mit einem halben Dutzend Journalisten kann Al Gore überzeugen. Er wirkt selbstbewusst, aber durchaus nicht selbstherrlich und kann immer wieder mit einem trockenen Humor aufwarten, der sich auch durch seinen Diavortrag zieht, den der Filmemacher Davis Guggenheim auf die große Leinwand brachte. Dabei war Al Gore zunächst zurückhaltend, als man ihm das Filmprojekt antrug.

"Ich war skeptisch, als es um eine Verfilmung ging, weil ich mir nicht vorstellen konnte, wie aus meinem Diavortrag ein Film wird. Ich wünschte, ich könnte jetzt behaupten, es sei meine Idee gewesen, aber so war es nicht. Ich bin aber froh, dass ich mit dem Regisseur und Produzenten redete und auf sie hörte. Mir war einfach nicht klar, was heutzutage mit einem Kinofilm alles möglich ist."

Der Film überzeugt oft durch ganz einfache Tatsachen. So stellt Al Gore Fotos von Gletschern in Südamerika, Europa oder den USA vor, wie sie einst schneebedeckt vor 30, 50 oder 70 Jahren aussahen. Verglichen mit heutigen Aufnahmen aus der oft gleichen Sehperspektive sieht man kaum noch Schnee und Eis, dafür viel Dürre und manchmal immerhin ein sattes Grün. Erschreckend sind auch Gegenüberstellungen, in denen in Afrika oder der ehemaligen Sowjetunion im Vergleich von damals zu heute ganze Seen wie der Tschad- oder der Aralsee verschwunden sind. Gibt es aber auch persönliche Gründe, warum Al Gore begonnen hat, sich für die Umwelt zu engagieren?

"Ich habe einiges im Leben durchgemacht. Jeder muss auch schwierige Momente durchleben und Millionen von Menschen haben es viel schwerer gehabt als ich. Nach jeder menschlichen Herausforderung versuche ich daraus zu lernen und mich weiter zu entwickeln. Im Film rede ich darüber. Da war der Unfall meines Sohnes, der mir klar machte, das man das teuerste und wichtigste im Leben auch verlieren kann. Der Tod meiner Schwester, die eine starke Raucherin war, hat mich emotional sehr getroffen und ich merkte, dass Dinge, die zunächst abstrakt erscheinen, sehr schmerzvolle Auswirkungen haben können. Ich weiß noch nicht, was ich aus der verlorenen Wahl von 2000 gelernt habe, aber wir sagen in den USA, was dich nicht umbringt, macht dich stärker."

Natürlich ist der Film in erster Linie für den amerikanischen Kinozuschauer gedacht, auch wenn wir es uns als Deutsche und Europäer viel zu leicht machen, wenn wir die Amerikaner nur belächeln und schon vorgeben "alles zu wissen". Prägnant sind ganz einfache Zahlen, die bestimmt nicht jedem gegenwärtig sind. So fallen 20 der 21 heißesten Jahre seit 1860 in den Zeitraum der letzten 25 Jahre. Und bei einer Hitzewelle im aufgeklärten Europa starben vor drei Jahren 35.000 Menschen.

Warum aber - anders als in Europa- viele Menschen in den USA noch am Treibhauseffekt zweifeln, erklärt der Film auch. Während sich Wissenschaftler in den letzten zehn Jahren einig sind, dass es einen Klimawandel gibt, wird die Erderwärmung in 50 Prozent aller Artikel angezweifelt, die in amerikanischen Tageszeitungen zu dem Thema erschienen sind. Die Bush-Administration hat das Thema lange ignoriert oder verharmlost. Al Gore weiß auch, dass sich George Bush weigert, "Eine unbequeme Wahrheit" anzusehen. Genau deshalb habe er ja ein Buch geschrieben, für den Fall, dass George Bush liest, meint er ironisch.

"George Bush has said, that he is gonna refuse to see my movie. That's why I wrote the book. Maybe he is a reader."

Wäre er Präsident geworden, dann hätte er dem Umweltschutz einen zentralen Platz eingeräumt, sagt Al Gore heute, gibt aber auch zu, dass Politik aus mehr besteht, als nur aus kühnen Vorstößen. Obwohl Gore Kyoto 1997 mit aushandelte, gelang es ihm damals nur, einen von 100 Senatoren von dem Protokoll zum Klimaschutz zu überzeugen. Als Vizepräsident aber hatte er einfach nicht genug Macht, um gewisse Dinge noch entscheidender zu verändern. Anhand eines einfachen Beispiels verdeutlicht Al Gore dann, was er in der Rolle eines Präsidenten an einem Tag wie heute zu tun gehabt hätte.

"Ich mag den Gedanken, dass ich, wäre ich Präsident geworden, einige Dinge hätte verändern können, die mir wichtig sind. Aber es stimmt auch, dass ein Präsident sich um die Belange des amerikanischen Volkes zu kümmern hat, und alles tun muss, was man von ihm erwartet. Heute würde ich als Präsident Telefonate führen und Erklärungen abgeben im Zusammenhang mit dem nordkoreanischen Atomwaffentest. Es wäre meine Verantwortung, eine Antwort darauf zu finden. Stattdessen werde ich hier in Berlin über den Klimawandel reden."

Als Präsidentschaftskandidat will sich Al Gore nicht mehr aufstellen lassen, sagt er und man ist geneigt, ihm das zu glauben. Er selbst wettert und lamentiert nicht nur, sondern zeigt im Film und im Buch auch Lösungsvorschläge und lebt selbst unter der Maxime, so wenig Kohlendioxid wie möglich zu verbrauchen. Diese Woche ist Al Gore noch viel unterwegs. Am Mittwoch stellt er den Film vor dem französischen Parlament vor und auch der Diavortrag wird fortgesetzt, beispielsweise in Baden-Baden. "Ich habe auch viele neue Dias", sagt Al Gore lachend, bevor er sich wie zu Beginn des Interviews per Handschlag verabschiedet.