Der ewige Kanzler
19.01.2010
Hans-Joachim Noack und Wolfram Bickerich zeigen in "Helmut Kohl. Die Biografie", wie der fleißige Steuersekretärssohn durch Reformeifer, Forschheit, intellektuellen Anstrich und gekonntes Ränkeschmieden nach oben kommt. Etwas substanziell Neues sagen die Autoren dabei nicht.
Nein, etwas substanziell Neues über Helmut Kohl wollen die Journalisten Hans-Joachim Noack und Wolfram Bickerich nicht sagen. Der rote Faden ihrer knappen Biografie ist Kohls unzerstörbarer Wille zur Macht. Souverän zeigen sie, wie der fleißige Steuersekretärssohn durch Reformeifer, Forschheit, intellektuellen Anstrich und gekonntes Ränkeschmieden nach oben kommt - alles Eigenschaften, die er als CDU-Vorsitzender an Parteifreunden und –feinden bekämpft.
Noack und Bickerich unterstellen dem Kanzler, dass er in den Achtzigerjahren im Grunde zurück in die Fünfziger wollte, sprechen ihm jedoch im Blick auf die deutsche Einheit historische Größe zu. Zum "überdurchschnittlichen Durchschnittsmenschen" Kohl gehen sie auf Distanz, der selbstherrliche Parteipatriarch wird scharfer Kritik ausgesetzt. Das letzte Drittel von "Helmut Kohl. Die Biografie" wirkt unausgereift, was den guten Eindruck empfindlich stört.
Jürgen Habermas hat den ewigen Kanzler "die personifizierte Entwarnung" genannt und damit die harmlos-volkstümliche Seite des Strickjacken-Liebhabers charakterisiert. Folgt man jedoch Noack und Bickerich, war gerade der junge Helmut Kohl ein politisches Raubtierwesen, das mit unzerstörbarem Selbstbewusstsein ein Amt nach dem anderen an sich riss.
Das vom Nationalsozialismus unkorrumpierte Elternhaus, die Verehrung Konrad Adenauers, das Geborgenheitsgefühl in der CDU, umgekehrt der Hass auf die "Sozen", die erstaunliche Niederlagen-Festigkeit, das überragende Strippenzieher-Talent, physische Stabilität, tiefes Misstrauen und starker Instinkt: Das sind die entscheidenden Elemente, die Kohls rasante Karriere prägen.
Flott, aber nuanciert entwerfen Noack und Bickerich das Porträt eines jungen Mannes, der in der damaligen CDU frisch und frech wirkte. Er begriff Politik nicht zuletzt als Abenteuer und Strategiespiel, das Bubenhafte wurde vom Bräsigen noch nicht überlagert.
Dennoch ist bald klar: Hier bedient sich ein Sendungsbewusster der Methoden, die er als Parteichef bis aufs Messer bekämpfen wird. Der "politische Absolutist" (Noack und Bickerich) ist früh zu erkennen. In den Siebzigerjahren beginnt Kohl zu agieren, als wäre er die Inkarnation des deutschen Gemeinwohls. "Notorische Ich-Bezogenheit" konstatieren die Autoren.
Dem Kanzler unterlaufen nach seinem Amtsantritt 1982 grobe Torheiten, aber hat Kohl immer wieder Glück. Vor allem als die Kanzlerdämmerung einzusetzen scheint: als ihn die alten Freunde und neuen Feinde um Heiner Geißler und Kurt Biedenkopf zum Abschuss präparieren, beginnt die 89er Wende. Statt als Versager geschasst zu werden, ergreift Kohl den Mantel der Geschichte.
Noack und Bickerich schreiben nicht als Zeit-Historiker, sondern als Journalisten, die Kohls Laufbahn begleitet haben. Neue, vertiefte, überraschende Perspektiven bleiben aus. Dennoch wäre das Werk als kritische Festlektüre zu Kohls 80. Geburtstag im April zu empfehlen – gäbe es nicht den empfindlichen Bruch mit dem Beginn von Kohls Kanzlerschaft.
Als hätte der Polit-Riese nun jedes fassbare Maß gesprengt, verlieren die Autoren ihre Souveränität. Ihr Stil wird fahrig, die Verknappungen unstimmig, man spürt, dass das Buch für das überbordende Material viel zu dünn angelegt ist. Schade drum!
Besprochen von Arno Orzessek
Hans-Joachim Noack/Wolfram Bickerich: Helmut Kohl. Die Biografie
Rowohlt Berlin 2010, 300 Seiten, 19,95 Euro
Noack und Bickerich unterstellen dem Kanzler, dass er in den Achtzigerjahren im Grunde zurück in die Fünfziger wollte, sprechen ihm jedoch im Blick auf die deutsche Einheit historische Größe zu. Zum "überdurchschnittlichen Durchschnittsmenschen" Kohl gehen sie auf Distanz, der selbstherrliche Parteipatriarch wird scharfer Kritik ausgesetzt. Das letzte Drittel von "Helmut Kohl. Die Biografie" wirkt unausgereift, was den guten Eindruck empfindlich stört.
Jürgen Habermas hat den ewigen Kanzler "die personifizierte Entwarnung" genannt und damit die harmlos-volkstümliche Seite des Strickjacken-Liebhabers charakterisiert. Folgt man jedoch Noack und Bickerich, war gerade der junge Helmut Kohl ein politisches Raubtierwesen, das mit unzerstörbarem Selbstbewusstsein ein Amt nach dem anderen an sich riss.
Das vom Nationalsozialismus unkorrumpierte Elternhaus, die Verehrung Konrad Adenauers, das Geborgenheitsgefühl in der CDU, umgekehrt der Hass auf die "Sozen", die erstaunliche Niederlagen-Festigkeit, das überragende Strippenzieher-Talent, physische Stabilität, tiefes Misstrauen und starker Instinkt: Das sind die entscheidenden Elemente, die Kohls rasante Karriere prägen.
Flott, aber nuanciert entwerfen Noack und Bickerich das Porträt eines jungen Mannes, der in der damaligen CDU frisch und frech wirkte. Er begriff Politik nicht zuletzt als Abenteuer und Strategiespiel, das Bubenhafte wurde vom Bräsigen noch nicht überlagert.
Dennoch ist bald klar: Hier bedient sich ein Sendungsbewusster der Methoden, die er als Parteichef bis aufs Messer bekämpfen wird. Der "politische Absolutist" (Noack und Bickerich) ist früh zu erkennen. In den Siebzigerjahren beginnt Kohl zu agieren, als wäre er die Inkarnation des deutschen Gemeinwohls. "Notorische Ich-Bezogenheit" konstatieren die Autoren.
Dem Kanzler unterlaufen nach seinem Amtsantritt 1982 grobe Torheiten, aber hat Kohl immer wieder Glück. Vor allem als die Kanzlerdämmerung einzusetzen scheint: als ihn die alten Freunde und neuen Feinde um Heiner Geißler und Kurt Biedenkopf zum Abschuss präparieren, beginnt die 89er Wende. Statt als Versager geschasst zu werden, ergreift Kohl den Mantel der Geschichte.
Noack und Bickerich schreiben nicht als Zeit-Historiker, sondern als Journalisten, die Kohls Laufbahn begleitet haben. Neue, vertiefte, überraschende Perspektiven bleiben aus. Dennoch wäre das Werk als kritische Festlektüre zu Kohls 80. Geburtstag im April zu empfehlen – gäbe es nicht den empfindlichen Bruch mit dem Beginn von Kohls Kanzlerschaft.
Als hätte der Polit-Riese nun jedes fassbare Maß gesprengt, verlieren die Autoren ihre Souveränität. Ihr Stil wird fahrig, die Verknappungen unstimmig, man spürt, dass das Buch für das überbordende Material viel zu dünn angelegt ist. Schade drum!
Besprochen von Arno Orzessek
Hans-Joachim Noack/Wolfram Bickerich: Helmut Kohl. Die Biografie
Rowohlt Berlin 2010, 300 Seiten, 19,95 Euro