"Der exklusivste demokratische Club der Welt"
US-Publizist Robert Kagan, der auch Berater des republikanischen Präsidenschaftskandidaten McCain ist, sieht im Lichte des Präsidentschaft-Wahlkampfes in seinem Land keine grundlegenden Änderungen im europäisch-amerikanischen Verhältnis. Beide Seiten gingen weiter aufeinander zu, wenn auch mit durchaus unterschiedlichen Verständnissen von der Umsetzung einer globalen Demokratie. Trotzdem könnten beide durchaus voneinander lernen.
Deutschlandradio Kultur: Robert Kagan, schön, dass Sie da sind. Sie leben zurzeit in Brüssel mit Ihrer Frau Victoria Nuland, die US-Botschafterin bei der Nato ist, und Ihren beiden Kindern. Was gefällt Ihnen als Amerikaner am alten Europa und was vermissen Sie?
Robert Kagan: Mir gefällt so vieles hier, allein das Essen, die Menschen, die Geschichte, die Kultur. Meine Kinder haben so viel gelernt hier. Sie haben ganz tolle, nicht sehr amerikanische Erfahrungen hier in Europa gemacht. Was mir fehlt, sind Läden, die dauernd offen sind. Das fehlt mir am meisten. In den Staaten kannst du alles zu jedem Zeitpunkt überall kaufen.
Deutschlandradio Kultur: Das war die nette Frage. Jetzt kommen die unfreundlicheren Fragen. Herr Kagan, Sie wissen, dass unter George W. Bush die Welt eine andere geworden ist. Kaum einer wird wahrscheinlich noch sagen wollen heute, eine sicherere oder eine bessere. Wer könnte Ihrer Meinung nach als US-Präsident eher etwas kitten, Obama oder McCain?
Robert Kagan: Ich glaube, beide werden sich bemühen, das Image Amerikas zu verbessern. Sie kennen beide die Schäden, die eingetreten sind. Sie werden beide versuchen, das zu verbessern. Ich kann nur für McCain reden. Ich weiß, wie engagiert er ist, wie sehr er möchte, dass Amerika wieder in das Weltsystem hineinkommt, multilaterales Wirken. Er hat Reden gehalten über die Notwendigkeit, nun auch den Atomwaffensperrvertrag weiterzuentwickeln. Er möchte amerikanische Praktiken im Bereich Folter beenden und – für Sie vielleicht am Wichtigsten – er möchte, dass Amerika wieder Führung übernimmt, gerade in Fragen wie der Klimaveränderung. "Amerika soll ein guter Bürger sein." Das sagt er immer wieder. Ich glaube, das wird er vertreten.
Deutschlandradio Kultur: Sie sind einer der Berater von McCain. Trotzdem treffen da zwei völlig unterschiedliche Typen, fast zwei Kulturen aufeinander. Da ist einmal mit McCain der Patriot, Soldat und Pflichtmensch und mit Obama eher der Prediger, der Bürger, der Visionär. Wer kann eher Brücken bauen?
Robert Kagan: Wie poetisch das klingt, was Sie sagen. Ich glaube, beide sind gute Brückenbauer. Egal, wer gewählt wird, die Menschen in Europa sollten nicht erwarten, dass die amerikanische Außenpolitik sich um 180° ändert. Wir haben eine sehr lange Tradition der Überzeugung von unserer eigenen Aufgabe, der Bedeutung amerikanischer Macht. Das sehen Sie bei beiden Kandidaten. Ich habe mir sehr sorgfältig auch Obama angesehen, seine Reden. Er spricht auch davon, dass die Amerikaner wieder Führer der freien Welt werden sollen. Das habe ich lange nicht mehr gehört. Und er spricht darüber, wie wichtig es ist für die Staaten, dass wir ein starkes Militär haben in der Welt. Wir geben eine halbe Billion Dollar aus für Verteidigungsmaßnahmen und er spricht nicht von Kürzungen. Also, erwarten Sie keine enorme Änderung des Kurses der Außenpolitik – bei keinem der beiden.
Ich würde nur eines sagen, und ich stehe McCain etwas näher, dass er viel mehr Erfahrung hat in Weltangelegenheiten. Er war jedes Jahr in Deutschland, war dauernd in München bei der Sicherheitskonferenz usw. Er ist sehr engagiert in den internationalen Angelegenheiten. Er ist ein sehr unabhängiger Mann. Er kritisiert auch Bush in zahlreichen Fragen. Es würde uns mit McCain besser gehen.
Deutschlandradio Kultur: Sie sagen, dass Europa näher an Amerika rücken wird. Ist es nicht auch so, dass die Amerikaner inzwischen eingesehen haben, dass sie Europa brauchen für die Ziele, die sie in der Welt haben?
Robert Kagan: Die USA wissen, dass sie das nicht im Alleingang schaffen, dass sie Europa brauchen. Das ist ja gar keine Frage. Wir alle sind demokratische Staaten in der Welt. Und die Demokratie wird immer mehr infrage gestellt, herausgefordert. Welche Unterschiede wir auch aufweisen mögen oder in der Vergangenheit hatten, und sie bleiben manchmal sehr tiefgehend, in einem sind wir doch alle einer Meinung: Wir glauben an die Werte der Aufklärung, an die Prinzipien der Demokratie. Wir fangen an, das für selbstverständlich zu halten, weil die sich einfach so durchgesetzt haben. Das ist heute nicht mehr so eindeutig.
Deutschlandradio Kultur: Würde nicht möglicherweise ein Obama die Europäer sogar noch dichter an sich heranholen als McCain, weil er schlussendlich doch mehr der Internationalist ist, mehr noch als McCain, trotz seiner regelmäßigen Besuche bei der Münchner Sicherheitskonferenz?
Robert Kagan: Das wissen Sie genauso gut wie ich. Das kann keiner von uns beiden sicher sagen. Er verfügt nicht über diese internationale Erfahrung, nicht einmal über den Diskurs. Ich kritisiere das nicht, wohlgemerkt, er hat sich in anderen Dingen engagiert.
Deutschlandradio Kultur: Er macht das schon. Er hat zum Beispiel eine ganz klare Haltung zu Verhandlungen mit dem Iran.
Robert Kagan: Wenn Sie das meinen mit Internationalismus, ich hoffe, Sie reduzieren das nicht auf die Frage, ob man mit dem iranischen Präsidenten spricht oder nicht. Wenn Sie meinen, was die beiden gesagt haben, John McCain hat mehr gesagt über die Notwendigkeit multilateralen Vorgehens, damit die USA wieder in das System hineinkommen. Mit dem iranischen Präsidenten zu verhandeln, ist eine andere Frage. Das können wir gerne interessant diskutieren. Aber das würde ich nicht definieren als Internationalismus, ob man mit ihm unter vier Augen spricht oder nicht. Im Übrigen, Obama hat sich auch von dieser Position abgesetzt, war in einer peinlichen Situation, als er sagte, er würde unbedingt mit dem reden und davon abgerückt ist.
Deutschlandradio Kultur: Kommen wir zu Ihrem Buch "Die Wiederkehr der Geschichte" – auf englisch: "The return of History and the end of dreams", "das Ende der Träume". Sie reden da sehr ironisch über den "Softpoweransatz" der Europäer. Unter anderem schreiben Sie: Sie zweifeln daran, dass sie bereit wären, zu einer Messerstecherei auch mit einem Messer anzutreten, also mit der gebotenen militärischen Stärke auf eine militärische Konfrontation zu reagieren. Umgekehrt hat gerade der republikanische Senator Chuck Hagel die amerikanische Politik unter Bush in einem Spiegel-Interview diese Woche kritisiert, dass sie zu oft und zu schnell mit dem Messer antreten und zu wenig auf ihre eigene Softpower setzen. Was meinen Sie dazu?
Robert Kagan: Man kann sich in beide Richtungen irren. Historisch betrachtet waren die Vereinigten Staaten in den letzten 60 Jahren sicherlich immer schneller am Gürtel und haben schneller Militärmacht eingesetzt, weil sie die einfach hatten. Wenn du einen Hammer hast, sieht alles aus wie ein Nagel, sagen die Leute. Und wenn du als Europäer keinen Hammer hast, erkennst du keinen Nagel mehr. Also, da ist Europa vielleicht ein bisschen unterschätzt worden oder hat auch den Einsatz von Militärgewalt unterschätzt. Ich hoffe, wir können voneinander lernen in den nächsten Jahren. In der nächsten Legislaturperiode könnten wir ja voneinander lernen in vielen dieser Fragen.
Meine Sorge, mein Anliegen, wenn ich Europa und Russland betrachte, ist, dass Russland sich nicht so verhält, wie wir das erwartet haben, mehr wie eine Macht aus dem 19. Jahrhundert. Europa steht voll in der Postmoderne des 21. Jahrhunderts. Das hat sich kein Mensch vorgestellt, dass man mit einer Macht des 19. Jahrhunderts würde umgehen müssen. Ich habe auch nicht die richtige Antwort in der Tasche, aber das ist ein Problem für Europa.
Deutschlandradio Kultur: Vielleicht es ist auch eine große Stärke, wenn eine militärische Macht, also der Hammer, der nach den Nägeln schauen kann, darauf ganz bewusst an bestimmten Punkten verzichtet, also letztendlich seinen softeren Ansatz hier und da auch verstärkt. Macht ihn das nicht auch glaubwürdiger, gerade wenn er militärisch zuschlagen kann?
Robert Kagan: Ich glaube schon. Jetzt gut angelegte außenpolitische Politik und Strategie muss ein guter Mix sein von soft und strong. Vielleicht sind die Amerikaner manchmal zu sehr der Hammer und die Europäer vielleicht zu sehr im Softansatz. Was Russland angeht, da geht es nicht um hart, power, da geht es nicht um nackte Gewalt, sondern ich frage: Wie reagieren wir, wenn die Gewalt einsetzen, um z.B. Georgien einzuschüchtern. Das könnte ich ganz leicht beantworten, will ich aber nicht. Das ist eine Herausforderung für Europa und die USA.
Deutschlandradio Kultur: Stimmt das überhaupt noch so? Das ist so ein bisschen das Stereotyp, das sind die soften postmodernen Europäer und da ist der Hammer USA. Wenn man sich Afghanistan beispielsweise anguckt, stellt man doch auch fest, dass es in diesen Stereotypen überhaupt nicht mehr funktioniert. Warum müssen Sie es immer wieder betonen?
Robert Kagan: Sie kommen doch immer wieder darauf. Sie betonen immer diesen Unterschied zwischen Hardpower der USA und Softpower.
Deutschlandradio Kultur: Weil ich es in Ihrem Buch gelesen habe.
Robert Kagan: Gut, ist ja okay, Sie machen das aber ein bisschen schwarz-weiß hier. Das habe ich nie gemacht, sondern immer nur klargestellt, dass Europa natürlich weiterhin Militärgewalt einsetzt, auch in Deutschland. Nur wenn Sie jetzt fragen, Sie haben in den USA gelebt und sind in Europa, ob die Europäer mit größerer Wahrscheinlichkeit Gewalt einsetzen dürften als die Amerikaner, würde ich sagen: Nein, die Amerikaner sind traditionell ein bisschen mehr abgestellt auf Gewalt, auch heute noch und beide politische Kandidaten. Das ist eine andere Kultur auf der Basis einer ganz anderen Geschichte. Die Unterschiede sind ja auch verständlich. Ich glaube nicht, und ich möchte das gerne betonen, keiner hat das Monopol der Wahrheit.
Deutschlandradio Kultur: Bevor wir darüber reden, was wir eigentlich in die Waagschale werfen können, sollten wir uns doch vielleicht auch die Frage stellen: Was haben wir eigentlich, wir westliche Nationen, Amerika und Europa vielleicht gleichermaßen, dazu beigetragen, dass die Autokraten wieder auf dem Vormarsch sind?
Robert Kagan: Ich weiß nicht, was und ob wir was beigetragen haben. Im Falle Chinas hatten wir doch vorwiegend gehofft, dass die wirtschaftliche Entwicklung und der Handel und Wandel unvermeidbar zu einer Öffnung in China führen würden. Aber im Grunde hatten wir doch jede ernsthafte Menschenrechtspolitik aufgegeben und gesagt, nein, kein Druck mehr auf China. Stattdessen haben wir nur noch auf wirtschaftliches Engagement gesetzt. Also, nicht, was wir getan haben, sondern was wir nicht getan haben, hat die Entwicklung bedingt.
In Russland war das sehr kompliziert. Natürlich eine Ablehnung in Russland, das Gefühl, in den 90er Jahren war der Westen zu interventionistisch, hat er sich in die Politik, in die Wirtschaft Russlands eingemischt. Das ist sicher die Auffassung von Putin. Der hat das begünstigt, befördert, war davon überzeugt, der Westen wollte Russlands Schwäche ausnutzen, die Nato nach Osten ausdehnen, Revolutionen in Georgien und der Ukraine unterstützen. Und das wollen sie nicht mehr. Sie wollen jetzt selber wieder eine Rolle spielen. Wenn wir einen Fehler gemacht haben in den letzten Jahren, würde ich sagen, dass wir ihnen das haben durchgehen lassen an jeder Stelle, immer dann, wenn er den demokratischen Raum beschnitten hat.
Deutschlandradio Kultur: Vielleicht war auch der Fehler in den letzten Jahren auf Seiten der USA, darüber diskutieren wir ja gerade im Moment, dass die Werbung, das Marketing für eine demokratische Kultur einfach zu schlecht funktioniert hat. Wie will man für Menschenrechte argumentieren, wenn man selber Folter auf dem Kerbholz hat, wenn man Abu Ghraib und Guantanamo zu verantworten hat, wenn man eine gewählte Regierung, die Hamas-Regierung in den palästinensischen Gebieten, nicht als Gesprächspartner annehmen will, wenn man auf der anderen Seite mit Saudi Arabien, einem mittelalterlichen System, und Pakistan umgeht, wie kann man dann noch mit Fug und Recht den demokratischen Gedanken tatsächlich auch noch verkaufen?
Robert Kagan: Das waren jetzt gerade acht Fragen, wenn ich richtig gezählt habe. Ich versuche sie nacheinander abzuarbeiten. Also, keine Frage, erstens, wenn das Image der führenden Demokratien der Welt verschlechtert ist, dann hat das Auswirkungen auf die Demokratie - nicht so viel, wie Sie sagen. Entweder wir glauben, dass die Menschen ein natürliches menschliches Streben aufweisen nach bestimmten Rechten, die auch eingehalten werden durch die Regierung, oder wir glauben nicht daran. Den Leuten ist es egal, wie die aussehen. Die wollen das durchsetzen. Meine Annahme ist, ja, so ist es.
Aber es beschädigt natürlich die Sache der Demokratie, wenn man Autokratien unterstützt. Alle haben wir das getan, besonders eben auch Europa, auch ihr tut das hier. Wenn Sie wissen wollen, was die Russen wirklich sauer gemacht hat, da war das der Krieg im Kosovo. Das hat sie genervt. Das war für sie eine Erniedrigung. Das haben Deutschland und die USA begeistert unterstützt und alle europäischen Regierungen. Heißt das, wir hätten nicht im Kosovo intervenieren dürfen? Keinesfalls! Also, da gibt es jede Menge Gründe, warum die Demokratie gelitten hat in Russland.
Einverstanden, die Demokratie braucht ein gutes Image und sie muss konsistent sein, beständig, wie nur möglich, wissend, dass wir nie perfekt sein werden.
Deutschlandradio Kultur: Nicht perfekt reicht mir in dem Fall nicht. Da gibt es einfach zu viele Dinge, wo der außenstehende Autokrat einfach sagen kann: Wenn ich euch da beim Wort nehmen würde, dann müsstet ihr euch auch entsprechend verhalten. Ich kann nicht foltern unter dem Motto, manchmal sind unmoralische Dinge auch nötig, um etwas Moralisches durchzusetzen, wie Sie an einer Stelle in Ihrem Buch sagen. Das funktioniert einfach nicht. Da ist einfach nur Unglaubwürdigkeit an so einem Punkt.
Robert Kagan: Ich unterschreibe alles, was Sie über die Folter sagen. Deswegen halte ich das für so wichtig, dass der nächste Präsident – und John McCain ist da festgelegt – das endlich auslöscht. Das geht nicht mehr. Das ist nicht hinzunehmen. Das ist auch sehr schädlich. Aber noch einmal: Ich möchte einfach dieses Konzept nicht akzeptieren, dass der einzige Grund, aus dem die Menschen Demokratie wollen, der ist, dass sie auf die Vereinigten Staaten schauen und sagen, ich mag die oder ich mag die nicht. Nein, die Leute haben einen tief sitzenden natürlichen Wunsch nach der Achtung politischer Rechte, den wir in den Vereinigten Staaten und in Europa, in Deutschland einfach haben.
Deutschlandradio Kultur: Es gibt ja die Theorie, die ja mal mit dem Irak-Krieg verbunden wurde und auch als ein Argument von den Idealisten, jedenfalls die die am Anfang hinter ihm standen, verwendet wurde, dass man gesagt hat, das ist unser Dominostein in der Region im Nahen Osten oder Mittleren Osten, wie Sie sagen würden. Funktioniert die Demokratie in Irak, dann werden wir nach und nach die ganzen kleinen und größeren Steinchen in der Region dazu bekommen, diesem Vorbild zu folgen. Wie sehen Sie das heute?
Robert Kagan: Ich glaube, dafür haben wir noch kein ausreichend leuchtendes Beispiel für Demokratie im Irak gesehen, um darüber urteilen zu können. Nur, haben erfolgreiche Demokratien in den Nachbarländern irgendwelche Auswirkungen auf die Nachbarländer? In Europa sieht man das, dort unten noch nicht, keine Frage. Der Erfolg der Demokratie in Europa wirkt sich doch aus auf Zeit auf die demokratischen Abläufe in der Ukraine, in Georgien oder in der Türkei aus. Also, die Überlegung, dass es dieses Dominoprinzip geben könnte, ist doch nicht verkehrt.
Wir müssen uns nur anschauen, ob der Irak tatsächlich das leisten kann und dass dann auch andere im Nahen Osten folgen wollen. Im Augenblick, würde ich sagen, die Chance besteht, dass der Irak aufsteht nach diesem Desaster, als ein Vorbild für Demokratie in der Region, aber nicht nur für Demokratie, sondern vielleicht auch für grenzüberschreitendes Sich-Einigen.
Deutschlandradio Kultur: Was macht Sie da so optimistisch? Im Moment ist es ja eher so, dass der Terror, der vielleicht ursprünglich nicht aus dem Irak kam, nur finanziell unterstützt wurde, was schlimm genug ist, aber dass der Terror im Land selbst gedeiht, wie er es im Moment tut, und dann natürlich auch Funken in der Region sprüht, die jederzeit zur Explosion führen können.
Robert Kagan: Das ist eine interessante Frage, aber ich glaube, das stimmt mit den Tatsachen nicht überein. Der Terrorismus ist sehr zurückgedrängt. Das brauchen Sie nicht mir zu glauben. Nehmen Sie die Zahlen. Nehmen sie Kouchner, den französischen Außenminister, der in Bagdad war und sagte, "Mensch, was haben die Dinge sich verbessert", auch ganz viel im Hinblick auf die Anzahl der terroristischen Übergriffe. Es ging lange sehr, sehr schlecht im Irak, auch aufgrund der militärischen Strategie und der Fehler, die dabei gemacht wurden, auch im Hinblick auf die Funktionsweisen dort. Aber verschließen wir nicht die Augen. Wenn sich etwas wirklich verbessert, dann müssen wir das auch anerkennen und auch sehen. Ich glaube ganz ehrlich, wenn der französische Außenminister das kann, dann können wir das auch.
Deutschlandradio Kultur: Ich will dem französischen Außenminister natürlich nicht widersprechen, aber wir könnten dann unseren Blick auf Afghanistan wenden. Dann müssten wir feststellen, dass es da weiß Gott nicht besser aussieht, sondern dass da der Terror zunimmt, und zwar auch nachweislich und zählbar.
Robert Kagan: Afghanistan ist sicher ein anhaltendes Problem. Das größte Problem ist, ich sage es gern noch einmal, dass es von vornherein nicht genug Soldaten gab. Da war ich von Anfang an nicht mit der Meinung der amerikanischen Strategie einverstanden, weil die sagte, wir brauchen nicht so viele Soldaten. Das führte dann zu Aufständen. Die Taliban wurden wieder stärker, kamen zurück usw. Das waren anfängliche Fehler. Und ganz viele Amerikaner haben dann zu den Europäern gesagt, ihr hättet das lösen müssen. Aber ursprünglich war das Problem
Deutschlandradio Kultur: Kommen wir doch mal von der Frage, was wir falsch gemacht haben und wo wir es falsch gemacht haben, zu der Frage, wie wir es denn künftig gemeinsam besser machen können. Da haben Sie in Ihrem Buch eine Idee propagiert, die ein Bund der Demokratien, "An Alliance of democracy" ist. Sie schreiben da: "Die Demokratien müssen sich zusammentun, um die Geschichte zu gestalten. Sonst werden andere es für sie tun. Und unter den anderen dürfen wir getrost Russland und China verstehen und ähnliche Autokraten, die derzeit rund um die Welt auftrumpfen." Wie hätte denn so eine Allianz der Demokratien auszusehen? Wonach bestimmt sich eigentlich, was eine Demokratie ist, wer sozusagen in den Club darf und wer draußen bleiben muss?
Robert Kagan: Die Frage höre ich von Europäern nicht zum ersten Mal. Ich muss immer darüber lachen, denn der exklusivste demokratische Club der Welt ist doch die Europäische Union. Ihr lasst doch kein Land rein, das nicht sehr, sehr hohe Normen in Sachen Demokratie erfüllt. Ich habe mit einem hohen französischen Beamten neulich darüber gesprochen. Während dieses Gesprächs sagte er: Klar, wir haben eine lange Liste von Kriterien und Kategorien, die zu erfüllen sind. Da habe ich gesagt, prima, dann nehme ich mal euren Aufnahmebogen für die EU und mache daraus den Aufnahmebogen für weltweite Demokratien. Natürlich muss beurteilt werden, abgewogen werden. Natürlich gibt es Länder, die mal Demokratien sind und im nächsten Jahr nicht. Das wissen wir doch alle. Aber wenn die Europäische Union das kann, so zu urteilen, dann denke ich, dass auch ein Club der Demokratien, einschließlich der EU, das auch können muss.
Sie sprachen vorher kurz an, nicht mit der Hamas, der gewählten Regierung reden zu wollen. Aber nehmen Sie mal an, in Österreich soll aus Ihrer Sicht die falsche Regierung gewählt werden. Dann kommt sofort Österreich in Quarantäne oder zumindest unter die Drohung von Quarantäne. Das kommt immer wieder vor. Damit müssen Demokratien auch umgehen können.
Deutschlandradio Kultur: Fairer Punkt. Was wäre der Mehrwert so einer League of Democratic Nations? Wir haben die UNO, wir haben Nato, wir haben G8, wir haben die EU. Was wäre der Punkt, wo man dann nicht hauptsächlich die Befürchtung haben würde, so eine Art Neben-UNO zu werden, wo die Amerikaner mehr Einfluss haben als in der existierenden UNO?
Robert Kagan: Also, das wird’s ja nicht geben. Da zweifle ich dran. Aber Sie haben es falsch angesprochen. Denn es gibt ja schon eine oder sogar zwei Ligen, die Nato und die EU. Mein einziger Punkt ist der, das widerspiegelt nicht voll umfänglich die Realität des 21. Jahrhunderts. Der transatlantische Raum ist nicht der einzige für Demokratien heute. Nehmen Sie Brasilien, nehmen Sie Japan, Indien hat eine Demokratie, Australien. Ich frage, ob eine internationale Organisation nicht das Spiegelbild der internationalen Realität sein sollte. Das wäre ja prima, wenn der Sicherheitsrat auch ausgedehnt würde, um diese Realität widerzuspiegeln. Immer dieses Veto von wenigen Mitgliedern, das ist doch archaisch. Warum sind Indien, Japan, Brasilien nicht im Sicherheitsrat?
Deutschlandradio Kultur: Und Sie glauben, dass dann eine solche Liga der demokratischen Staaten eine gemeinsame politische Agenda hätte? Ich meine, wie unterschiedlich Einschätzungen sein können, auch zwischen demokratischen, befreundeten, schwesterlichen Staaten, hat man doch am Irakkrieg gesehen.
Robert Kagan: Natürlich, da haben Sie ja Recht. Wir müssen uns diesen Unterschieden auch stellen. Ich sage Ihnen etwas: Einer der Gründe, aus denen ich für eine solche Liga der Demokratien bin, ist einfach, dass sie die Vereinigten Staaten einbetten könnten in eine Institution, wo sie geneigter wären, auch die Entscheidungen und die Wünsche der Kollegen zu respektieren.
Was ich in Europa höre, ist diese Angst, das ist eine US-dominierte Organisation, aber es könnte beides sein. Es könnte ineffizient sein und sehr effizient. Ich habe einen sehr bescheidenen Ehrgeiz für eine solche Liga für Demokratie. Ich würde das schön finden, wenn im internationalen System zwischen den vielen bestehenden Organisationen, wie Sie sagen, eine Gruppe reicher Nationen, armer Nationen, die islamische Konferenz usw., Eines haben wir nicht, eine internationale Gruppe außerhalb Europas, wo Demokratien sich treffen können. Da kann es keine Liga der Demokratien geben, wenn die Regierungen das nicht wollen. Das können die Vereinigten Staaten nicht oktroyieren.
Deutschlandradio Kultur: Nicht jede Demokratie ist bereit, sich in einen solchen Club einbinden zu lassen die ganze Zeit. Das andere Gegenbeispiel, und das Problem haben wir genauso wie die Amerikaner, gelegentlich muss man eben auch mit Autokratien zusammenarbeiten, so wie Saudi Arabien, um Schlimmeres zu verhindern. Das nennt man gewöhnlich "Realpolitik". Auch der idealistische Staat, auch die idealistische Regierung muss so was tun.
Robert Kagan: Schon wieder so ein ganzes Bombardement von Aussagen und Fragen. Ich gebe mal wieder mein Bestes.
Eine Liga der Demokratie heißt ja nicht, dass wir nicht mehr mit Autokratien reden, im Gegenteil. Also, das ist nicht das Schlüsselproblem. Was die Staaten angeht, die nicht übereinstimmen, Sie haben die Welt beschrieben, wie sie aussieht: Wir haben bereits ein Indien, das tut, was es möchte, eine Türkei, die Maßnahmen ergreift, die ihr gefallen. Wird eine Liga der Demokratien das schlimmer machen? Ich würde eher hoffen, sie könnte das verbessern.
Ich frage mich, ob eine eindeutigere internationale Institution von Demokratien nicht dazu beitragen könnte, Länder wie Indien dazu zu bewegen, mehr wie Demokratien zu denken, nicht wie eine regionale Großmacht. Ich garantiere das nicht, aber ich halte das für möglich. Deswegen sehe ich also nicht, warum eine solche Liga schaden könnte.
Deutschlandradio Kultur: Zum Schluss noch die schlimmste Frage, die man einem politischen Analysten überhaupt stellen kann: Was war Ihr größter Irrtum der letzten Jahre?
Robert Kagan: Die Frage mag ich wirklich nicht, erstens, weil ich antworten muss, und zweitens, weil nie einer zufrieden ist mit meinen Antworten, weil ich nie das sage, was sie hören wollen.
Ich könnte jetzt sagen, gut, der eine oder andere ist immer wieder weggekommen, jemand, der sich für den Irakkrieg ausgesprochen hat. Ich könnte dann sagen, ich hätte nie gedacht, dass die das so schlecht machen. Ich habe es nicht so deutlich gesagt, aber ich muss schon sagen: Für mich war das eine große Überraschung, dass diese Regierung nicht erkannt hat, was viele von uns von Vornherein gesagt haben. Wir sagten: Er braucht zwei- bis dreihunderttausend Soldaten, um da eine Stabilität im Irak zu erzeugen. Ihr habt keine Alternative, ihr müsst die hinschicken. Dass die Regierung das nicht erkannt hat, verstehe ich nicht.
Oder: Wie die meisten Amerikaner würde ich sagen, ich habe das nicht ganz erkannt, in welchem Maße sich die Welt wirklich verändert hatte. So sehr, dass die Haltung Europas gegenüber den Vereinigten Staaten tatsächlich völlig einbricht unter diesem Druck, das hätte ich nie gedacht.
Ich sage Ihnen, warum ich das sage: Die Vereinigten Staaten haben sich aus europäischer Sicht schlecht verhalten. Nehmen Sie Vietnam, so umstritten, wie der Irakkrieg, wenn nicht noch mehr in Europa, wo Millionen auf die Straße gingen gegen den Vietnamkrieg. Und Amerika war in den ausgehenden 60ern bis zu den 70ern Nixons Amerika, die Ermordung von Bob Kennedy und Luther King. Trotzdem haben wir das transatlantische Bündnis nie bedroht oder verraten. Warum? Weil Europa viel mehr Toleranz hatte für die Missetaten der Vereinigten Staaten als man das Gefühl hatte, ja, wir brauchen sie auch.
Der größte Unterschied zwischen heute und damals ist der: Nach dem Kalten Krieg hat Europa nicht mehr gedacht, sie brauchen die Amerikaner. Die Toleranz ist gesunken. Nicht, weil nach wunderschönen Zeiten, wo Amerika so toll war, es plötzlich jetzt Fehler machte, sondern – ich glaube – die Toleranz der Europäer ist zurückgegangen.
Deutschlandradio Kultur: Ich gebe Ihnen zum Schluss die Chance, noch einen echten Fehler zu machen. Nur ein Name, wer wird US-Präsident? Nicht, wen wollen Sie, sondern wer wird es Ihrer Einschätzung nach?
Robert Kagan: 2000 habe ich keinen Fehler gemacht. Ich habe Bush nicht gewählt. Na ja, das wird ein enges Rennen, ein Kopf-an-Kopf-Rennen. Kann sein, dass Barack Obama etwas offengelegt hat oder Clinton dazu geholfen hat, was an Schwächen bei McCain zu sehen ist. Und vielleicht wird sich das später dann an ihm rächen, wenn er Präsident ist.
Deutschlandradio Kultur: Okay, vielen Dank für das Gespräch.
Robert Kagan: Mir gefällt so vieles hier, allein das Essen, die Menschen, die Geschichte, die Kultur. Meine Kinder haben so viel gelernt hier. Sie haben ganz tolle, nicht sehr amerikanische Erfahrungen hier in Europa gemacht. Was mir fehlt, sind Läden, die dauernd offen sind. Das fehlt mir am meisten. In den Staaten kannst du alles zu jedem Zeitpunkt überall kaufen.
Deutschlandradio Kultur: Das war die nette Frage. Jetzt kommen die unfreundlicheren Fragen. Herr Kagan, Sie wissen, dass unter George W. Bush die Welt eine andere geworden ist. Kaum einer wird wahrscheinlich noch sagen wollen heute, eine sicherere oder eine bessere. Wer könnte Ihrer Meinung nach als US-Präsident eher etwas kitten, Obama oder McCain?
Robert Kagan: Ich glaube, beide werden sich bemühen, das Image Amerikas zu verbessern. Sie kennen beide die Schäden, die eingetreten sind. Sie werden beide versuchen, das zu verbessern. Ich kann nur für McCain reden. Ich weiß, wie engagiert er ist, wie sehr er möchte, dass Amerika wieder in das Weltsystem hineinkommt, multilaterales Wirken. Er hat Reden gehalten über die Notwendigkeit, nun auch den Atomwaffensperrvertrag weiterzuentwickeln. Er möchte amerikanische Praktiken im Bereich Folter beenden und – für Sie vielleicht am Wichtigsten – er möchte, dass Amerika wieder Führung übernimmt, gerade in Fragen wie der Klimaveränderung. "Amerika soll ein guter Bürger sein." Das sagt er immer wieder. Ich glaube, das wird er vertreten.
Deutschlandradio Kultur: Sie sind einer der Berater von McCain. Trotzdem treffen da zwei völlig unterschiedliche Typen, fast zwei Kulturen aufeinander. Da ist einmal mit McCain der Patriot, Soldat und Pflichtmensch und mit Obama eher der Prediger, der Bürger, der Visionär. Wer kann eher Brücken bauen?
Robert Kagan: Wie poetisch das klingt, was Sie sagen. Ich glaube, beide sind gute Brückenbauer. Egal, wer gewählt wird, die Menschen in Europa sollten nicht erwarten, dass die amerikanische Außenpolitik sich um 180° ändert. Wir haben eine sehr lange Tradition der Überzeugung von unserer eigenen Aufgabe, der Bedeutung amerikanischer Macht. Das sehen Sie bei beiden Kandidaten. Ich habe mir sehr sorgfältig auch Obama angesehen, seine Reden. Er spricht auch davon, dass die Amerikaner wieder Führer der freien Welt werden sollen. Das habe ich lange nicht mehr gehört. Und er spricht darüber, wie wichtig es ist für die Staaten, dass wir ein starkes Militär haben in der Welt. Wir geben eine halbe Billion Dollar aus für Verteidigungsmaßnahmen und er spricht nicht von Kürzungen. Also, erwarten Sie keine enorme Änderung des Kurses der Außenpolitik – bei keinem der beiden.
Ich würde nur eines sagen, und ich stehe McCain etwas näher, dass er viel mehr Erfahrung hat in Weltangelegenheiten. Er war jedes Jahr in Deutschland, war dauernd in München bei der Sicherheitskonferenz usw. Er ist sehr engagiert in den internationalen Angelegenheiten. Er ist ein sehr unabhängiger Mann. Er kritisiert auch Bush in zahlreichen Fragen. Es würde uns mit McCain besser gehen.
Deutschlandradio Kultur: Sie sagen, dass Europa näher an Amerika rücken wird. Ist es nicht auch so, dass die Amerikaner inzwischen eingesehen haben, dass sie Europa brauchen für die Ziele, die sie in der Welt haben?
Robert Kagan: Die USA wissen, dass sie das nicht im Alleingang schaffen, dass sie Europa brauchen. Das ist ja gar keine Frage. Wir alle sind demokratische Staaten in der Welt. Und die Demokratie wird immer mehr infrage gestellt, herausgefordert. Welche Unterschiede wir auch aufweisen mögen oder in der Vergangenheit hatten, und sie bleiben manchmal sehr tiefgehend, in einem sind wir doch alle einer Meinung: Wir glauben an die Werte der Aufklärung, an die Prinzipien der Demokratie. Wir fangen an, das für selbstverständlich zu halten, weil die sich einfach so durchgesetzt haben. Das ist heute nicht mehr so eindeutig.
Deutschlandradio Kultur: Würde nicht möglicherweise ein Obama die Europäer sogar noch dichter an sich heranholen als McCain, weil er schlussendlich doch mehr der Internationalist ist, mehr noch als McCain, trotz seiner regelmäßigen Besuche bei der Münchner Sicherheitskonferenz?
Robert Kagan: Das wissen Sie genauso gut wie ich. Das kann keiner von uns beiden sicher sagen. Er verfügt nicht über diese internationale Erfahrung, nicht einmal über den Diskurs. Ich kritisiere das nicht, wohlgemerkt, er hat sich in anderen Dingen engagiert.
Deutschlandradio Kultur: Er macht das schon. Er hat zum Beispiel eine ganz klare Haltung zu Verhandlungen mit dem Iran.
Robert Kagan: Wenn Sie das meinen mit Internationalismus, ich hoffe, Sie reduzieren das nicht auf die Frage, ob man mit dem iranischen Präsidenten spricht oder nicht. Wenn Sie meinen, was die beiden gesagt haben, John McCain hat mehr gesagt über die Notwendigkeit multilateralen Vorgehens, damit die USA wieder in das System hineinkommen. Mit dem iranischen Präsidenten zu verhandeln, ist eine andere Frage. Das können wir gerne interessant diskutieren. Aber das würde ich nicht definieren als Internationalismus, ob man mit ihm unter vier Augen spricht oder nicht. Im Übrigen, Obama hat sich auch von dieser Position abgesetzt, war in einer peinlichen Situation, als er sagte, er würde unbedingt mit dem reden und davon abgerückt ist.
Deutschlandradio Kultur: Kommen wir zu Ihrem Buch "Die Wiederkehr der Geschichte" – auf englisch: "The return of History and the end of dreams", "das Ende der Träume". Sie reden da sehr ironisch über den "Softpoweransatz" der Europäer. Unter anderem schreiben Sie: Sie zweifeln daran, dass sie bereit wären, zu einer Messerstecherei auch mit einem Messer anzutreten, also mit der gebotenen militärischen Stärke auf eine militärische Konfrontation zu reagieren. Umgekehrt hat gerade der republikanische Senator Chuck Hagel die amerikanische Politik unter Bush in einem Spiegel-Interview diese Woche kritisiert, dass sie zu oft und zu schnell mit dem Messer antreten und zu wenig auf ihre eigene Softpower setzen. Was meinen Sie dazu?
Robert Kagan: Man kann sich in beide Richtungen irren. Historisch betrachtet waren die Vereinigten Staaten in den letzten 60 Jahren sicherlich immer schneller am Gürtel und haben schneller Militärmacht eingesetzt, weil sie die einfach hatten. Wenn du einen Hammer hast, sieht alles aus wie ein Nagel, sagen die Leute. Und wenn du als Europäer keinen Hammer hast, erkennst du keinen Nagel mehr. Also, da ist Europa vielleicht ein bisschen unterschätzt worden oder hat auch den Einsatz von Militärgewalt unterschätzt. Ich hoffe, wir können voneinander lernen in den nächsten Jahren. In der nächsten Legislaturperiode könnten wir ja voneinander lernen in vielen dieser Fragen.
Meine Sorge, mein Anliegen, wenn ich Europa und Russland betrachte, ist, dass Russland sich nicht so verhält, wie wir das erwartet haben, mehr wie eine Macht aus dem 19. Jahrhundert. Europa steht voll in der Postmoderne des 21. Jahrhunderts. Das hat sich kein Mensch vorgestellt, dass man mit einer Macht des 19. Jahrhunderts würde umgehen müssen. Ich habe auch nicht die richtige Antwort in der Tasche, aber das ist ein Problem für Europa.
Deutschlandradio Kultur: Vielleicht es ist auch eine große Stärke, wenn eine militärische Macht, also der Hammer, der nach den Nägeln schauen kann, darauf ganz bewusst an bestimmten Punkten verzichtet, also letztendlich seinen softeren Ansatz hier und da auch verstärkt. Macht ihn das nicht auch glaubwürdiger, gerade wenn er militärisch zuschlagen kann?
Robert Kagan: Ich glaube schon. Jetzt gut angelegte außenpolitische Politik und Strategie muss ein guter Mix sein von soft und strong. Vielleicht sind die Amerikaner manchmal zu sehr der Hammer und die Europäer vielleicht zu sehr im Softansatz. Was Russland angeht, da geht es nicht um hart, power, da geht es nicht um nackte Gewalt, sondern ich frage: Wie reagieren wir, wenn die Gewalt einsetzen, um z.B. Georgien einzuschüchtern. Das könnte ich ganz leicht beantworten, will ich aber nicht. Das ist eine Herausforderung für Europa und die USA.
Deutschlandradio Kultur: Stimmt das überhaupt noch so? Das ist so ein bisschen das Stereotyp, das sind die soften postmodernen Europäer und da ist der Hammer USA. Wenn man sich Afghanistan beispielsweise anguckt, stellt man doch auch fest, dass es in diesen Stereotypen überhaupt nicht mehr funktioniert. Warum müssen Sie es immer wieder betonen?
Robert Kagan: Sie kommen doch immer wieder darauf. Sie betonen immer diesen Unterschied zwischen Hardpower der USA und Softpower.
Deutschlandradio Kultur: Weil ich es in Ihrem Buch gelesen habe.
Robert Kagan: Gut, ist ja okay, Sie machen das aber ein bisschen schwarz-weiß hier. Das habe ich nie gemacht, sondern immer nur klargestellt, dass Europa natürlich weiterhin Militärgewalt einsetzt, auch in Deutschland. Nur wenn Sie jetzt fragen, Sie haben in den USA gelebt und sind in Europa, ob die Europäer mit größerer Wahrscheinlichkeit Gewalt einsetzen dürften als die Amerikaner, würde ich sagen: Nein, die Amerikaner sind traditionell ein bisschen mehr abgestellt auf Gewalt, auch heute noch und beide politische Kandidaten. Das ist eine andere Kultur auf der Basis einer ganz anderen Geschichte. Die Unterschiede sind ja auch verständlich. Ich glaube nicht, und ich möchte das gerne betonen, keiner hat das Monopol der Wahrheit.
Deutschlandradio Kultur: Bevor wir darüber reden, was wir eigentlich in die Waagschale werfen können, sollten wir uns doch vielleicht auch die Frage stellen: Was haben wir eigentlich, wir westliche Nationen, Amerika und Europa vielleicht gleichermaßen, dazu beigetragen, dass die Autokraten wieder auf dem Vormarsch sind?
Robert Kagan: Ich weiß nicht, was und ob wir was beigetragen haben. Im Falle Chinas hatten wir doch vorwiegend gehofft, dass die wirtschaftliche Entwicklung und der Handel und Wandel unvermeidbar zu einer Öffnung in China führen würden. Aber im Grunde hatten wir doch jede ernsthafte Menschenrechtspolitik aufgegeben und gesagt, nein, kein Druck mehr auf China. Stattdessen haben wir nur noch auf wirtschaftliches Engagement gesetzt. Also, nicht, was wir getan haben, sondern was wir nicht getan haben, hat die Entwicklung bedingt.
In Russland war das sehr kompliziert. Natürlich eine Ablehnung in Russland, das Gefühl, in den 90er Jahren war der Westen zu interventionistisch, hat er sich in die Politik, in die Wirtschaft Russlands eingemischt. Das ist sicher die Auffassung von Putin. Der hat das begünstigt, befördert, war davon überzeugt, der Westen wollte Russlands Schwäche ausnutzen, die Nato nach Osten ausdehnen, Revolutionen in Georgien und der Ukraine unterstützen. Und das wollen sie nicht mehr. Sie wollen jetzt selber wieder eine Rolle spielen. Wenn wir einen Fehler gemacht haben in den letzten Jahren, würde ich sagen, dass wir ihnen das haben durchgehen lassen an jeder Stelle, immer dann, wenn er den demokratischen Raum beschnitten hat.
Deutschlandradio Kultur: Vielleicht war auch der Fehler in den letzten Jahren auf Seiten der USA, darüber diskutieren wir ja gerade im Moment, dass die Werbung, das Marketing für eine demokratische Kultur einfach zu schlecht funktioniert hat. Wie will man für Menschenrechte argumentieren, wenn man selber Folter auf dem Kerbholz hat, wenn man Abu Ghraib und Guantanamo zu verantworten hat, wenn man eine gewählte Regierung, die Hamas-Regierung in den palästinensischen Gebieten, nicht als Gesprächspartner annehmen will, wenn man auf der anderen Seite mit Saudi Arabien, einem mittelalterlichen System, und Pakistan umgeht, wie kann man dann noch mit Fug und Recht den demokratischen Gedanken tatsächlich auch noch verkaufen?
Robert Kagan: Das waren jetzt gerade acht Fragen, wenn ich richtig gezählt habe. Ich versuche sie nacheinander abzuarbeiten. Also, keine Frage, erstens, wenn das Image der führenden Demokratien der Welt verschlechtert ist, dann hat das Auswirkungen auf die Demokratie - nicht so viel, wie Sie sagen. Entweder wir glauben, dass die Menschen ein natürliches menschliches Streben aufweisen nach bestimmten Rechten, die auch eingehalten werden durch die Regierung, oder wir glauben nicht daran. Den Leuten ist es egal, wie die aussehen. Die wollen das durchsetzen. Meine Annahme ist, ja, so ist es.
Aber es beschädigt natürlich die Sache der Demokratie, wenn man Autokratien unterstützt. Alle haben wir das getan, besonders eben auch Europa, auch ihr tut das hier. Wenn Sie wissen wollen, was die Russen wirklich sauer gemacht hat, da war das der Krieg im Kosovo. Das hat sie genervt. Das war für sie eine Erniedrigung. Das haben Deutschland und die USA begeistert unterstützt und alle europäischen Regierungen. Heißt das, wir hätten nicht im Kosovo intervenieren dürfen? Keinesfalls! Also, da gibt es jede Menge Gründe, warum die Demokratie gelitten hat in Russland.
Einverstanden, die Demokratie braucht ein gutes Image und sie muss konsistent sein, beständig, wie nur möglich, wissend, dass wir nie perfekt sein werden.
Deutschlandradio Kultur: Nicht perfekt reicht mir in dem Fall nicht. Da gibt es einfach zu viele Dinge, wo der außenstehende Autokrat einfach sagen kann: Wenn ich euch da beim Wort nehmen würde, dann müsstet ihr euch auch entsprechend verhalten. Ich kann nicht foltern unter dem Motto, manchmal sind unmoralische Dinge auch nötig, um etwas Moralisches durchzusetzen, wie Sie an einer Stelle in Ihrem Buch sagen. Das funktioniert einfach nicht. Da ist einfach nur Unglaubwürdigkeit an so einem Punkt.
Robert Kagan: Ich unterschreibe alles, was Sie über die Folter sagen. Deswegen halte ich das für so wichtig, dass der nächste Präsident – und John McCain ist da festgelegt – das endlich auslöscht. Das geht nicht mehr. Das ist nicht hinzunehmen. Das ist auch sehr schädlich. Aber noch einmal: Ich möchte einfach dieses Konzept nicht akzeptieren, dass der einzige Grund, aus dem die Menschen Demokratie wollen, der ist, dass sie auf die Vereinigten Staaten schauen und sagen, ich mag die oder ich mag die nicht. Nein, die Leute haben einen tief sitzenden natürlichen Wunsch nach der Achtung politischer Rechte, den wir in den Vereinigten Staaten und in Europa, in Deutschland einfach haben.
Deutschlandradio Kultur: Es gibt ja die Theorie, die ja mal mit dem Irak-Krieg verbunden wurde und auch als ein Argument von den Idealisten, jedenfalls die die am Anfang hinter ihm standen, verwendet wurde, dass man gesagt hat, das ist unser Dominostein in der Region im Nahen Osten oder Mittleren Osten, wie Sie sagen würden. Funktioniert die Demokratie in Irak, dann werden wir nach und nach die ganzen kleinen und größeren Steinchen in der Region dazu bekommen, diesem Vorbild zu folgen. Wie sehen Sie das heute?
Robert Kagan: Ich glaube, dafür haben wir noch kein ausreichend leuchtendes Beispiel für Demokratie im Irak gesehen, um darüber urteilen zu können. Nur, haben erfolgreiche Demokratien in den Nachbarländern irgendwelche Auswirkungen auf die Nachbarländer? In Europa sieht man das, dort unten noch nicht, keine Frage. Der Erfolg der Demokratie in Europa wirkt sich doch aus auf Zeit auf die demokratischen Abläufe in der Ukraine, in Georgien oder in der Türkei aus. Also, die Überlegung, dass es dieses Dominoprinzip geben könnte, ist doch nicht verkehrt.
Wir müssen uns nur anschauen, ob der Irak tatsächlich das leisten kann und dass dann auch andere im Nahen Osten folgen wollen. Im Augenblick, würde ich sagen, die Chance besteht, dass der Irak aufsteht nach diesem Desaster, als ein Vorbild für Demokratie in der Region, aber nicht nur für Demokratie, sondern vielleicht auch für grenzüberschreitendes Sich-Einigen.
Deutschlandradio Kultur: Was macht Sie da so optimistisch? Im Moment ist es ja eher so, dass der Terror, der vielleicht ursprünglich nicht aus dem Irak kam, nur finanziell unterstützt wurde, was schlimm genug ist, aber dass der Terror im Land selbst gedeiht, wie er es im Moment tut, und dann natürlich auch Funken in der Region sprüht, die jederzeit zur Explosion führen können.
Robert Kagan: Das ist eine interessante Frage, aber ich glaube, das stimmt mit den Tatsachen nicht überein. Der Terrorismus ist sehr zurückgedrängt. Das brauchen Sie nicht mir zu glauben. Nehmen Sie die Zahlen. Nehmen sie Kouchner, den französischen Außenminister, der in Bagdad war und sagte, "Mensch, was haben die Dinge sich verbessert", auch ganz viel im Hinblick auf die Anzahl der terroristischen Übergriffe. Es ging lange sehr, sehr schlecht im Irak, auch aufgrund der militärischen Strategie und der Fehler, die dabei gemacht wurden, auch im Hinblick auf die Funktionsweisen dort. Aber verschließen wir nicht die Augen. Wenn sich etwas wirklich verbessert, dann müssen wir das auch anerkennen und auch sehen. Ich glaube ganz ehrlich, wenn der französische Außenminister das kann, dann können wir das auch.
Deutschlandradio Kultur: Ich will dem französischen Außenminister natürlich nicht widersprechen, aber wir könnten dann unseren Blick auf Afghanistan wenden. Dann müssten wir feststellen, dass es da weiß Gott nicht besser aussieht, sondern dass da der Terror zunimmt, und zwar auch nachweislich und zählbar.
Robert Kagan: Afghanistan ist sicher ein anhaltendes Problem. Das größte Problem ist, ich sage es gern noch einmal, dass es von vornherein nicht genug Soldaten gab. Da war ich von Anfang an nicht mit der Meinung der amerikanischen Strategie einverstanden, weil die sagte, wir brauchen nicht so viele Soldaten. Das führte dann zu Aufständen. Die Taliban wurden wieder stärker, kamen zurück usw. Das waren anfängliche Fehler. Und ganz viele Amerikaner haben dann zu den Europäern gesagt, ihr hättet das lösen müssen. Aber ursprünglich war das Problem
Deutschlandradio Kultur: Kommen wir doch mal von der Frage, was wir falsch gemacht haben und wo wir es falsch gemacht haben, zu der Frage, wie wir es denn künftig gemeinsam besser machen können. Da haben Sie in Ihrem Buch eine Idee propagiert, die ein Bund der Demokratien, "An Alliance of democracy" ist. Sie schreiben da: "Die Demokratien müssen sich zusammentun, um die Geschichte zu gestalten. Sonst werden andere es für sie tun. Und unter den anderen dürfen wir getrost Russland und China verstehen und ähnliche Autokraten, die derzeit rund um die Welt auftrumpfen." Wie hätte denn so eine Allianz der Demokratien auszusehen? Wonach bestimmt sich eigentlich, was eine Demokratie ist, wer sozusagen in den Club darf und wer draußen bleiben muss?
Robert Kagan: Die Frage höre ich von Europäern nicht zum ersten Mal. Ich muss immer darüber lachen, denn der exklusivste demokratische Club der Welt ist doch die Europäische Union. Ihr lasst doch kein Land rein, das nicht sehr, sehr hohe Normen in Sachen Demokratie erfüllt. Ich habe mit einem hohen französischen Beamten neulich darüber gesprochen. Während dieses Gesprächs sagte er: Klar, wir haben eine lange Liste von Kriterien und Kategorien, die zu erfüllen sind. Da habe ich gesagt, prima, dann nehme ich mal euren Aufnahmebogen für die EU und mache daraus den Aufnahmebogen für weltweite Demokratien. Natürlich muss beurteilt werden, abgewogen werden. Natürlich gibt es Länder, die mal Demokratien sind und im nächsten Jahr nicht. Das wissen wir doch alle. Aber wenn die Europäische Union das kann, so zu urteilen, dann denke ich, dass auch ein Club der Demokratien, einschließlich der EU, das auch können muss.
Sie sprachen vorher kurz an, nicht mit der Hamas, der gewählten Regierung reden zu wollen. Aber nehmen Sie mal an, in Österreich soll aus Ihrer Sicht die falsche Regierung gewählt werden. Dann kommt sofort Österreich in Quarantäne oder zumindest unter die Drohung von Quarantäne. Das kommt immer wieder vor. Damit müssen Demokratien auch umgehen können.
Deutschlandradio Kultur: Fairer Punkt. Was wäre der Mehrwert so einer League of Democratic Nations? Wir haben die UNO, wir haben Nato, wir haben G8, wir haben die EU. Was wäre der Punkt, wo man dann nicht hauptsächlich die Befürchtung haben würde, so eine Art Neben-UNO zu werden, wo die Amerikaner mehr Einfluss haben als in der existierenden UNO?
Robert Kagan: Also, das wird’s ja nicht geben. Da zweifle ich dran. Aber Sie haben es falsch angesprochen. Denn es gibt ja schon eine oder sogar zwei Ligen, die Nato und die EU. Mein einziger Punkt ist der, das widerspiegelt nicht voll umfänglich die Realität des 21. Jahrhunderts. Der transatlantische Raum ist nicht der einzige für Demokratien heute. Nehmen Sie Brasilien, nehmen Sie Japan, Indien hat eine Demokratie, Australien. Ich frage, ob eine internationale Organisation nicht das Spiegelbild der internationalen Realität sein sollte. Das wäre ja prima, wenn der Sicherheitsrat auch ausgedehnt würde, um diese Realität widerzuspiegeln. Immer dieses Veto von wenigen Mitgliedern, das ist doch archaisch. Warum sind Indien, Japan, Brasilien nicht im Sicherheitsrat?
Deutschlandradio Kultur: Und Sie glauben, dass dann eine solche Liga der demokratischen Staaten eine gemeinsame politische Agenda hätte? Ich meine, wie unterschiedlich Einschätzungen sein können, auch zwischen demokratischen, befreundeten, schwesterlichen Staaten, hat man doch am Irakkrieg gesehen.
Robert Kagan: Natürlich, da haben Sie ja Recht. Wir müssen uns diesen Unterschieden auch stellen. Ich sage Ihnen etwas: Einer der Gründe, aus denen ich für eine solche Liga der Demokratien bin, ist einfach, dass sie die Vereinigten Staaten einbetten könnten in eine Institution, wo sie geneigter wären, auch die Entscheidungen und die Wünsche der Kollegen zu respektieren.
Was ich in Europa höre, ist diese Angst, das ist eine US-dominierte Organisation, aber es könnte beides sein. Es könnte ineffizient sein und sehr effizient. Ich habe einen sehr bescheidenen Ehrgeiz für eine solche Liga für Demokratie. Ich würde das schön finden, wenn im internationalen System zwischen den vielen bestehenden Organisationen, wie Sie sagen, eine Gruppe reicher Nationen, armer Nationen, die islamische Konferenz usw., Eines haben wir nicht, eine internationale Gruppe außerhalb Europas, wo Demokratien sich treffen können. Da kann es keine Liga der Demokratien geben, wenn die Regierungen das nicht wollen. Das können die Vereinigten Staaten nicht oktroyieren.
Deutschlandradio Kultur: Nicht jede Demokratie ist bereit, sich in einen solchen Club einbinden zu lassen die ganze Zeit. Das andere Gegenbeispiel, und das Problem haben wir genauso wie die Amerikaner, gelegentlich muss man eben auch mit Autokratien zusammenarbeiten, so wie Saudi Arabien, um Schlimmeres zu verhindern. Das nennt man gewöhnlich "Realpolitik". Auch der idealistische Staat, auch die idealistische Regierung muss so was tun.
Robert Kagan: Schon wieder so ein ganzes Bombardement von Aussagen und Fragen. Ich gebe mal wieder mein Bestes.
Eine Liga der Demokratie heißt ja nicht, dass wir nicht mehr mit Autokratien reden, im Gegenteil. Also, das ist nicht das Schlüsselproblem. Was die Staaten angeht, die nicht übereinstimmen, Sie haben die Welt beschrieben, wie sie aussieht: Wir haben bereits ein Indien, das tut, was es möchte, eine Türkei, die Maßnahmen ergreift, die ihr gefallen. Wird eine Liga der Demokratien das schlimmer machen? Ich würde eher hoffen, sie könnte das verbessern.
Ich frage mich, ob eine eindeutigere internationale Institution von Demokratien nicht dazu beitragen könnte, Länder wie Indien dazu zu bewegen, mehr wie Demokratien zu denken, nicht wie eine regionale Großmacht. Ich garantiere das nicht, aber ich halte das für möglich. Deswegen sehe ich also nicht, warum eine solche Liga schaden könnte.
Deutschlandradio Kultur: Zum Schluss noch die schlimmste Frage, die man einem politischen Analysten überhaupt stellen kann: Was war Ihr größter Irrtum der letzten Jahre?
Robert Kagan: Die Frage mag ich wirklich nicht, erstens, weil ich antworten muss, und zweitens, weil nie einer zufrieden ist mit meinen Antworten, weil ich nie das sage, was sie hören wollen.
Ich könnte jetzt sagen, gut, der eine oder andere ist immer wieder weggekommen, jemand, der sich für den Irakkrieg ausgesprochen hat. Ich könnte dann sagen, ich hätte nie gedacht, dass die das so schlecht machen. Ich habe es nicht so deutlich gesagt, aber ich muss schon sagen: Für mich war das eine große Überraschung, dass diese Regierung nicht erkannt hat, was viele von uns von Vornherein gesagt haben. Wir sagten: Er braucht zwei- bis dreihunderttausend Soldaten, um da eine Stabilität im Irak zu erzeugen. Ihr habt keine Alternative, ihr müsst die hinschicken. Dass die Regierung das nicht erkannt hat, verstehe ich nicht.
Oder: Wie die meisten Amerikaner würde ich sagen, ich habe das nicht ganz erkannt, in welchem Maße sich die Welt wirklich verändert hatte. So sehr, dass die Haltung Europas gegenüber den Vereinigten Staaten tatsächlich völlig einbricht unter diesem Druck, das hätte ich nie gedacht.
Ich sage Ihnen, warum ich das sage: Die Vereinigten Staaten haben sich aus europäischer Sicht schlecht verhalten. Nehmen Sie Vietnam, so umstritten, wie der Irakkrieg, wenn nicht noch mehr in Europa, wo Millionen auf die Straße gingen gegen den Vietnamkrieg. Und Amerika war in den ausgehenden 60ern bis zu den 70ern Nixons Amerika, die Ermordung von Bob Kennedy und Luther King. Trotzdem haben wir das transatlantische Bündnis nie bedroht oder verraten. Warum? Weil Europa viel mehr Toleranz hatte für die Missetaten der Vereinigten Staaten als man das Gefühl hatte, ja, wir brauchen sie auch.
Der größte Unterschied zwischen heute und damals ist der: Nach dem Kalten Krieg hat Europa nicht mehr gedacht, sie brauchen die Amerikaner. Die Toleranz ist gesunken. Nicht, weil nach wunderschönen Zeiten, wo Amerika so toll war, es plötzlich jetzt Fehler machte, sondern – ich glaube – die Toleranz der Europäer ist zurückgegangen.
Deutschlandradio Kultur: Ich gebe Ihnen zum Schluss die Chance, noch einen echten Fehler zu machen. Nur ein Name, wer wird US-Präsident? Nicht, wen wollen Sie, sondern wer wird es Ihrer Einschätzung nach?
Robert Kagan: 2000 habe ich keinen Fehler gemacht. Ich habe Bush nicht gewählt. Na ja, das wird ein enges Rennen, ein Kopf-an-Kopf-Rennen. Kann sein, dass Barack Obama etwas offengelegt hat oder Clinton dazu geholfen hat, was an Schwächen bei McCain zu sehen ist. Und vielleicht wird sich das später dann an ihm rächen, wenn er Präsident ist.
Deutschlandradio Kultur: Okay, vielen Dank für das Gespräch.