Der falsche Glanz der Garagen-Geister

Von Jochen Stöckmann |
Die Begeisterung moderner Zeitgenossen für das iPhone ähnelt der Faszination des 18. Jahrhunderts für den famosen "Schachtürken": Verborgen im Innern dieses Spielautomaten hockte damals ein Zwerg, der zog die Fäden wie bei einer Marionette.
Auf ganz ähnliche Weise werden Teleobjektive, Mikrofonanlagen oder Navigationsinstrumente gesteuert, die in einer Frankfurter Ausstellung über den sogenannten "i-Kosmos" zu sehen sind. Herzstück dieser aufwendigen Installationen ist stets das sogenannte "smartphone", also ein hochgerüstetes Mobiltelefon.

Eigentlich erfüllen ja kompakte Digitalkameras, Audiorekorder und GPS-Geräte ihren jeweiligen Zweck weitaus besser - und sind billiger. Aber wer in die weißen Kästchen und black boxes vernarrt ist, muss wohl derart aufwendige Apparaturen basteln. Im Gegensatz zu Moped-Jüngern, Manta-Fahrern oder ganz normalen Computerfreaks können und dürfen Apple-Maniacs nämlich nicht "schrauben", iPhone & Co lassen sich nicht "frisieren". Individuelles Tuning ist durch die angeblich bedienerfreundliche, tatsächlich aber sehr hermetische Konstruktionsweise ausgeschlossen.

Der stolze Apple-Besitzer kann seinem Objekt der Begierde nicht zu Leibe rücken. Einem uralten Spieltrieb, dem "Kind im Manne" gebietet das iPhone Einhalt, es macht seinen Benutzer zur Marionette. Eine kulturgeschichtliche Zäsur bahnt sich an. Doch Rettung naht mit dem "physical computing".

An der Spitze dieser Bewegung steht "arduino", ein von Studenten im italienischen Ivrea entwickelter Mikrocontroller, der sich ohne Fachkenntnisse programmieren lässt. Künstler nutzen Winzlinge wie "Arduino Nano" zur Steuerung ihrer Video-Installation, Textildesigner implantieren "Lilypad" in ihre Gewebe. Selbst "toy hacking", das experimentelle Auseinandernehmen von digitalem Spielzeug wird damit möglich.

Hinter all dem steckt mehr als nur kindliche Neugierde. Einer der arduino-Aktivisten nennt als Motiv "to take control back of what is inside!" Genau dieses Insiderwissen, den Quellcode, schirmt Apple sorgsam ab. Bei arduino aber liegt alles offen zutage, wird jedes Gerät vom Benutzer selbst zusammengelötet, geschraubt oder gesteckt. Damit tritt jener lebensreformerische Geist des Bauhauses zutage, der immer schon auf Transparenz setzte, der technische Machart und Konstruktionsweisen anschaulich machte. "Begreifbarkeit" wird dagegen nur vorgespiegelt, auf bunter Oberfläche simuliert, wenn die Apple-Geräte bei jedem Fingerzeig auf dem touch screen reagieren.

Die vertrauenerweckende, ohne zwingenden Grund je nach Modesaison veränderte Benutzeroberfläche garantiert den Absatz jeweils "brandneuer", im Grunde aber baugleicher Modelle. Es geht nicht um bloße Ästhetik, das Design folgt wirtschaftlichen Interessen - und trägt in sich den "moralischen Verschleiß". So heißt in der klassischen Ökonomie ein Phänomen, das zu DDR-Zeiten im "Lexikon der Kunst" definiert wurde als "Abnutzung, die durch veränderte praktische und ideelle Beziehungen des Menschen zum betreffenden Gegenstand bewirkt wird".

Honeckers Ideologen waren getrieben von staatlich verordneter Technikeuphorie, sie dichteten Produkten aus DDR-Betrieben "neue Funktionslösungen" und "Verbesserung der Gebrauchswerteigenschaften" an. Das war plumpe Propaganda, die nun - kunsthandwerklich verfeinert - mit der iPad-Reklame wiederkehrt.

Apple propagiert lauthals "green design", produziert aber jede Menge Müll, weil die simple Demontage und Wiederverwertung elektronischer Bauteile durch aufwendiges Design unterbunden wird. Dagegen revoltiert die technische Intelligenz, Amateure ebenso wie Akademiker. Mittlerweile verlangt sogar ein Uni-Institut von Bewerbern, dass sie "vor dem Experimentieren mit einfacher Elektronik (zum Beispiel Arduino) nicht zurückschrecken." Das hört sich nach Bastelkeller und Garagenschrauberei an. Warum nicht? Auch die Apple Computer Company hatte 1976 ihren ersten Firmensitz in einer Garage.

Jochen Stöckmann, Jahrgang 1956, freier Kulturjournalist, Kunst- und Architekturkritiker. Studium Soziologie und Sozialpsychologie, Feuilletonredakteur der "Hannoverschen Allgemeinen Zeitung", Arbeitsaufenthalte in Frankreich, Ausflüge in das 18. Jahrhundert und - nach 15 Monaten als "Bürger in Uniform" - in Militärgeschichte und -politik.
Jochen Stöckmann
Jochen Stöckmann© privat