Der Esel in der CD-Box

Von Tobias Wenzel · 19.09.2005
Wer einmal hinter die Kulissen einer Hörspielproduktion sehen will, hat dazu im Deutschen Technikmuseum Berlin Gelegenheit: Dort präsentiert das Deutschlandradio Kultur Fotografien und Hörbeispiele von eigenen und historischen Produktionen. Utensilien wie eine CD-Box oder eine Windmaschine veranschaulichen die Arbeit eines Geräuschemachers.
Unweit von Eisenbahnwaggons, in einem langgezogenen Ausstellungsraum des Technikmuseums, ertönt ein Hörspiel aus den Lautsprechern eines Akustiksessels: ein preisgekröntes und besonders radiophones Hörspiel über den französischen Insektenforscher Jean-Henri Fabre. Kino für das Ohr:

Ausschnitt: "Sie besiedeln das Wasser, die Luft und die Erde."

Hörspiele führen uns in eine fremde Welt und können uns verzaubern. "Zauberei auf dem Sender" hieß denn auch das erste Hörspiel, das vor gut 80 Jahren im deutschen Rundfunk Premiere hatte. Doch die ungewöhnliche akustische Kunstform war nicht mit einem mal da, wie Co-Kurator Joseph Hoppe vom Deutschen Technikmuseum Berlin betont. Es entstand nach und nach, und zwar in einer Zeit, in der es noch kein Fernsehen gab und unzählige Hörer gebannt vor den Radioapparaten saßen:

Joseph Hoppe: "Das erste, was man im Rundfunk kannte, waren eher so eine Art szenischer Lesung. Und diese besondere Kunst mit der Einbindung von Geräuschen, mit dramaturgischen, akustischen Kniffen zu arbeiten, auch mit dem Erstellen eigener literarischer textlicher Vorlagen für Programme, die wirklich so auch nur im Rundfunk geleistet werden können, die ist ja erst Ende der 20er Jahre im Grunde genommen entstanden. Und sicher ist das alternativlos gewesen. Der Gehörsinn hat damals eine andere Rolle gespielt und der Bildsinn ist in der Zwischenzeit stärker beansprucht gewesen. Aber ich glaube, es gibt da so eine Art der Renaissance des Hörens und damit auch vielleicht eine Renaissance des Hörspiels."

In diese Renaissance jedenfalls passt die kleine, aber feine Sonderausstellung, die das Deutsche Technikmuseum Berlin in Zusammenarbeit mit dem Deutschlandradio realisiert hat. "Schauplatz Hörspiel" heißt sie. Und der Untertitel "Bilder, Töne, Texte" macht klar: Das unimediale, also rein akustische Hörspiel, ist hier für mehrere Sinne aufbereitet. Denn die Besucher können nicht nur in sechs Hörsesseln versinken und Hörspielen unterschiedlichster Art lauschen, vom Krimi bis zum szenischen Audio-Comic.

Wer den Ausstellungssaal betritt, wird auch von Fotos in den Bann gezogen. Rund 50 Schwarz-Weiß-Aufnahmen zeigen Schauspieler, vollkommen ungeschminkt, während Hörspielproduktionen. Co-Kuratorin Marion Hoock vom Deutschlandradio:

"Also mir gefallen die Fotos am besten, die fast am untypischsten für die Hörspielproduktion sind, nämlich die, in denen die Schauspieler wirklich in action sind. Es gibt ein wunderbares Foto von Boris Aljinovic, der unter einer Decke sitzt - das sieht aus wie ein Gespenst mit Kopfhörern darüber - und spricht mit einer Tür. Das sind Situationen, die relativ selten sind, um eine bestimmte Stimme hervorzubringen. Denn normalerweise stehen die Schauspieler bei der Hörspielproduktion recht still an einem Platz und konzentrieren sich auf den Text. Aber gerade die, in denen sie laufen oder springen, das sind die Fotos, die ich besonders interessant finde."

Aber auch die festgehaltenen leisen Gesten fesseln den Betrachter: George Tabori z.B., der Altmeister des Theaters, mit erhobenem Zeigefinger und mit einem Blick, der in die Ferne schweift. Nur das Ansteckmikrofon an seinem karierten Blazer verrät: Wir sind im Tonstudio.

Fritzi Haberlandt, vertieft in ihr Manuskript: Die rechte Hand ruht auf dem Pult, die linke ist erhoben und zu einer Kralle geformt. Das ganze wurde 2002 festgehalten, ein Jahr nachdem Fritzi Haberland in "Norway Today" ihre wichtigste Audiorolle spielte, eine Frau, die sich das Leben nehmen möchte und im Internet-Chat einen Gleichgesinnten sucht.

Ausschnitt "Norway today": "Hallo, ich bin Julia. Dies sind meine ersten Worte an diesem Ort."

Es weht in der Ausstellung, oder genauer: Der Geräuschearchivar des Deutschlandradio Kultur, Hans Cybinski, lässt es wehen, so wie es jeder Besucher selbst machen darf, mit einer Windmaschine, einem Klassiker der Hörspielproduktion. Er setzt mit einer Kurbel eine Trommel aus Stäben in Bewegung, die mit Leinenstoff bespannt ist. Hans Cybinski hat mehr oder weniger historische Utensilien von Geräuschemachern für die Ausstellung zusammengestellt.

Klingt wie der Ruf eines Esels oder wie eine knarrende Tür, ist aber eine runde Box für CD-Rohlinge, in der ein Rohling-Dummy quietschend nach unten sackt. So wie sich die Aufnahme-Technik in der Geschichte des Hörspiels kontinuierlich verbessert hat - auch das dokumentiert die Ausstellung -, so werden immer präzisere Geräusche für die Hörspielproduktion verlangt.

Hans Cybinski: "Ja, auf jeden Fall ist es lauter geworden, intensiver. Wir sind heute dichter dran am Geräusch. Früher reichte das aus, dass man an die Tür geklopft hat und dann ging die auf. Und heute muss es schon eine Altbautür sein, eine Kunststofftür, eine Eisentür, eine Tür, in der jetzt das Fenster vielleicht drin wackelt sogar. Es muss heute alles sehr prägnant und kurz sein."

Dem Deutschen Technikmuseum und dem Deutschlandradio ist es gelungen, die faszinierende Audiokunst Hörspiel mit mehreren Sinnen erfahrbar zu machen. Nicht durch abgeschirmte technikgeschichtliche Exponate in Vitrinen, sondern durch Hörspiel zum Hören, Anfassen und Betrachten.


Informationen zur Ausstellung:

Schauplatz Hörspiel - Sonderausstellung im Deutschen Technikmuseum Berlin in Zusammenarbeit mit dem Deutschlandradio Kultur und dem Deutschlandfunk. Zu sehen bis zum 19. Februar 2006. Umfangreiches Begleitprogramm, u.a Live-Hörspiele; außerdem Workshops für Kinder zum Geräuschemachen.
Alfred Braun zusammen mit Geräuschemachern während einer Hörspielproduktion
Alfred Braun zusammen mit Geräuschemachern während einer Hörspielproduktion© Schauplatz Hörspiel
Fritzi Haberland bei der Produktion von "Autofahren in Deutschland"
Fritzi Haberland bei der Produktion von "Autofahren in Deutschland"© Schauplatz Hörspiel