Der Fall Kirchhof oder ein Risiko und die Folgen

Von Karl-Heinz Gehm |
Wahlkampf 2005. Aus schwarz-gelber Euphorie wird Ernüchterung, und ein Hoffnungsträger zum Risiko. Sein Name: Paul Kirchhof. Der Star des Kompetenzteams der Angela Merkel hat einen rasanten Absturz hingelegt.
Von Null auf Hundert ging's in wenigen Stunden. Raketenstart eines Steuerexperten, der dem dröge dahin dümpelnden Wahlkampf plötzlich Drive und der Opposition die absolute Lufthoheit gab - in Gazetten wie am Experten-Stammtisch.
Ein Wahlkampfcoup der Kanzlerkandidatin. Und die FDP wurde nicht müde zu betonen, dass Kirchhof mit seinem wegweisenden, weil einheitlichen 25-Prozent-Steuersatz doch eigentlich voll auf ihrer Linie liegt.

Die Euphorie hielt zwei Wochen, dann hatte der Wahlkampf tatsächlich sein Thema. Und das Dream-Team Merkel-Kirchhof hatte sein Etikett. Das aber hieß: "radikal unsozial".

Die von Angela Merkel so hoch gelobte Vision ihres Kompetenzteamers entpuppte sich über Nacht als Bumerang, der im schwarz-gelben Lager für gewaltige Ernüchterung sorgte.

Für den Rest sorgte Kanzler Schröder, ganz nach dem bewährten Motto: E geht nicht darum, was ist, sondern, was man im Wahlkampf daraus macht.

Das aber führt zu der Situation, dass der Union auf einem zentralen Feld der Auseinandersetzung die Meinungsführerschaft abhanden gekommen ist. Muss die Unionsspitze doch, bislang ohne sonderlichen Erfolg, dem Wähler erklären, mit den Segnungen jener sagenumwobenen Steuerreform des Paul Kirchhof sei erst später zu rechnen. Vorher gelte es nämlich noch, das Regierungsprogramm umzusetzen. Und auf dem stehe Kirchhof, voll und ganz.
Die SPD aber rechnet derweil dem Wähler vor, was es denn nun für Pendler, Krankenschwestern und Schichtarbeiter bedeute, wenn die eineoder andere Steuervergünstigung aus Kirchhofs 418-Punkte-Liste gestrichen werde.
Die Reaktionen sind bekannt. Deren Folge ist die Verdrängung des Paul Kirchhof in der Union. Und Guido Westerwelle warnt plötzlich vor der Selbstverwirklichung eines Akademikers. Der aber lag, noch gar nicht lange her, doch voll und ganz auf Linie der Liberalen.

Wie das gemeinhin bei Fragen der Entsorgung nun einmal ist, wird da suggeriert, damit seien alle Probleme gelöst. Von wegen. Entscheidend ist, wie jedermann weiß, was danach geschieht.

Und da, der Andenclub ist eben solidarisch, taucht am politischen Horizont Friedrich Merz auf.

Der Abgang des Jost Stollmann, wir erinnern uns, jener "Geheimwaffe" Schröders im Wahlkampf 98, war seinerzeit eine für den Politikbetrieb überschaubare Angelegenheit. Für Angela Merkel wird die Entsorgung Kirchhofs etwas komplizierter.