Der erfundene Spion

Rezensiert von Andreas Baum · 17.01.2006
"Der Fall Noel Field" bietet ein umfassendes Bild über die kommunistischen Schauprozesse in Osteuropa. Der Amerikaner Field geriet 1949 in die Fänge des stalinistischen Regimes, wurde beschuldigt, ein Spion zu sein. Die Zeugnisse aus der Zeit der Untersuchungshaft Fields bieten einen genauen Einblick in die Denkweise der kommunistischen Kämpfer jener Zeit.
Wer war Noel Field?

Noel Field war ein US-Amerikaner bürgerlicher Herkunft. 1904 wurde er in eine wohlhabende Quäkerfamilie der Ostküste geboren, sein Vater war Wissenschaftler und bekennender Pazifist. Field verbrachte die Jugendjahre in der Schweiz, später arbeitete er zehn Jahre lang er im US-amerikanischen Außenministerium. In der Zeit des spanischen Bürgerkrieges, die Not republikanischer Flüchtlinge vor Augen, wird er politisiert. Er sympathisiert mit der Sowjetunion, wie viele andere, durchaus bürgerliche Intellektuelle der Zeit, um dem Hitlerfaschismus etwas entgegenzusetzen.

In der Zeit des Zweiten Weltkrieges leitet er eine kirchliche Hilfsorganisation der Quäker in der Schweiz, die aber faktisch eine Tarnorganisation ist, die Kommunisten und Widerstandskämpfer über Grenzen schleust und Waffen für Partisanen kauft. Nach dem Krieg bleibt Field in Europa und steht nun zu seiner Anhängerschaft der Kommunistischen Partei, deren geheimes Mitglied er bereits seit den 30er Jahren ist. 1949 wird Field in Prag verhaftet und verschwindet in einem Geheimgefängnis. Er wird beschuldigt, ein amerkanischer Spion zu sein.

Field gekannt zu haben, wird nun zur Gefahr für viele europäische Kommunisten. In den Schauprozessen der frühen 50er Jahren - der Slansky-Prozess ist der bekannteste - werden Dutzende Funktionäre verurteilt, teilweise hingerichtet, immer unter dem Vorwand, ein Mitglied des angeblichen Spionagenetzes von Noel Field gewesen zu sein. Field überlebt seine Haft, nach Stalins Tod wird er freigelassen, bis zu seinem Tod 1970 lebt er in Ungarn als gläubiger und loyaler Kommunist.

Wie wird die Geschichte von Noel Field erzählt?

Das Buch ist eine Quellenedition. Es werden Briefe und Schriften von Field und anderen veröffentlicht, die der Dokumentarist Werner Schweizer zusammengetragen hat, als er einen Film über Noel Field recherchierte, der dem Buch als DVD beiliegt. Die Zeugnisse aus der Zeit der Untersuchungshaft Fields bieten einen genauen Einblick in die Denkweise der kommunistischen Kämpfer jener Zeit, aber auch in die unerbittliche Logik der Täter in den Jahren der Verfolgung von angeblichen und wirklichen Abweichlern der Linie Stalins. Den Säuberungen fielen hauptsächlich diejenigen Kommunisten zum Opfer, die während des Zweiten Weltkrieges im westeuropäischen Exil waren.

Anhand der Quellen wird so ein Kapitel des Kalten Krieges seziert, dem viele Menschen zum Opfer fielen. Field galt nicht nur den Kommunisten, sondern auch den US-Amerikanern als Feind. Ironischerweise wird er während seiner Haftzeit in einem Geheimgefängnis bei Budapest in den USA vor ein Kommitee für antiamerikanische Umtriebe geladen.

Wozu ein so umfangreicher Dokumentenband?

Dieses Buch liest sich nicht leicht weg wie ein flüssig geschriebenes Geschichtsbuch. Die Briefe und Schriften bieten aber ein Höchstmaß an Authentizität. Es ist deshalb eine ergiebige Lektüre für alle, die sich ein umfassendes Bild von der Ära der kommunistischen Schauprozesse in Mittel- und Osteuropa nach dem Zweiten Weltkrieg machen wollen. Die Recherchearbeit, die erst möglich wurde, nachdem die Archive in Ungarn und anderen Ländern des ehemaligen Ostblocks zugänglich wurden, versucht Field posthum das zu geben, was ihm zeitlebens verwehrt blieb: die komplette Rehabilitierung vor den Augen der Öffentlichkeit. Das Buch belegt, dass hier ein aufrichtiger Mann auf verhängnisvolle Weise ins Räderwerk des Kalten Krieges geraten ist. Noel Field, so heißt es auch im Untertitel des Dokumentarfilms, war kein echter, sondern ein erfundener Spion.


Bernd-Rainer Barth und Werner Schweizer (Hg): Der Fall Noel Field - Schlüsselfigur der Schauprozesse in Osteuropa
BasisDruck, Berlin, 2005
933 Seiten,
44,80 Euro