Der Fall Armin Langer

Streit um Meinungsfreiheit im Rabbinerkolleg

Der Muslim Ender Cetin (l-r), der Jude Armin Langer und der Muslim Thaer El Jomaa
Der Ex-Student Armin Langer sorgt für Kontroversen. © picture alliance / dpa / Foto: Wolfgang Kumm
Von Igal Avidan · 22.04.2016
Das Abraham-Geiger-Kolleg in Potsdamer ist das erste Rabbinerseminar seiner Art in Kontinentaleuropa, das nach dem Holocaust gegründet wurde. Nun sorgt die Entlassung des Studenten Armin Langer für Wirbel: Der hatte den Zentralrat der Juden scharf kritisiert und ihm Rassismus vorgeworfen.
Die Flüchtlingswelle aus arabischen Ländern schlägt auch im liberalen Rabbinerseminar hohe Wellen. Im November 2015 forderte Josef Schuster, Präsidenten des Zentralrats der Juden in Deutschland, Obergrenzen für Flüchtlinge. Zur die Integration der früheren muslimischen Einwanderer sagte Schuster.
"Wenn ich mir die Orte in Europa anschaue, in denen es die größten Probleme gibt, könnte man zu dem Schluss kommen, hier handele es sich nicht um ein religiöses Problem, sondern um ein ethnisches."
Schlecht integrierte Muslime findet man in Berlin-Neukölln, wo der Rabbinerstudent Armin Langer wohnt, viele. Dass sie antisemitisch seien, sagte Schuster nicht. Aber Langer, Koordinator der Salaam-Schalom-Initiative für jüdisch-muslimischen Dialog und gegen anti-islamische Vorurteile, verstand diese Aussage anders und konterte mit einem Kommentar in der taz:
"Also ganz am Ende meines Textes steht, ich zitiere: ‚Mein Vorschlag wäre, dass sich der Zentralrat der Juden zum Zentralrat der rassistischen Juden umbenennt‘."
Die taz stellte Armin Langer als Studenten der jüdischen Theologie an der Universität Potsdam vor. Diese theologische Einrichtung ist die einzige weltweit an einer staatlichen Universität und wurde vom Rektor des Abraham-Geiger-Kollegs initiiert, Walter Homolka.
"Wir waren seit 1999 schon mit der Universität Potsdam verbunden als Rabbinerseminar, das Abraham-Geiger-Kolleg. Das hat aber bedeutet, dass wir da reinen Gaststatus hatten und wir hatten keinerlei Einfluss auf die Berufung der Professoren oder auf die Lehrangebote. Und wir haben das pragmatisch gelöst, indem wir diesen Studiengang mitgestaltet haben."
Nun ist Armin Langer auch Rabbinerstudent am Abraham-Geiger-Kolleg. Dieses unterstützte zwei Jahre lang seine Dialogarbeit mit Muslimen und duldete auch seine Interviews gegen die Stigmatisierung Neuköllns als No-Go-Areas für Juden, in denen er dem Berliner Rabbiner Daniel Alter widersprach.
"Eine der wichtigsten Werte des Judentums und der jüdischen Zivilisation ist die Kultur des Streits. Streit ist koscher und Streit soll befürwortet werden."
Im Geiger-Kolleg herrschte noch Harmonie als im Sommer 2014 Bundespräsident Joachim Gauck Mitglieder der Salaam-Schalom-Initiative im Schloss Bellevue empfing, darunter Langer. In der Berichterstattung wurde er als Rabbinerstudent gefeiert - das Kolleg freute sich wohl. Denn namensgeber Rabbiner Abraham Geiger war einer der Begründer der modernen Orientalistik und das Kolleg beteiligt sich an mehreren Projekten mit Muslimen, zum Beispiel am "House of One", das in einem Gebäude eine Synagoge, eine Kirche und eine Moschee beherbergen soll.
Im Februar 2015 entfachte der Lokalpatriot Langer einen neuen Streit – diesmal mit dem Präsidenten des Zentralrats der Juden in Deutschland. Josef Schuster hatte zuvor davor gewarnt, in sogenannten Problemvierteln, in denen viele muslimischer Zuwanderer leben, eine Kippa zu tragen. Daraufhin schrieb Armin Langer als "angehender Rabbiner" in der taz:
"Mit Blick auf Pegida hat Josef Schuster anti-muslimischen Rassismus klar verurteilt. Jetzt schürt er selbst Vorurteile."
Im liberalen Kolleg ist man "not amused". Denn nach jahrelangen Bemühungen fördert der Zentralrat seit 2010 das Kolleg. Mit Josef Schuster hat das Kolleg zudem einen wahren Freund an der Spitze des Zentralrats, sagt Admiel Kosman, akademischer Direktor am Abraham-Geiger-Kolleg und Professor für Talmud an der Universität Potsdam.
"In den ersten Jahren des Kollegs fiel es dem von Traditionalisten regierten Zentralrat nicht leicht, unsere Rabbinerinnen und schwulen Rabbiner zu akzeptieren."
"Seit sechs Jahren werden wir vom Zentralrat gefördert, aber erst seit dem Amtsantritt des jetzigen Präsidenten Josef Schuster erkennt uns der Zentralrat vollständig an und stellt uns anderen jüdischen Institutionen gleich.
"Schuster kommt zu all unseren Veranstaltungen, respektiert uns sehr und ermuntert unsere Absolventen dabei, eine Gemeinde zu finden."
Um diesen neuen Freund nicht zu verprellen, verordnete das Kolleg Armin Langer, alle Medienanfragen dem Pressesprecher vorzulegen. Die Medien interessieren sich für Langer, weil er Rabbinerstudent sei, argumentiert das Kolleg. Dazu Rektor Walter Homolka:
"Da geht es grundsätzlich um die Anerkenntnis der Tatsache, dass man in dem Augenblick, wo man im Rabbinerseminar ist, dass man keine Privatperson mehr ist, sondern man ist immer auch Repräsentant der jüdischen Gemeinschaft und des Abraham-Geiger-Kollegs. Und dann zu glauben, es gäbe die Schublade - hier bin ich privat und hier bin ich offiziell - die ist überhaupt nicht durchhaltbar."
Die 31 Absolventen des Geiger-Kollegs müssen sich ihren Gemeinden anpassen, sagt Rektor Walter Homolka. Denn ein Rabbiner und ein Kantor ist kein freier Beruf, sondern ein geistliches Amt im Rahmen einer Religionsgemeinschaft.
"Glauben Sie, dass jemand, der Kardinal Marx ins Gesicht spuckt, dass der dann Priester werden kann? Ich meine, das ist doch irreal! Und das ist im Rahmen abgedeckt: Die Meinungsfreiheit endet da, wo die Religionsfreiheit beginnt. Und die Religionsfreiheit heißt, dass eine Religionsgemeinschaft, übrigens ohne Angabe von Gründen, sich aussuchen kann, wer ihr religiöses Personal ist."
Demut, Bescheidenheit und ein offenes Herz sind laut Admiel Kosman die notwendigen Eigenschaften eines künftigen Rabbiners.
"Wir erwarten von unseren Studenten Sensibilität zum Dialog. Das heißt, dass sie ihr Herz für andere Menschen öffnen und dass sie mehr zuhören können, als selbst reden. Jedes Jahr haben wir Studenten, die bombastisch auftreten: Die können Professoren oder Politiker werden, aber nicht Rabbiner."
Dennoch arbeiten über 95 Prozent der Absolventen in jüdischen Gemeinden, die meisten von ihnen innerhalb Deutschlands, so Kosman.
Nun ist Josef Schuster nicht der jüdische Kardinal. Aber der Zentralrat fördert die Rabbinerausbildung (einschließlich eines einjährigen Jahres in Israel) mit jährlich 325.000 Euro (die Kantorenausbildung mit weiteren 60.000 Euro). Die Folge: Armin Langer muss sein Rabbinerstudium beenden. Weil er sich bei Schuster entschuldigte, darf er sich in einem Jahr nochmal beim Kolleg bewerben.
"Also diesen Satz würde ich heute nicht schreiben, weil: Es war eindeutig ein Fehler, den ganzen Zentralrat beziehungsweise dann auch die Gemeinden pauschal als Rassisten zu bezeichnen. Die Äußerung von Schuster finde ich bis heute rassistisch. Die Frage ist, ob er das so gemeint hat oder nicht und ich neige dazu, dass er das nicht so gemeint hat."
War es ein Fehler, die wiederholten Warnungen des Kollegs zu ignorieren und dadurch die Rabbinerausbildung wegen eines Kommentars zu verlieren?
"Nein, der Fehler war, dass sie mich rausgeworfen haben. Ich habe einen Fehler gemacht, indem ich im März 2015 nicht an die Öffentlichkeit gegangen bin, dass das Kolleg mich erpresst. Ich werde mich in einem Jahr wieder bewerben, um mein Studium am Abraham-Geiger-Kolleg abschließen zu können - und dieses Jahr verbringe ich mit meinem Studium an der Universität Potsdam als Student der jüdischen Theologie. Das wäre ein Kompromiss."
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